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Corona-Erfahrungen am Lungenklinikum Neustadt

Eine richtig böse Krankheit

Montag, 16. November 2020, 16:00 Uhr
Seit Beginn der Corona-Pandemie hat die medizinische Fachwelt viel über den Virus und sein Wirken gelernt. Als ausgewiesene Spezialisten in Sachen Lungenkrankheiten hat man sich auch an der Neustädter Lungenklinik intensiv mit dem Erreger und seinen Krankheitsbildern auseinandergesetzt. Welche Erfahrungen dabei gemacht wurden, hat die nnz im Gespräch mit Chefarzt Dr. med. Bernd Kurz in Erfahrung gebracht...

Die Lungenfachklinik in Neustadt (Foto: agl) Die Lungenfachklinik in Neustadt (Foto: agl)

Als im Frühjahr mehrere Corona-Patienten aus Frankreich in Neustadt zur Behandlung eingeliefert wurden, machte das lokal Schlagzeilen. Die Fachwelt tappte damals in Sachen Sars-CoV-2 noch weitestgehend im Dunkeln, auch die Experten in Neustadt.

Für die Entscheidung, die französischen Patienten hier zu behandeln habe man sich damals einige Kritik anhören müssen, erzählt Chefarzt Dr. Bernd Kurz, aber von den Erkenntnissen, die man in dieser Phase gewinnen konnte, habe man letztlich sehr profitiert. Fehler und Fehleinschätzungen, die den französischen Kollegen noch zu schaffen machten, habe man, auch Dank des engen Austausches mit den Ärzten aus dem Nachbarland, vermeiden können. Seitdem hat man in Neustadt rund 25 Covid-Erkrankte begleitet, viele davon Intensivpatienten.

Die Zahl der Intensivbetten wurde von 18 auf 30 aufgestockt. Noch hat man die erhöhten Kapazitäten nicht in Anspruch nehmen müssen, in Anbetracht der sich verschärfenden Lage im Rest des Landes könnte sich das aber schnell ändern. Gerade in den Ballungsgebieten gerieten Kliniken aus verschiedenen Gründen zunehmend unter Druck, erklärt der Neustädter Chefarzt und sieht seine Klinik für den Fall der Fälle gewappnet. „Dass wir hier auch Patienten aus den angrenzenden Bundesländern behandeln wäre nichts neues. Wir sind in Thüringen gut vernetzt, haben aber auch enge Bindungen an die Region Göttingen und nach Sachsen-Anhalt. Und als Fachklinik sind wir ohnehin jederzeit bereit, zur Seite zu stehen, gerade in einer Situation wie dieser“, erklärt Dr. Kurz.

Dr. med. Bernd Kurz, Chefarzt der Neustädter Lungenklinik (Foto: agl) Dr. med. Bernd Kurz, Chefarzt der Neustädter Lungenklinik (Foto: agl) Seit Ausbruch der Pandemie habe man viel gelernt, wisse aber bei weitem noch nicht alles. „Wir haben grundsätzlich in der Behandlung von Infektionskrankheiten der Lunge sehr viel Erfahrung. Eine zentrale Erkenntnis ist, dass viele Covid-Patienten, auch solche mit leichteren Verläufen, einer Reha bedürfen. Wir hatten hier im Frühjahr Leute die wir mit einem guten Lungenbild entlassen konnten, denen es aber nach vier Wochen immer noch extrem schlecht ging. In dieser Hinsicht haben wir es mit einer richtig bösen Krankheit zu tun. Bei einer Grippe geht es ihnen im Idealfall nach einer Woche wieder besser, die Spätfolgen einer Covid-Infektion hingegen fallen deutlich ausgeprägter und schwerwiegender als bei anderen Viruserkrankungen der Lunge aus. Hier beginnen wir frühzeitig mit unserer pneumologischen Frühreha“, erklärt Kurz.

Selbst bei leichten Verläufen sei mit lang anhaltenden Spätschäden zu rechnen, schwere Fälle, die stationär im Krankenhaus behandelt werden müssen, bedürften in nahezu allen Fällen einer Lungen-Reha, die dann aber auch deutlich positive Entwicklungen zeigen.

Die Behandlung

In der stationären Behandlung hat man ebenso dazu gelernt. Inzwischen ist klar, dass das Virus nicht nur die Lunge befällt, sondern auch in anderen Organen wie Leber, Niere und Gehirn direkte Effekte hat oder für Blutgerinnsel sorgen kann. „Dabei handelt es sich um sogenannte „Immunthromben“, das ist etwas komplizierter als bei einer herkömmlichen Trombose. Zur Behandlung gehören deswegen auch wohl dosierte Blutverdünner“, erläutert der Arzt.

