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Spatenstich für klimaneutrales Wohngebiet

Thermisch, praktisch, gut

Montag, 19. April 2021, 16:30 Uhr
Die kleine Gemeinde Werther hat sich in den letzten Jahren in Thüringen einen Namen als Vorreiter in Sachen Energiewende gemacht. Das Experimentierfeld wurde heute um ein weiteres Projekt ergänzt: ein Wohngebiet, das klimaneutral mittels Geothermie mit Wärme versorgt werden soll…

Weidts letzer Spatenstich - in Werther wurde heute das Wohngebiet "Lehmkuhle" eingeweiht (Foto: agl) Weidts letzer Spatenstich - in Werther wurde heute das Wohngebiet "Lehmkuhle" eingeweiht (Foto: agl)


Auch im kleinen kann man viel bewegen, kann Dinge ausprobieren, behalten was gut ist und verwerfen was nicht funktioniert. Die Gemeinde Werther hat das in den letzten Jahren immer wieder bewiesen. Unter Bürgermeister Hans-Jürgen Weidt hat sich Werther der Energiewende verschrieben und als Experimentierfeld im ländlichen Raum gedient.

Heute fiel der Startschuss für ein weiteres Pilotprojekt, nur ging es diesmal nicht um Sonnenstrom für die Fahrzeuge der Verwaltung oder Windkraft, sondern um die Kraft des Erdinneren. Zwischen Klein- und Großwerther soll „Geothermie“ dafür sorgen, dass Einfamilienhäuser günstig und effizient mit Wärme versorgt werden können.

Das Neubaugebiet an der alten „Lehmgrube“, mit direktem Blick auf den Harz, soll 33 Einfamilienhäusern Platz bieten. Einen Steinwurf weiter südlich soll im gleichen Atemzug das entstehen, was dem ganzen Projekt den Reiz des Neuen verleiht: ein „Kollektorfeld“, das Erdwärme in die Häuser bringen soll. Neu daran ist, dass nicht ein Schacht tief in die Erde getrieben wird, sondern ein Leitungssystem in lediglich 1,3 Metern Tiefe über ein Glykol-Wassergemisch den Wärmeaustausch besorgt. Anders als bei landläufigen Wärmenetzen werden keine Vorlauftemperaturen von bis zu 80 Grad Celsius nötig, das „kalte“ Wärmenetz kommt mit fünf bis 18 Grad aus. Damit es in den eigenen vier Wänden im Winter auch tatsächlich warm und im Sommer kalt ist, werden in den Häusern Sole-Wasser-Wärmepumpen installiert. Ein Neugieriger beschreibt es am Rande der Zusammenkunft recht griffig: das ganze funktioniere in etwa so wie ein Kühlschrank.


Das hat gleich mehrere Vorteile, führte Werthers scheidender Bürgermeister, Hans-Jürgen Weidt aus. Zum einen hängt man nicht am Weltmarktpreis von Gas und Öl, der CO2 Ausstoß ist wesentlich geringer und die Häuser damit sehr energieeffizient und die Gewinne des Betriebs bleiben in der Region. Investor des Wärmenetzes wird die Energiegenossenschaft Helmetal. Über den Anschlussbeitrag werden die Häuslebauer an der „Lehmkuhle“ Mitglied in der Genossenschaft und können Rendite beziehen. Besser könne man regionale Wertschöpfung nicht darstellen, meint Weidt. Es seien Projekte wie diese, mit denen der ländliche Raum von der Energiewende profitieren könne.

Unterstützung für das Pilotprojekt gab es auch aus Erfurt: Umweltminsiterin Anja Siegesmund hatte einen Scheck für die Energiegenossenschaft mitgebracht (Foto: agl) Unterstützung für das Pilotprojekt gab es auch aus Erfurt: Umweltminsiterin Anja Siegesmund hatte einen Scheck für die Energiegenossenschaft mitgebracht (Foto: agl)


Lob und Glückwünsche gibt es für das in Thüringen einmalige Projekt auch aus Erfurt in Person von Umweltministerin Anja Siegesmund. Wenn man über die Energiewende redet, käme der Aspekt Wärme meist zu kurz, führte die Grüne Ministerin aus, dabei würde in Deutschland ein gutes Drittel des Bedarfs für heizen, kühlen und Warmwasser genutzt. Der Werther’sche Vorstoß sei ein Weg zu zeigen, was technisch heutzutage machbar ist und einer, der andere Kommunen vielleicht dazu bringe, „entschieden und entschlossen nachzuziehen“. Neben Worten hatte Siegesmund auch Zahlen mitgebracht, schwarz auf weiß in Form eines Schecks in Höhe von 137.700 Euro. Die finanziellen Mittel sollen der Genossenschaft beim Aufbau des Netzes unter die Arme greifen, der mit rund 300.000 Euro zu Buche schlagen soll.

Und noch einer freute sich, aber aus ganz anderen Gründen: Landrat Matthias Jendricke. Die Gemeinde Werther sei ein Vorreiter und tiefer in die Materie vorgedrungen als die meisten anderen, den Landkreis eingeschlossen. Was den Landrat aber neben den „grünen“ Aspekten entzückte, ist der einfache Umstand das ein neues Wohngebiet entsteht. Es brauche solche Flächen im Kreis und gebe nicht genug, das gelte nicht allein für Werther. „Wer ein eigenes Haus bauen kann, der setzt Zukunftsbausteine und das schafft Bindung an die Heimat.“, erklärte Jendricke. Wenn man dem Zuzug in die Großstädte im ländlichen Raum etwas entgegensetzen wolle, dann führe der Weg zu erst über das Eigenheim.

Für Hans-Jürgen Weidt war es die letzte, öffentlichkeitswirksame Amtshandlung. Am Sonntag wird auch in Werther gewählt und Weidt verabschiedet sich aus der aktiven Politik. Ob der heutige Schlussstrich am Ende ein guter war, wird daran liegen wie willige Häuslebauer auf das Angebot anspringen. Weidt jedenfalls ist guter Dinge, dass die Rechnung für Werther aufgehen wird. Und einen Namenswunsch für das neue Wohngebiet hat er am Vormittag auch schon parat: „Am Brockenblick“.
Angelo Glashagel
Autor: red

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