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Polizeihoschule und Gedenkstätte arbeiten zusammen

Geschichtsstunde für Polizeianwärter

Mittwoch, 23. Juni 2021, 14:30 Uhr
Nach diversen Skandalen, angefangen bei der vermasselten Ermittlung zum NSU-Terror bis zu immer wieder auftauchenden rechten Chatgruppen unter Beamten, muss sich die Polizei mit Rechtsextremismus in den eigenen Reihen auseinandersetzen. In Thüringen will man dem Problem in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Mittelbau-Dora entgegenwirken…

Geschichtsstunde für Polizisten an der Gedenkstätte Mittelbau-Dora (Foto: agl) Geschichtsstunde für Polizisten an der Gedenkstätte Mittelbau-Dora (Foto: agl)


Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heißt es. Nehmen wir dieses: ein Polizeibeamter auf Patrouille. Soweit, so normal. Arbeit für Ordnungskräfte gibt es immer, schließlich, um eine weitere Phrase zu bedienen, schläft das Verbrechen nie. Was aber wenn die Polizei teil des Verbrechens wird?

Blicken wir noch einmal auf das Bild. Der Beamte trägt noch die Kluft der Polizei der Weimarer Republik. Neben ihm läuft ein Hilfspolizist, ein SA-Mann. Es ist 1933. Und noch ein Bild: ein Anwalt aus München, zerschlagen und gedemütigt, wird durch die Innenstadt getrieben. Auch das: 1933. Im Hintergrund sind Passanten zu sehen, drumherum Braunhemden, SA-Leute. Keine Polizei, keiner der einschreitet.

Wie die Exekutive eines demokratischen Staates Teil der Nazi-Diktatur wurde und warum die Arbeit der Polizei heute nicht umsonst strengen Regularien unterliegt, damit setzen sich angehende Polizeibeamte im höheren und mittleren Dienst seit 2018 an der Gedenkstätte Mittelbau-Dora auseinander. Das Projekt wurde am Montag, einen Tag vor der 80. Wiederkehr des Überfalls auf die Sowjetunion, dem Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow vorgestellt.

Am Montag wurde das Projekt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow vorgestellt (Foto: agl) Am Montag wurde das Projekt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow vorgestellt (Foto: agl)


Zwei bis vier Tage arbeiten die Polizeischülerinnen und -schüler am historischen Ort und werfen selber einen Blick in die Quellenlage. Etwa am Beispiel von Rene D’Halluin, der in Frankreich am 23.7.1944 von der Straße weg zur Zwangsarbeit verpflichtet wird. Eingesetzt wird er in der „Nordwerken AG“ in Nordhausen. Weniger als einen Monat später wird er seinen „Arbeitsplatz“ verlassen um nach Hause zurückzukehren und später bei Mühlhausen von der Polizei aufgegriffen. Einen Haftbefehl gibt es nicht, auch kein Verfahren. D’Halluin wird in das KZ-Ellrich Juliushütte, ein Außenlager Doras, gebracht und verstirbt hier im Januar 1945. Auch bei der Verfolgung von Partisanen, Exekutionen durch den Strick und schließlich bei Massenerschießungen sind im Laufe der Nazi-Diktatur „normale“ Polizisten beteiligt.

Mit diesen und anderen Themen wie dem Instrument der „Schutzhaft“, den ersten Erlassen Hermann Görings, dem Problem von Vorannahmen zu einer Personengruppe und mehr setzten sich die Anwärter an der Gedenkstätte auseinander. Die meisten von ihnen sind zwischen 16 und 18 Jahren alt, erzählt Heike Langguth, Leiterin der Thüringer Fachhochschule der Polizei. Das Wissen um die eigene Geschichte sei dabei „oft übersichtlich“. Gerade für den Bürger in Uniform, den Vertreter der Exekutive, in dessen Verantwortung es liegt, das Gewaltmonopol des Staates anzuwenden, sollte „übersichtlich“ nicht reichen. Die nicht abreißenden Skandale um rechte Gruppierungen innerhalb deutscher Dienststellen zeigen das nur zu deutlich.

Bildungsarbeit speziell für einzelne Berufsgruppen hat es an der Gedenkstätte Mittelbau-Dora bisher nicht gegeben (Foto: agl) Bildungsarbeit speziell für einzelne Berufsgruppen hat es an der Gedenkstätte Mittelbau-Dora bisher nicht gegeben (Foto: agl)


Der Ansatz, den man an der Gedenkstätte verfolgt, orientiert sich an der üblichen Bildungsarbeit vor Ort. Eine Führung über das Gelände gehört dazu aber das ist nur der Anfang. Danach geht es an die Quellenarbeit. Die Teilnehmer bekommen alte Ermittlungsakten in die Hand und können die verschwimmenden Linien zwischen normalen polizeilichen handeln, wie es auch heute üblich ist und den zunehmend „atypischen“ Befugnissen der Polizei im Dritten Reich selber erarbeiten.

Dabei gehe es nicht darum, einen bestimmten Standpunkt zu verfestigen oder eine Linie vorzugeben, sagt Langguth, sondern vielmehr den Dialog unter den Beamten zu fördern damit diese als „Menschen und als Polizeibeamte“ eigene Standpunkte manifestieren können. Als Polizist müsse man in der Gruppe agieren aber auch eigenständig denken können. Der Leiter der Gedenkstätte, Dr. Martin Uhl, drückt es noch anders aus: man sei „keine Heilanstalt für Rechtsextreme“. Man wolle nicht „mit dem Dampfhammer die moralische Keule schwingen“. Statt das Lehrbuch vorgesetzt zu bekommen, sollen die Teilnehmer in die Lage versetzt werden, eigene Schlüsse für sich und ihre berufliche Praxis zu ziehen.

Im Kern der Kooperation steht die Arbeit mit Originalquellen (Foto: agl) Im Kern der Kooperation steht die Arbeit mit Originalquellen (Foto: agl)


Die Ergebnisse der Kooperation sind gemischt bis positiv, man sei nicht mehr Anfang aber auch noch nicht am Ziel, erklärte Langguth. Manche Teilnehmer ließen sich nicht auf das Format ein, den meisten merke man aber deutlich an, „dass da was passiert im Kopf“, ergänzte der Lehrer für Staats- und Verfassungsrecht der Polizei-Hochschule. „Wir haben oft die Reaktion: „was soll das alte Zeug, muss das denn sein. Vor Ort halten die allermeisten aber inne und merken „das macht was mit mir“. Im kommenden Herbst will man das Angebot als Fortbildung auf freiwilliger Basis auch für gestandene Beamte anbieten.

Das es in der Polizei Elemente gibt, die nicht auf dem Boden der Verfassung zu stehen scheinen, lässt sich nach den Vorfällen der letzten Jahre nicht mehr wegdiskutieren. Dass die Polizei Schritte unternimmt um dem, historisch fundiert und sachlich, entgegenzuwirken, sollte im demokratischen Miteinander dabei nicht unter den Tisch fallen. Zumal der Thüringer Ansatz Schule zu machen scheint: an der Gedenkstätte konnte man zuletzt auch angehende Polizeibeamte aus Sachsen begrüßen.
Angelo Glashagel
Autor: red

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