Eine weitere Erkenntnis, die man bereits früh gewonnen hat, betrifft die Art der Beatmung. An der Neustädter Klinik sieht man solange wie möglich von invasiven Beatmungsmethoden, sprich einer Intubation ab. „Wir versuchen die Patienten soweit als möglich ohne invasive künstliche Beatmung durchzubringen und sie über nicht-invasive Maßnahmen zu stabilisieren. Erst wenn es nicht mehr anders geht, greifen wir zur künstlichen Beatmung. Mein Kollege, Prof. Laier-Groeneveld, der seit diesem Jahr bei uns ist, und ich haben hier sehr positive Erfahrungen damit gemacht.“

Verschlechtert sich die Lage des Patienten rapide, kann auch die sogenannte „ECMO“ zum Einsatz kommen, die maschinengestützte Beatmung durch eine „künstliche Lunge“. Die medizinischen Hintergründe dieser Herangehensweise sind nicht eben leicht zu erklären und fußen unter anderem auf radiologischen Studien eines italienischen Mediziners, sowie auf Daten die zeigen das intubierte Patienten eine deutlich höhere Sterberate, zwischen 50 und 60 Prozent, aufweisen. „Im Grunde verläuft die Krankheit in drei Phasen. Phase eins ist die Infektion, Phase zwei die direkte Immunreaktion des Körpers und Phase drei die weitere Immunreaktion. Entscheidend scheint Phase 2 zu sein. Wenn sich der Körper hier nicht gut gegen die Infektion wehren kann, steigt die Wahrscheinlichkeit dass Phase 3 stärker ausfällt und man dann Bilder sieht, die einem akuten Lungenversagen ähneln. Müssen Patienten dann intubiert werden, steigt das Risiko, dass sie die Krankheit nicht überleben, deutlich“, erläutert der Chefarzt.

Intensivpatienten, die nicht beatmet werden müssen, bringt man über Nacht in Bauchlage. Bei Patienten mit Atemnot wird der verminderte CO2-Ausstoß durch vermehrte Atemtätigkeit kompensiert, was zu Problemen führen kann. „Patienten induzierte Lungenschäden“ können die Folge sein. „Stellen Sie sich vor, dass Sie statt 16 mal in der Minute 36 mal atmen. Das ist in etwa so als würden Sie ohne Unterbrechung einen Marathon nach dem anderen laufen. Irgendwann überanstrengt das die Lunge, es kann zu Schädigungen kommen und das Fortschreiten der Erkrankung begünstigen. In der Bauchlage drückt weniger Last auf die Lunge, dass zur Verfügung stehende Volumen vergrößert sich, die einzelnen Lungenareale werden besser belüftet und die Mehrarbeit des Körpers wird verringert“. Zusätzlich wird Patienten Vitamin D3 verabreicht, ein wichtiger Baustein der menschlichen Abwehrmechanismen, den der Körper in natura nur bilden kann, wenn er ausreichend Sonnenlicht abbekommt. Medikamente wie das in den USA verwendete „Remdesivir“ wirken bis dato vor allem in der Verkürzung der Symptome bei leichten Verläufen und sind in der Fachwelt eher von untergeordneter Bedeutung.

Prävention

Besser also, wenn man sich den Virus gar nicht erst einfängt und die Ausbreitung möglichst verhindert. Der beste Weg dahin seien im Moment „Masken, Masken, Masken“, sagt Kurz. „Am besten sind medizinische FFP 2und FFP 3 beziehungsweise N95 Masken die eine hohe Filterung bieten und 95% der Partikel zurückhalten können. Im Frühjahr waren solche Masken auch für uns nur schwer zu bekommen, inzwischen ist das leichter. Risikopatienten würde ich raten, das Geld für FFP 2 Masken in die Hand zunehmen. Die „Community-Masken“ sind zwar von unterschiedlicher Qualität und halten in der Regel weniger Partikel zurück, zeigen aber dennoch Wirkung, da die Reichweite von Aerosolwolken deutlich verringert und somit das Ansteckungsrisiko für andere Personen deutlich gesenkt wird. Die Verbindung von Mund-Nasen-Schutz und dem einhalten der Abstandsregelnist deswegen besonders wichtig.“

Im Neustädter Krankenhaus ist man noch einen Schritt weiter gegangen und trägt im Umgang mit Intensiv-Patienten spezielle Druckluft-Helme mit akkubetriebenen Filtersystemen, die nahe an eine 100% Filterung herankommen. Abseits davon hat das Personal im Haus stets FFP 2 Masken zu tragen. Ein Restrisiko bleibe aber immer, unterstreicht Kurz, egal wie gut die Maske ist.

