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MUSLIMISCHE THEOLOGEN WOLLEN DEN DIALOG

Ein Mord und der Mut zur Wahrheit

Dienstag, 20. Oktober 2020, 17:53 Uhr
Ein Mensch wurde enthauptet. Erst wurde ihm die Kehle durchschnitten, dann die Wirbelsäule durchtrennt. Die Tat erinnert an das finsterste Mittelalter. Doch sie geschah kürzlich am helllichten Tag unweit von Paris. Anmerkungen von Kurt Frank...


Der Mord raubte auch Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron die Fassung. Mit dramatischen Worten, einer Kriegserklärung gleichend, drohte er dschihadistischen Extremisten: „Die Angst wird die Seite wechseln. Islamisten dürfen in unserem Land nicht ruhig schlafen!“ Das habe er, ließ der Elysee-Palast verlauten, vorgestern Abend im Verteidigungsrat betont.

Die grausame Enthauptung des Lehrers Samuel Paty setzte Frankreich unter Schock. Der Staat reagiert mit einer Verhaftungswelle ohnegleichen. Um Meinungsfreiheit über Mohammed-Karikaturen ging es dem Lehrer in einem Bürgerkundeunterricht. Das kostete ihm das Leben. Nun sagt der Präsident den Islamisten den Kampf an. An Vorwänden mangelt es ihm nicht. Was er an Fakten darlegte, ist für jeden gebildeten Menschen unfassbar:

Von geheimen Schulen sprach Macron, in denen schon siebenjährige Mädchen voll verschleiert sein müssen. Von Jugendlichen in verlorenen Stadtvierteln, die von der Botschaft des Hasses angezogen würden. Die Rede war von Eltern, die ihre Töchter mit einem Attest über eine angebliche Chlorallergie vom Schwimmunterricht fernhalten. Von religiösen Extremisten geleiteten Sportclubs, kurzum von Parallelgesellschaften, in die der Staat nicht mehr vordringe, in denen sich Menschen unbemerkt radikalisierten, berichtete der Präsident.

Alte Wunden brachen wieder auf: Das Trauma des islamistischens Terrorsanschlags auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ 2015, dem elf Menschen zum Opfer fielen, war der Beginn einer Kette von Attacken, die Frankreich erschütterten. Hätte nicht schon damals der Staat drastisch reagieren müssen“, fragen sich heute viele Franzosen. Wieder gehen Zehntausende für Meinungsfreiheit auf die Straßen. Endlich zeigt sich der Präsident kampfbereit. Die Schule, sagt er, sei gefragt, Aufklärung und Bildung.

Ich vermisse ihn, den öffentlichen Aufschrei der Politik hierzulande. Haben gewisse Gutmenschen nichts zu sagen? Gab es eine Demo für den gemeuchelten Lehrer, so wie für den Angloamerikaner, der bei einem Polizeieinsatz ums Leben kam? Die Politik hält sich auffallend bedeckt. Aus gutem Grund, vermute ich:

Haben wir nicht auch hierzulande solche Zustände, wie sie Präsident Emmanuel Macron für sein Land schildert? Machte nicht schon vor Jahren der ehemalige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neuköln, Heinz Buschkowsky, in seinem „Hauptstadtbrief“ auf allmähliche Veränderungen in der Gesellschaft aufmerksam? Wie Macron beschrieb Buschkowsky Bestrebungen, die darauf abzielen, Demokratie zu untergraben. Parallelgesellschaften, in die der Staat nicht mehr vordringe, sagt der Präsident. Und die in Deutschland?

Nun planen Ahmadi-Muslime im November eine öffentliche Kampagne in Nordhausen, war zu lesen. Sie wollen Vorurteile abbauen und Fragen beantworten. Liebe für alle, Hass für keinen sei ihre Botschaft. Sagt Suleman Malik, Thüringer Landessprecher der islamischen Reformgemeinde.

Hand in Hand mit dem Leipziger Iman Umer Malik, mit dem er nicht verwandt ist, will er öffentlich auftreten. Man sei eine Reformgemeinde, aber wertkonservativ. In der Ahmadi-Gemeinde sei kein Platz für Feindseligkeiten, sagt Iman Umer Malik. Der Islam predige keinen Hass. Religion legitimiere ihn nicht, aber sie werde politisch missbraucht.

Das Wort Reform klingt wohlwollend. Dialoge mit den muslimischen Theologen, wie sie Suleman und Umer Malik in Nordhausen führen wollen, begrüßen wir. An drei Tagen planen sie Informationsstände im Zentrum der Stadt. Man warte auf die Genehmigung der Termine. Führen wir Dialoge mit ihnen. Hören wir, was sie unter Reformen verstehen. Oder zum Thema Gleichberechtigung. Vor Gott sind Mann und Frau gleich, sagt Iman Malik. Worte allein, müsste er wissen, machen keine Gleichberechtigung.

Kollege Olaf Schulze will in seiner heutigen Betrachtung ein Zeichen für Meinungsfreiheit setzen. Dem möchte ich Nachdruck verleihen. Und die muslimische Gemeinde in der Stadt, die sich regelmäßig zum Gebet mit ihrem Iman trifft, fragen, was sie darunter versteht. Blieb doch eine öffentliche Wortmeldung zur Mordtat bislang aus.
Kurt Frank
Autor: red

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