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Kai Buchmann zur Übergabe des städtischen ÖPNV an den Kreis

Nordhausens Oberbürgermeister befragt sich selbst

Mittwoch, 23. September 2020, 13:25 Uhr
In einem Interview mit der eigenen Pressestelle befürchtet das Stadtoberhaupt eine kommunale Pleite, sollte die Straßenbahn nicht an den Landkreis abgegeben werden. Am Ende des Gesprächs droht er den Stadträten, als Schuldige dafür dazustehen, wenn sie ihm keine Handlungsvollmacht erteilen …

Nordhausens Oberbürgermeister Kai Buchmann (Foto: nnz-Archiv) Nordhausens Oberbürgermeister Kai Buchmann (Foto: nnz-Archiv)


Die Stadträte wollten in der letzten Stadtratssitzung klare Aussagen von ihrem Verwaltungschef, wie er sich die Übergabe von Teilen des städtischen Personennahverkehrs an den Landkreis vorstellt. Oberbürgermeister Buchmann wollte erst einmal ein Mandat seiner Räte, um mit dem Landkreis zu verhandeln. Die Skepsis der Volksvertreter konnte er nicht zerstreuen und musste sich einige Kritik an seinen Plänen von den Fraktionvorsitzenden anhören.

Nun geht der Oberbürgermeister mit seiner Idee in die Offensive, erläutert seinen Standpunkt und läßt sich, entgegen sonst üblicher medialer Gepflogenheiten, von seiner eigenen Pressestelle befragen. Inwieweit dieses "Gespräch" auf das in letzter Zeit angespannte Verhältnis der Rathausspitze zu den lokalen Medien Rückschlüsse erlaubt, soll hier nicht diskutiert werden. Das Ergebnis dieses ungewöhnlichen Gesprächsformats wurde auf der Homepage der Stadt Nordhausen veröffentlicht.

Wir erfahren darin viel über die finanziellen Sorgen der Stadt (EVN und SWG werden zukünftig die eingefahrenen Verluste der Straßenbahn nicht mehr kompensieren können) und warum jetzt reagiert werden müsse. Zitat Buchman: „Dies gefährdet die Abarbeitung der tatsächlich pflichtigen Aufgaben der Stadt Nordhausen, wie Kindertagesstätten, Schulen, Straßen, Brücken, Feuerwehrwesen usw., denn in der Stadt Nordhausen kann jeder Euro nur einmal ausgegeben werden. Hier sind wir als Stadt allein zuständig und Hilfe v.a. aus dem Landratsamt Nordhausen ist nicht zu erwarten, ich erinnere nur an die negative Stellungnahme zum Feuerwehrneubau.“

Und der Oberbürgermeister legt in seiner unnachahmlichen Art nach: „Dieses Dilemma ist in meinen Augen größer als das Dilemma einiger Stadträte, eine Entscheidung zur Abgabe des 1996 freiwillig übernommenen städtischen ÖPNV-Teils zu treffen.“

Im weiteren Verlauf befragen ihn seine Angestellten, ob es denn keine anderen Einsparpotentiale gäbe und was ihn an einer Diskussion um Fördermittel stören würde. Dann folgt die Attacke gegen den Landrat mit der Frage:
Also legt die Stadt beim städtischen ÖPNV-Teil nicht die Hände in den Schoss und wartet auf die Abgabe, wie seitens Landrat Jendricke suggeriert?
„Mitnichten!“
antwortet Kai Buchmann und empört sich über die Aussagen, es würde von städtischer Seite nichts in den ÖPNV investiert.
Der zweite Teil der Antwort geht dann ans Eingemachte: „Der ÖPNV ist für die kreisangehörige Stadt Nordhausen eine freiwillige Aufgabe, für den Landkreis eine pflichtige! Von daher bleibt festzustellen, dass es seit 1996 im Landratsamt kein Interesse an der Zusammenfassung an der Daseinsvorsorgeaufgabe „ÖPNV im Landkreis Nordhausen“ gab, denn ein einfacher Brief hätte für die Übertragung wahrscheinlich gereicht. Wir als Stadt erfüllen unsere Daseinsvorsorgeaufgaben, z.B. Stadtentwässerung, Feuerwehr usw. Dafür müssen wir dauerhaft finanziell handlungsfähig bleiben.“

Die nnz hätte an dieser Stelle nachgefragt, warum das Landratsamt denn einen solchen Brief schreiben sollte, wenn die Stadt die Aufgabe doch seit 1996 freiwillig übernommen und bisher klaglos ausgeführt hatte?

Die Verwaltungs-Pressestelle möchte als nächstes von ihrem Chef wissen, warum er nicht parallel mit dem Landrat verhandeln würde. Darauf antwortet Buchmann sinngemäß, dass er auf die Richtungsentscheidung des Stadtrates warte. Natürlich habe er nicht vor, den „Stadtrat durch intransparente Hinterzimmer-Deals zu hintergehen“, beteuert Buchmann ungefragt.

Zum Schluss wird der Oberbürgermeister sehr deutlich und wir zitieren hier vollständig die letzte Fragestellung mit der kompletten Antwort:

Was würde passieren, wenn Sie ohne Mandat des Stadtrates Verhandlungen führen würden?
Was sollte ich dem Landrat anbieten? Wie schwach würde ich gegenüber dem Landratsamt „aufkreuzen“, ohne eine Tendenz oder besser einen Beschluss im Rücken? Man geht in Verhandlungen von solch einer Tragweite und hat ein Mandat oder man lässt es sein!
Erhalte ich kein Mandat vom Stadtrat der Stadt Nordhausen ist dies auch eine handhabbare Aussage, nämlich, dass der Stadtrat sehenden Auges die finanzielle Handlungsfähigkeit und somit die Aufgabenerfüllung im pflichtigen und freiwilligen Bereich dauerhaft riskieren möchte. Dies könnte unter Umständen sogar in die erneute, diesmal planmäßig 10 Jahre dauernde Pleite der Stadt Nordhausen führen.“


Das vollständige Gespräch zwischen Oberbürgermeister und Pressestelle der Stadt Nordhausen ist nachzulesen auf der Stadtseite (nordhausen.de).

Der nnz fielen auch noch ein paar andere Fragen für die städtische Pressestelle ein, sollte dieses Modell der Öffentlichkeitsarbeit sich als effizient erweisen und eine Wiederholung erleben.

Beispielsweise würde uns interessieren:
Mit wem von den Fraktionen oder einzelnen Räten wurde im Vorfeld über die Übergabe der Straßenbahn an den Landkreis gesprochen, ehe der Wunsch in der Öffentlichkeit lanciert wurde?

Wie gestaltet sich die Zukunft der Stadtwerke-Holding, wenn der komplette Bereich ÖPNV daraus entnommen wird?

Ist dies rechtlich und unter welchen Bedingungen bzw. Fristen überhaupt möglich?

Wie kann eine bürgerfreundliche Taktung der Straßenbahn in Nordhausen gewährleistet werden, wenn der Landkreis sie übernimmt?

Kann die Straßenbahn als ein bedeutender Identifikationsträger der Nordhäuser weiter bestehen bleiben wie bisher, wenn der Kreistag über die Modalitäten entscheidet?
Olaf Schulze
Autor: osch

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