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Steigende „Fallzahlen“, sinkende Sterbe- und andere Zahlen

Corona ist tot, es lebe Corona?

Donnerstag, 18. März 2021, 07:30 Uhr
Seit einem Jahr ist die Corona-Pandemie das alles beherrschende Thema. Ist sie weltweit bald überwunden oder werden wir von der nächsten Welle überspült. Olaf Schulze hat sich einige Zahlen angesehen …

Symbol der Einschränkungsmaßnahmen: der Mund-Nasenschutz (Foto: oas) Symbol der Einschränkungsmaßnahmen: der Mund-Nasenschutz (Foto: oas)


Wie gestern gemeldet wurde, sieht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) keine Bedenken gegen eine Impfung mit dem AstraZeneca-Produkt. „Die WHO ist der Meinung, dass die Vorteile die Risiken überwiegen“, hieß es dazu aus Genf. Die Bundesrepublik Deutschland hatte die Impfung mit AstraZeneca wegen mehreren Fälle mit Thrombosen (Blutgerinnseln) in den Hirnvenen vorerst ausgesetzt.

Die WHO stellte aber auch klar, dass eine Impfung gegen Covid-19 keine Krankheiten oder Todesfälle durch andere Ursachen wie beispielsweise häufig auftretende Thrombosen reduzieren könne. „Venöse Thromboembolien gehören zu den häufigsten Herz-Kreislauferkrankungen weltweit“, verkündete die WHO.

Damit ist der am Montag von Minister Spahn verhängte Impfstopp schon wieder hinfällig, wegen dem der für gestern geplante Impfgipfel im Kanzleramt um mehr als eine Woche verschoben wurde. Gehen die Impfungen nun auch in Deutschland weiter? Können die kurzfristig abgesagten Termine von den Impfwilligen jetzt doch wahrgenommen werden?

Die „Fallzahlen“ steigen unterdessen deutschlandweit an, während die Anzahl der Todesfälle im Zusammenhang mit der Erkrankung immer weiter zurückgeht. Ob es an den umfangreicheren Testmöglichkeiten liegt, dass die Infektionszahlen wieder steigen oder an den verschiedenen Mutanten (in deren Kreis jetzt neuerdings auch ein bretonische Variante getreten ist), darüber gehen die Meinungen auseinander. Der Bundeslautsprecher in Sachen Corona und Mitglied einer regierenden Partei gibt aber schon einmal die Marschrichtung vor: „Wir müssen jetzt bundesweit die Notbremse ziehen und zurück in den Lockdown", sagte Karl Lauterbach, der SPD-Gesundheitsexperte gegenüber t-online. Er warnte weiterhin: "Den Lockdown jetzt noch etwas weiter hinauszuzögern, würde Tausende Covid-Tote mehr bedeuten. Das kann doch niemand wollen."

Was er mit „hinauszögern“ des Lockdowns meint, bleibt mir persönlich unverständlich, dass niemand „Tausende Covid-Tote“ möchte ist wohl unumstritten. Allerdings ging ich bis eben noch davon aus, dass wir uns schon seit November im Lockdown befinden. Lauterbach warnt aber nicht nur allgemein, er wird sehr konkret und fordert: „Auch Schulen und Kitas sollten geschlossen sein, bis genügend Tests zur Verfügung stehen.“

Das klingt fast so, als würden mehr Tests die Pandemie beenden. Die meisten Leute die ich kenne dachten bisher, dass man sich durch impfen und nicht durch testen schützen könne.

Wie aber stellt sich die Lage an der Corona-Front denn heute dar, da man in Berlin schon wieder nach Verschärfungen eines ohnehin noch scharfen Lockdowns ruft?

Mit Stand vom 17.März sind in Deutschland seit Bekanntwerden des Corona-Virus laut Robert-Koch-Institut (RKI)
  • 28 205 Frauen über 80 Jahre gestorben und 23 009 Männer in dieser Altersgruppe.
  • Unter den 60-79-Jährigen waren der Tod von 6843 Frauen und 13 122 Männer zu beklagen.
  • 725 Frauen im Alter zwischen 35-59 Jahren starben und 1 678 Männer diesen Alters.
  • Bei jungen Menschen im Alter zwischen 15 bis 34 Jahren starben 36 Frauen und 61 Männer.
  • Zwei Mädchen zwischen 5 und 14 Jahren sind mutmaßlich am Virus gestorben und drei Jungen.
  • Drei Mädchen zwischen 0 und 4 Jahren kamen ums Leben und ein Junge.

Laut dem Statistisches Bundesamt (nachzulesen auf destatis.de) verstarben im Jahre 2019 in Deutschland 939.520 Menschen. Das sind im Tagesdurchschnitt 2.574 Sterbefälle gewesen.

Gestern starben in Deutschland laut den Meldungen der Gesundheitsämter 249 Menschen durch oder mit Corona. Das ist fast exakt ein Zehntel der täglich üblichen Sterbezahlen. Gegen diese glücklicherweise niedrige Zahl stehen aber 13 435 gemeldete Neuinfektionen gestern bundesweit.