Wie kommen wir da wieder raus?

Eine „Durchseuchung“ der Bevölkerung als Ausweg aus der Krise sei aus mehreren Gründen unrealistisch, meint der Arzt. Wolle man dieses Ziel innerhalb eines Jahres erreichen, wäre ein Kollaps des Gesundheitssystems unausweichlich, da es schlicht nicht möglich wäre, alle Erkrankten adäquat zu versorgen.

„Wenn wir das dennoch machen wollten, dann würde das bedeuten, dass man Menschen ab einem bestimmten Alter einfach zu Hause sterben lässt. Das klingt hart, muss aber leider so brutal gesagt werden“. Kein gangbarer Weg also, zumal nicht feststeht ob eine Durchseuchung überhaupt möglich ist. Wie lange die Immunität im Körper nach einer Covid-Erkrankung anhält, gehört zu den zentralen und ungeklärten Fragen der Pandemie.

Nachweise von Immunglobulinen im Blut deuten daraufhin, dass die Zahl der Antikörper schnell abfallen kann, die Immunreaktion also schwächer wird. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass die Immunität auf Null sinkt. Auch besteht die Möglichkeit, dass der Erreger, ähnlich wie Windpocken oder Herpes, „persistent“ ist, sich also auch nach ausgestandener Erkrankung weiter im Körper befindet und bei einem ausreichend geschwächten Immunsystem erneut für Ärger sorgt. Gesichertes Wissen hierzu gibt es nicht, dafür sei die Krankheit schlicht zu neu und die Datenlage entsprechend dünn, erklärt Kurz.

Bleibt die Impfung. Mit einem verlässlichen Impfstoff der auf der Basis einer guten Datenlage und in ausreichender Menge vorhanden ist, sei erst Mitte des kommenden Jahres zu rechnen, so die Einschätzung des Mediziners. Aber auch hier stellt sich die Frage nach der effektiven Dauer der immunisierenden Wirkung. Gut möglich das sich der Virus nicht mit einer groß angelegten Impfkampagne aus dem Weg räumen lässt und es wiederholt zu begrenzten Ausbrüchen kommt, schon allein weil sich nicht jeder wird impfen lassen.

Auf kurze Sicht sei eine Verbesserung der Lage unwahrscheinlich, meint der Chefarzt. Nicht wenn die Menschen in der kalten Jahreszeit enger zusammenrücken und mehr Zeit in geschlossenen Räumen verbracht wird. „Es gibt viele Leute, die den Virus mit sich herumtragen, ohne etwas zu merken. Aber es gibt auch ausreichend Verantwortungslose, die sich bei Symptomen wie Fieber und Geruchs- und Geschmacksverlust noch unter das Volk mischen. Diesem Umstand haben wir auch die massiv steigenden Zahlen der letzten Zeit zu verdanken. Hätten wir uns schon im Sommer besser an die Regeln gehalten, wäre die Situation jetzt wahrscheinlich eine andere“.

Langfristig halte er eine Kombination aus Impfung und verbesserten Therapien für den realistischen Weg. „Es ist gut möglich, dass wir dem Virus in Zukunft auch medikamentös beikommen können, je besser wir den Erreger verstehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass das gelingt. Als der HIV-Virus in den achtziger Jahren grassierte, wusste man so gut wie nichts. Heute kann ein HIV-Infizierter bei ausreichend guter medizinischer Versorgung mit einem ähnlich langen Leben wie ein gesunder Mensch rechnen.“

Für’s erste heißt es also weiterhin: Maske tragen, Abstand halten, öfter mal lüften und größere Menschenansammlungen meiden, auch wenn es Freunde und Verwandte sind. Im Landkreis Nordhausen ist man damit bis jetzt gut gefahren. Ob das Land als Ganzes die Situation wieder in den Griff bekommen und die Fallzahlen senken kann, hängt vom verantwortungsvollen Handeln seiner Bewohner ab.
Angelo Glashagel
Autor: red

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