nnz-online
Eine Betrachtung zu Spielchen um die Neuwahlen von Olaf Schulze

Auflösungserscheinungen im Thüringer Landtag

Sonnabend, 29. Mai 2021, 07:30 Uhr
Im Erfurter Politikbetrieb herrscht Aufregung. Die Neuwahl des Thüringer Landtags ist mutmaßlich gefährdet, weil vier CDU-Abgeordnete nicht für eine Auflösung des aktuellen Landtages stimmen wollen. Dies wäre aber die Voraussetzung dafür, dass die Wähler im Freistaat am 26. September über eine Neubesetzung des Thüringer Parlaments abstimmen könnten…

Der Thüringer Landtag in Erfurt (Foto: nnz-Archiv) Der Thüringer Landtag in Erfurt (Foto: nnz-Archiv)

Müssen wir also auf die Wiederholung der Landtagswahl von 2019 verzichten, in der vom Bürger als Souverän ein Parlament bestimmt wurde, das sich dann mehrheitlich für den falschen Ministerpräsidenten entschied (was bekanntlich den Ordnungsruf der Bundeskanzlerin aus Südafrika sowie einen umgehenden Rücktritt des gewählten Ministerpräsidenten zur Folge hatte)?

Nein, müssen wir nicht, sagt Frau Ute Bergner, ihres Zeichens gewählte FDP-Abgeordnete im Landtag, denn sie will mit ihrem Votum der rot-rot-grünen Minderheitsregierung zur notwendigen Mehrheit bei der Auflösung des Parlaments verhelfen. Frau Bergner möchte im Herbst mit ihrer kürzlich gegründeten Plattform „Bürger für Thüringen“ in den Landtag einziehen und ohnehin die FDP verlassen.

So weit, so komisch. Doch wie setzt sich nun die notwendige Zweidrittelmehrheit der Parlamentarier zusammen, die am 18. Juni gegen den aktuellen Landtag und für eine Neuwahl stimmen soll?

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die personelle Zusammensetzung unseres Parlaments: mit 29 Mitgliedern stellt DIE LINKE die stärkste Fraktion, als zweitstärkste Kraft kommt die AfD auf 22 Abgeordnete, die CDU stellt 21 Fraktionäre, die SPD acht, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und die FDP jeweils fünf. Insgesamt sind das 90 Landtagsmitglieder, 60 von ihnen müssten für die Auflösung stimmen.

Die rot-rot-grüne Minderheitsregierung kommt auf 42 Stimmen, die oppositionellen Kräfte auf insgesamt 48. Mit allen CDU-Stimmen würde im Falle eines geschlossenen Votums der Regierungsparteien eine deutliche Zeidrittelmehrheit von 63 Ja-Stimmen entstehen. Fallen da aber die besagten vier Christdemokraten weg, braucht es Frau Berger, um genau auf 60 zu kommen. Einfachste Rechenoperation.

An dieser Stelle beginnt das absurde Theater, was momentan von den Regierungsparteien aufgeführt wird. Bis Donnerstag stand für die Abgeordneten der drei regierenden Fraktionen fest, dass die ihr zur Macht verhelfende und nun „vertragsbrüchige“ CDU die Abstimmung platzen läßt. Die Schützenhilfe einer abtrünnigen FDP-Frau ist nicht vorgesehen gewesen. „Mit dem Verweis auf eine Pressemitteilung einer Abgeordneten des Landtages aus der FDP-Fraktion, die aber für die Partei Bürger für Thüringen agiert, erfüllt man keine Vereinbarung. Wir lassen Mario Voigt und die CDU ganz sicher nicht aus der Verantwortung“, bockt der neue LINKE-Fraktionschef Steffen Dittes. Seine bündnisgrüne Kollegin Astrid Rothe-Beinlich will „nicht hinnehmen“, dass die CDU auf Hilfe einer FDP-Abgeordnete angewiesen sei. "Die CDU muss liefern. Alles andere ist vertragsbrüchig“, sagte die Frau, deren Landeslistenvertreter 2019 mit Ach und Krach den Einzug in den Landtag schafften und im Gegensatz zum Bundestrend ihrer Partei durchaus um den Verbleib in einem neuen Thüringer Landtag und erst recht in einer neuen Regierung fürchten müssen. Die zuletzt im März prognostizierten sieben Prozent aus der letzten Umfrage sind wahrlich kein bequemes Ruhekissen. Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Hey als Dritter im Bunde der Herrschenden zeigte sich offen pikiert und gab zu Protokoll: "Uns interessiert nicht das Verhalten von Frau Bergner.“

Das mag wohl sein, dass ihn das nicht interessiert, aber es wird wohl auch nicht vom Stimmverhalten einer einzelnen EX-FDPlerin abhängen, ob neu gewählt wird oder nicht. In der Abstimmung könnten auch seine eigenen Leute nach dem Spatzen in der Hand greifen und eine Neuwahl angesichts der düsteren Wahlprognosen für die Genossen lieber vermeiden wollen.