Doch zurück zur Sterbestatistik des Jahres 2019. Bei 331 200 der damals Verstorbenen wurde eine Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Todesursache diagnostiziert, fast ein Viertel, nämlich 231 300 Patienten, verstarben an Krebserkrankungen und 67 000 erlagen laut dieser Statistik einer Atemwegserkrankung. Die Zahlen der Grippetoten sind hier noch gar nicht mit aufgeführt.

Seit Ausbruch der Covid-19-Seuche vor einem Jahr sind bis heute in Deutschland 73 905 Menschen an oder im Zusammenhang mit der Krankheit verstorben. Obduktionen - um die Todesursache exakt zu prüfen - wurden bei den Toten so gut wie nie durchgeführt.

Nach mehr als vier Monaten strengen Lockdowns mit Schließung aller öffentlichen Einrichtungen einschließlich der Schulen und Kindergärten; mit restriktiven Kontakteinschränkungen, mit wochenlangen Bewegungsradius-Beschränkung und nächtlichen Ausgangssperren steigen nun die „Fallzahlen“ der Infizierten und die zur Bemessung herangezogene 7-Tages-Inzidenz wieder sprunghaft an. Die meisten der derzeit positiv Getesteten sind logischerweise Menschen im arbeitsfähigen Alter zwischen 35 und 60 Jahren, die eher selten ernsthafte Krankheitssymptome entwickeln. Das ist nachzulesen im COVID-19-Dashboard des Robert Koch-Instituts.

Gestorben wird aber weiterhin hauptsächlich in den Pflege- und Senioreneinrichtungen, was jedoch durch die angelaufene Impfkampagne dort erfreulicherweise stark rückläufig ist.

Gleichzeitig werden in den Krankenhäusern kaum noch Corona-Patienten auf den Intensivstationen behandelt. Laut RKI waren heute deutschlandweit 2859 Patienten mit Covid-Erkrankung in intensivmedizinischer Behandlung, wovon 1572 beatmet werden müssen. Der Kreis Nordhausen beispielsweise hatte am 17.März 12 Intensivpatienten und 9 davon werden beatmet. Der Kreis verfügt über eine spezielle Lungenklinik in Neustadt, sei hier angemerkt. Die Zahl der Neuinfektionen betrug heute in diesem Landkreis Null, in den letzten sieben Tagen wurden 38 „Fälle“ registriert. In ganz Thüringen, dem Bundesland mit der höchsten Inzidenz der ganzen Republik, lagen heute 142 Patienten auf Intensivstationen, 76 von ihnen müssen künstlich beatmet werden.

Nein, die Krankheit ist nicht zu leugnen, sie ist in der ganzen Welt verbreitet. Aber ist sie auch eine Pandemie, die nach einem Jahr strenger Maßnahmen und nachweislich ausgebliebener Überlastung der medizinischen Einrichtungen weiterhin einen Lockdown rechtfertigt? Waren die Lockdown-Auswirkungen der Krankheitsbekämpfung zuträglich oder haben sie zu einem drastischem Rückgang der Infektionszahlen geführt?

Die große absolute und immer weiter exponentiell ansteigende Zahl von bisher 2,59 Millionen Infizierten in Deutschland steht bedrohlich im Raum. Ihr gegenüber steht aber eine fast genau so große Zahl von mehr als 2,3 Millionen wieder Genesenen. Wie viele Deutsche symptomlos infiziert sind oder waren, das werden wir wohl nie erfahren. Denn Testungen im Querschnitt der Bevölkerung sind zu keinem Zeitpunkt der Krise vorgenommen wurden, die eine Idee davon hätten geben können, wie und in welchen Altersgruppen das Virus am aktivsten ist.

Durch monatelange Lockdowns wissen wir aber ganz sicher, wer keine Treiber der Infektionszahlen waren: Die Gastronomie, der Sport, der Handel (außer Lebensmittelmärkte), der Tourismus, ein organisiertes Veranstaltungswesen, Kunst und Kultur. Dort konnte sich niemand anstecken im letzten Jahr.

Und auch wenn ich keine Ahnung davon habe, was das Virus in der nächsten Zeit noch vorhat mit der Welt, wage ich die Prognose, dass spätestens wenn es Frühling wird die hohen Fallzahlen nur noch mit intensiven Massentests aufrecht zu erhalten sind. Die Qualität und Genauigkeit der angewendeten Testverfahren ist im letzten Jahr viel und sehr unterschiedlich eingeschätzt worden. Und auch hier schwindet das Vertrauen der Bevölkerung in die Sinnhaftigkeit zunehmend.

Es ist endlich an der Zeit von Seiten der Regierenden darüber zu befinden, wie eine geordnete Öffnungsstrategie funktionieren kann und wie die Beschaffung und sinnvolle Verteilung von Impfdosen vorangetrieben wird, die jeder Hausarzt verabreichen kann. Weiteres Geschwätz über Lockdown-Verschärfungen sind das Überflüssigste, was jetzt im Lande gebraucht wird.
Olaf Schulze
Autor: osch

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