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Der Lockdown ist für das Bildungswesen eine Katastrophe

Schulschließungen endlich aufheben

Mittwoch, 20. Januar 2021, 09:35 Uhr
Mitte März des vergangenen Jahres begann für die Kinder in Deutschland eine längere schulfreie Zeit. Kaum eines wird damals darüber richtig traurig gewesen sein. Das dürfte sich inzwischen geändert haben, denn auch ein knappes Jahr später sind die Schulen wieder geschlossen, findet Bildung in Deutschland nur noch selbstorganisiert statt. Und die Schüler lernen nichts …


Welche Auswirkungen das in der Nach-Corona-Ära haben wird ist heute kaum abzusehen und nur einzelne kritische Stimmen, wie die des Wissenschaftlers Ludger Wößmann wagen sich mit düsteren Prognosen in die Öffentlichkeit. Für den einzelnen Schüler müsse über das gesamte Berufsleben gerechnet im Durchschnitt mit einem rund drei Prozent geringerem Erwerbseinkommen gerechnet werden, wenn ein Drittel eines Schuljahres verloren gehe, rechnet der Bildungsökonom vor. Doch auch die Volkswirtschaft insgesamt werde langfristig Wachstumsverluste erleiden und laut Wößmann müssen wir uns auf eine durchschnittlich 1,5 Prozent niedrigere Wirtschaftskraft bis zum Ende des Jahrhunderts einstellen.

Ganz konkret hat der Unterricht aber schon viel länger als drei Monate geruht. Von Mitte März bis Mitte Mai 2020 waren die Schulen geschlossen, danach folgte eine Phase des eingeschränkten Unterrichts, in dem maximal die Hälfte des Lehrstoffs vermittelt werden konnte.

Trotz großer Anstrengungen der Schulen, örtlichen Behörden, Schulämter, Verwaltungen etc. und trotz gezielter Hygienekonzepte sowie Maßnahmen zur Kontaktreduzierung in den Einrichtungen, erfolgte auch im darauf folgenden Schuljahr Mitte Dezember ein kompletter Lockdown. Ohne jede Vorwarnung an die Schulen und ohne die Möglichkeit für die Lehrer, sich darauf einzustellen, ihre Schüler vorzubereiten bzw. sie mit Aufgaben zu versehen. Seit Mitte Dezember sind alle Bildungseinrichtungen wieder geschlossen.

Das heißt mit anderen Worten, dass die stolzen Erstklässler keine Buchstaben erlernen und keine Rechengrundlagen erfahren. Es heißt aber auch, dass die Schüler der dritten Klassen nicht organisiert schwimmen oder Radfahren lernen oder eine Verkehrserziehung bekommen. Neue Inhalte können aufgrund fehlender digitaler Möglichkeiten nicht vermittelt werden und Nebenfächer fallen an Grundschulen gänzlich aus.

Hatten die Lehrer bereits im vergangenen Schuljahr kaum einen Überblick über das Leistungsvermögen ihrer Schützlinge, so setzt sich dieser Zustand jetzt weiter fort. Alle wurden damals in die nächsthöhere Klassenstufe versetzt, egal ob sie in den einzelnen Fächern überhaupt einen Zensur bekamen oder nicht. Wer aber damals nicht richtig lesen lernte in der 1. Klasse, der hat es in der jetzigen 2. Klasse nicht nachholen können. Der aktuelle Viertklässler soll im Herbst vielleicht auf ein Gymnasium gehen. Aber auf welcher Grundlage? Wer soll das bewerten, wer einschätzen, ob das Kind das Leistungsvermögen hat, welches dort ab Klasse 5 abverlangt wird?

Den Kindern konkrete Aufgaben für Heimarbeit zu geben ist ein nobler Ansatz, allerdings funktioniert er im Alter der Grundschüler noch nicht. Denn hier geht es auch darum, das Lernen zu erlernen. Die Eltern können unmöglich zu Hause die Funktion der Lehrer übernehmen. Und selbst wenn sie es täten, wüssten die „echten“ Lehrer nicht, was die Kinder nun wissen.

Die viel diskutierte Variante des „Homeschooling“ am PC ist für das Grundschulalter von 6 - 10 Jahren ebenfalls untauglich. Abgesehen davon, dass es dafür in den meisten Schulen weder die technischen noch über die zuständigen Landesministerien organisierte bildungspolitische Voraussetzungen gibt.

Welcher Experte in Frau Merkels Entscheidungsrunde hat all diese geschilderten Einwände erhoben und bedacht? Wer stoppt wann endlich den für das ganze Land schädlichen Lockdown für die Schulen?
Olaf Schulze

update: Statement des tlv-Chefs Rolf Busch:

„In Bezug auf die Schulen und KiTas sind wir von den gestrigen Beschlüssen sehr enttäuscht. Im Entwurf der Bundeskanzlerin stand: Die Familien- und die Kultusministerkonferenz werden gebeten, sich für die Zeit ab dem Unterschreiten einer 7-Tage-Inzidenz von 50 darauf vorzubereiten, Kindertagesstätten wieder zu öffnen, Wechselunterricht unter Einhaltung von Abstandsregeln in den Grundschulen vorzusehen und in weiterführenden Jahrgängen weiterhin Distanzunterricht zu planen.

Dieser aus unserer Sicht enorm wichtige Passus ist im Gespräch mit den Ministerpräsidenten komplett gestrichen und durch ein Lippenbekenntnis ersetzt worden, das nicht minder zynisch ist als das abendliche Applaudieren für die Pflegekräfte im vergangenen Frühjahr. Es heißt nun an der betreffenden Stelle: Bund und Länder danken ausdrücklich […] für die Bewältigung der großen Herausforderungen in der Pandemie. Ihr Arbeits- und Gesundheitsschutz hat hohe Priorität.
Nur, um es noch einmal deutlich zu sagen: Es herrscht Land unter. Wir brauchen mehr denn je eine klare Regelung. Aber der Vorstoß der Bundesregierung ist einmal mehr aufgeweicht worden, wodurch das gestrige virtuelle Treffen aus Sicht der an Schule Beteiligten weitgehend sinnfrei geblieben ist. Wir appellieren nun eindringlich an die Thüringer Landesregierung, den ihr eingeräumten Spielraum konstruktiv zu nutzen und im Rahmen der nächsten Corona-Verordnung Regelungen zu schaffen, die für klare Verhältnisse sorgen und die Gesundheit der Beschäftigten ebenso wie die der Kinder und Jugendlichen bestmöglich schützt. Zudem erwarten wir, dass zwischen der Verabschiedung der neuen Verordnung und ihrem Inkrafttreten den Schulen mindestens drei Werktage für die Vorbereitung der Umsetzung eingeräumt werden.“
Rolf Busch, Landesvorsitzender, tlv thüringer lehrerverband
Autor: osch

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