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Gedenken an die Befreiung des KZ Mittelbau-Dora

Ein Zeichen der Zeiten, die noch kommen werden

Montag, 12. April 2021, 15:30 Uhr
Die Erinnerung an den 76. Jahrestag der Befreiung des KZ Mittelbau-Dora fand unter Pandemiebedingungen heute im kleinen Rahmen statt. Trotz fehlender Ehrengäste hat man sich alle Mühe gegeben, die Botschaft in die Welt zu tragen. Eine Entwicklung die dem, was unweigerlich kommen wird, vorgreift...

Der 76. Jahrestag der Befreiung des KZ Mittelbau-Dora fand heute allein vor Online-Publikum statt (Foto: agl) Der 76. Jahrestag der Befreiung des KZ Mittelbau-Dora fand heute allein vor Online-Publikum statt (Foto: agl)


Es war eine ungewöhnliche Zusammenkunft, die heute an die Befreiung des KZ-Mittelbau Dora erinnern sollte. Reden und musikalische Untermalung gab es wie eh und je, nur die Gäste, die Überlebenden und deren Familien fehlten auch im Jahr Zwei der Pandemie.

Im vergangenen Jahr war man noch "überrumpelt" worden vom Virus und seinen Folgen. Es wurde ein stilles Gedenken von dem nur ein paar Bilder blieben. Den 76. Jahrestag hatte man, in der Vorraussicht wahrscheinlicher Entwicklung, schon im September als digitale Veranstaltung geplant. Die Redebeiträge von Gedenkstättenleiter Dr. Karsten Uhl und Landtagspräsidentin Birgit Keller gingen in sechs Sprachen übersetzt ins Netz und die Überlebenden vertrat man mit sechs kurzen Videobeiträgen.

Für viele sei es vor allem ein symbolischer Jahrestag, meinte Uhl, denn als das Lager am 11. April befreit wurde, trafen die Amerikaner nur noch wenige Inhaftierte an. "Für fast 40.000 Männer und einige hundert Frauen, die zu dieser Zeit in den Lagern Mittelbau-Doras gefangen waren, war das Leiden noch nicht beendet. Etliche Überlebende wurden erst kurz vor Kriegsende am 8. Mai in verschiedenen Teilen Deutschlands befreit. Tausende waren bis dahin noch auf den Todesmärschen ermordet worden."

Es sei die Aufgabe der Gedenkstätten, an die Menschen zu erinnern, die an Orten wie diesem litten und starben, doch dieses Gedenken dürfe nicht in Ritualen erstarren. "Im Sinne eines kritischen Geschichtsbewusstseins gilt es zu fragen, warum diese Menschen zu Opfern wurden: Welches Denken, welche gesellschaftlichen Strukturen trieben die Täter an?", fragt Uhl und meint, dass ein "umfassendes Gedenken an die Opfer niemals unterschlagen dürfe, dass es "ganz konkrete Menschen waren, die den Nationalsozialismus und seine Verbrechen unterstützten."

Nicht ein Gefühl vermeintlicher Schuld am Geschehenen ist die Triebfeder deutscher Erinnerungskultur über ein dreiviertel Jahrhundert nach Kriegsende, sondern der Trauer und der Scham, der Verantwortung gegenüber der Geschichte und die Verpflichtung, aus ihr zu lernen. Heute steht dieses Erinnern vor einer schwierigen, aber gewissen Zukunft: die letzten Zeitzeugen werden bald verstummen. Der Verlust wird schwer wiegen, waren und sind es doch gerade diese "authentischen Erfahrungsberichte, kluge Mahnungen und feinen Freiheitssensoren der Überlebenden" die das "demokratische Immunsystem ganzer Generationen" geprägt haben, so Landtagspräsidentin Birgit Keller.

Das Interesse an diesem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte und an seinen Lehren ist aber, so scheint es, noch nicht versickert. Im Gegenteil. Im Herbst vergangenen Jahres, bevor die Zwänge der Pandemie auch die Gedenkstätten wieder zur Schließung nötigten, registrierte man in der Gedenkstätte Buchenwald einen regelrechten Besucheransturm, erzählt Dr. Jens-Christian Wagner, der Direktor der zwei Gedenkstätten bei Weimar und Nordhausen. Teilweise nahmen Besucher bis zu zwei Stunden Wartezeit in Kauf, um die Ausstellung betreten zu können, erzählt Wagner. Nüchtern betrachtet war der Auslöser für den Andrang wohl der den Corona-Einschränkungen geschuldete Inlands-Tourismus. Andererseits zeigt die Episode aber auch, dass den Menschen durchaus an der Auseinandersetzung mit dem nicht eben leicht verdaulichen Thema gelegen ist.

Gedenktage wie das Jubiläum der Befreiung seien eine wichtige Aufgabe, so Dr. Wagner weiter, wichtiger aber noch sei, die Inhalte, das Geschichtsbewusstsein und die kritische Auseinandersetzung in die Gesellschaft zu tragen. Auch dafür greift man dieser Tage auf digitale Wege zurück. Auf der Website "liberation.dora.de" hat man Botschaften und biographische Angaben zusammengetragen. In Weimar, ganz analog, wurde die "verschwindende Wand", eine interaktive Kunstinstallation aufgebaut, die eben diese Botschaften im Herzen der Stadt sichtbar machen soll und die Ausstellung "Haut, Stein" von Jakob Ganslmeier befasst sich mit sichtbarer Nazisymbolik auf Stein im öffentlichen Raum und auf der Haut von Neo-Nazi Aussteigern. Die Schau ist derzeit in Weimar zu sehen und soll am 20. Mai auch nach Nordhausen kommen.

So schwer die nicht allein erzwungene Abwesenheit der Zeitzeugen vom Gedenken auch ist, bis sie gänzlich verstummt sind werden noch ein paar Jahre bleiben. Die Nordhäuser Gedenkstätte hält noch zu gut 50 Überlebenden Kontakt, eine überschaubare Zahl. In Buchenwald liegt diese immerhin noch bei fast 2000, sagt Wagner. Ein Umstand, der sich nicht allein auf den größeren Umfang des KZ Buchenwald zurückführen lässt, sondern auch auf die Gefangenen: als die Alliierten Buchenwald betraten, konnten sie viele Kinder und Jugendliche befreien, rund 900 an der Zahl.

Auch mit ihrem Schicksal hat man sich im vergangenen Jahr intensiv auseinandergesetzt. Das Ergebnis ist die Ausstellung "Jugend im KZ" die, wie könnte es anders sein in diesen Tagen, online zu finden ist. Vielleicht bleibt sie nicht auf ewig allein im Netz. Denn auch dieses Kapitel der Erinnerungskultur wird einmal Geschichte sein.
Angelo Glashagel
Autor: red

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