Einen Großteil der vermeintlichen Nein-Stimmen gegen die Auflösung müsste die AfD beisteuern. Dort ist in der Fraktion die offizielle Lesart immer noch, dass eine Neuwahl die politischen Verhältnisse im Freistaat nicht entscheidend verändern würde und der Aufwand deshalb unverhältnismäßig sei. Doch wie lange wird es bei einer so ablehnenden Haltung bleiben, wenn die Partei weiterhin im Osten Deutschlands enormen Aufschwung erfährt und sich beispielsweise anschickt, in Sachsen-Anhalt bei der Landtagswahl Anfang Juni stärkste Kraft zu werden? Vielleicht überlegt sich der eine oder andere Abgeordnete entgegen den Empfehlungen seiner Parteiführung, dass eine Neuwahl seine Stellung nicht gefährden, sondern den Verbleib im Landtag sogar verlängern könnte?

Und was passiert eigentlich, wenn die Alternativen überraschend mit den Regierenden stimmen und ihnen so zu einer Mehrheit verhelfen? Muss dann wieder so lange abgestimmt werden, bis es dem Narrativ der Abgrenzung gegen rechts entspricht?

Auch die FDP erfreut sich momentan wachsender Beliebtheit und knöpft in Umfragen für die Bundestagswahl den steil nach oben geschossenen Grünen einen Prozentpunkt nach dem anderen wieder ab. Sollte dieser Trend anhalten und sich auf den Freistaat übertragen, müsste die liberale Landespartei eine Urnengang im September eher nicht fürchten. Zumal ja der Platz von Frau Bergner in der Fraktion frei wird, die mit ihrer Bürgerbewegung kaum die Fünfprozenthürde überwinden dürfte. Die Liberalen stehen unterdessen auf dem Standpunkt, dass sie ruhig abwarten, was passieren wird. Erstens hat die Regierung Ramelow nie mit ihnen verhandelt bzw. die Fraktion ignoriert oder bestenfalls als Nazifreunde diskreditiert und zweitens tut sie das ganz offensichtlich auch weiterhin. Warum sollte die FDP also Anträge der linken Regierung unterstützen?

So sind die Reihen der Linkspartei aufgrund hoffnungsvoller Wahlumfragen vermutlich dicht geschlossen, für seine wackligen Koalitionäre kann Ramelow jedoch nur hoffen, dass sie die Selbstverpflichtung zur Parlamentsauflösung aus dem letzten Frühjahr auch in die Tat umsetzen.

Bleibt noch die Frage, ob es denn wirklich nur vier CDU-Abgeordnete sein werden, die gegen die Auflösung des Landtages stimmen. Gewinnen könnten die Christdemokraten mit einer Zustimmung vermutlich nichts und aus dem Dilemma, weder mit den Linken noch mit der AfD koalieren zu dürfen, befreien sie sich allem derzeitigen Anschein nach auch nicht durch den nächsten Urnengang. Wie die klassischen CDU-Wähler die „Vertragspartnerschaft“ ihrer Landesparteispitze mit der rot-rot-grünen Minderheitsregierung letztlich bewerten und ob sie mit ihrem Kreuz nicht die Landtagsmandate einiger Abgeordneter beenden ist also sehr ungewiss. Die meisten der CDU-Landtagsmitglieder sind 2019 als Direktkandidaten ihrer Wahlkreise ins Parlament eingezogen. Ob ihre Unterstützung einer linken Minderheitsregierung den eigenen Wähler so gut gefallen hat, dass es wieder für ein direktes Mandat reicht? Wer weiß? Und auf einen guten Listenplatz kann sich niemand mehr verlassen in der zerrissenen Partei.

Letzter Akt dieser ganze Posse ist die Tatsache, dass Bodo Ramelows Partei von der CDU-Fraktion verlangt hat, ihr schriftlich zu bestätigen, dass sie geschlossen für eine Landtagsauflösung abstimmt. Anderenfalls droht er, den Antrag auf Auflösung des Landtags gar nicht erst einzubringen. Das heißt, die ohnehin schon gebeutelte CDU bekommt auch noch den schwarzen Peter zugeschoben, denn die Stimmen der aussätzigen AfD (und wohl auch der in Ungnade gefallenen FDP) dürfen keinesfalls für den Ausgang der Abstimmung entscheidend sein. Und so wie Kemmerich im Februar letzten Jahres vom taktischen Manöver der AfD überrascht wurde, wollen sich die Sozialisten nicht noch einmal im Landtag vorführen lassen.

Oder passt es den durch das wenig souveräne Corona-Management angeschlagenen Regierenden ganz gut, wenn der Landtag nicht aufgelöst würde? Denn gerade die Minister der LINKEN Werner für Gesundheit und Holter für Bildung haben keine gute Figur in den letzten Monaten abgegeben, vom während der Beratungen daddelnden Ministerpräsidenten mal ganz abgesehen.

Letztlich könnte die rot-rot-grüne Erpressung der regierungstolerierenden CDU zur Folge haben, dass am 18. Juni die Auflösung des derzeitigen Thüringer Landtags gar nicht zur Abstimmung kommt. Und am 26. September keine Wahlen zum Thüringer Landtag stattfinden.

P.S.: Wenn der Ministerpräsident aber sein Wort halten und den Landtag wirklich auflösen will, bleibt ihm ja immer noch die Möglichkeit, die Vertrauensfrage zu stellen. Vielleicht klappt es dann mit der Auflösung des Landtags besser und seine Regierung muss nicht mit der Opposition stimmen. Hier wäre wiederum interessant zu erfahren: wofür stimmt dann die vom Regierungslager gedemütigte CDU?
Olaf Schulze
Autor: osch

Drucken ...
Alle Texte, Bilder und Grafiken dieser Web-Site unterliegen dem Urherberrechtsschutz.
© 2021 nnz-online.de