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Jendricke: Der Stadt mangelt es an Solidarität

Mittwoch, 09. September 2020, 07:00 Uhr
In der vorigen Woche hatte die nnz über politische Diskussion in Nordhausen berichtet, deren Folge die Abgabe der Trägerschaft über die Straßenbahn und des gesamten Öffentlichen Personennahverkehrs sein könnte. Adressat wäre der Landkreis Nordhausen. Was sagt aber der dazu? Die nnz sprach mit Landrat Matthias Jendricke…

Hier treffen sich Bus und Bahn. (Foto: nnz) Hier treffen sich Bus und Bahn. (Foto: nnz)
nnz: Herr Jendricke, Was sagen Sie zur momentanen Diskussion im Rathaus und im Stadtrat?

Matthias Jendricke: Ich kenne die Diskussion bisher auch nur aus der Presse, da die Stadtverwaltung bisher keine Gespräche mit uns zur Verkehrsübernahme geführt hat. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass sich die größte Stadt in Nordthüringen selbst ihrer Ausstrahlungskraft beraubt und sich wie auch in anderen Themen selbst kleinredet. Anlass der Diskussion sind wohl Prognosen, dass die Gewinne der EVN schrumpfen werden und somit die Finanzierung bei den Stadtwerken einschließlich der Verkehrsbetriebe zukünftig schwieriger wird. Daher möchte die Stadt nun offenbar die ÖPNV-Trägerschaft an den Landkreis abgeben. Diese kleinteilige Kostendiskussion sehe ich nicht mit einem solidarischen Ansatz besetzt.

nnz: Aber verhindern kann der Landkreis das nicht, oder?

Matthias Jendricke: Nein, in Thüringen sind entweder die kreisfreien Städte oder Landkreise Träger des ÖPNV. Lediglich Nordhausen hat als einzige große kreisangehörige Stadt diese Trägerschaft in den 1990er Jahren aufgrund des eigenen Straßenbahnnetzes übernommen. Wenn sich die Stadträte jetzt davon trennen wollen, dann sind wir als Landkreis natürlich gesetzlich verpflichtet, die Trägerschaft zu übernehmen.

nnz: Die Stadtverwaltung und die Fraktionen des Stadtrates haben einen Brief an das Innenministerium geschrieben und auf ihre Sachlage aufmerksam gemacht…

Matthias Jendricke: Ich kenne diesen Schriftwechsel, wonach die Stadt den ÖPNV im Landkreis nicht mitfinanzieren will und eine Absenkung der Kreisumlage einfordert. Diesen Vorstellungen folgt das Innenministerium nicht. Der Stadt wurde mitgeteilt, dass sie allenfalls die freiwillige Aufgabe des ÖPNV an den Landkreis abgeben könne. Damit würde dann die Trägerschaft für den Stadtverkehr an den Landkreis übergehen. Die Stadt aber auch auch die Hoheit über die eigene Straßenbahn abgeben - ein aus heutiger Sicht tatsächlich ökologisches Transportmittel. Ich kann dieses Ansinnen nicht nachvollziehen, denn der Öffentliche Nahverkehr und dessen künftige Ausgestaltung ist immer ein Faktor der Stadtentwicklung, der gerade in Zukunft noch mehr Gewicht haben wird. Und so könnte die Weiterentwicklung der Straßenbahn ein wichtiger Faktor auch für die weitere Entwicklung der Mobilität werden. Und genau das sollte sich eine Stadt mit mehr als 40.000 Einwohnern nicht aus der Hand nehmen lassen. Gerade wenn man auf eine 120jährige Straßenbahn-Tradition zurückblicken kann.

nnz: Mal angenommen, die Stadträte schließen sich den Intentionen der Rathausspitze an. Was passiert dann?

Matthias Jendricke: Ich denke, die Straßenbahn wird dann auch unter der Trägerschaft des Landkreises weiterfahren. Da es der Stadt ja immer um eine gleiche Finanzierungsform geht, muss man natürlich beachten, dass ein innerstädtischer Verkehr in dieser Form derzeit vom Landkreis in keiner anderen Kommune finanziert wird. Deshalb wird beispielsweise eine enge Taktung der Straßenbahn nur durch eine zusätzliche Zahlung der Stadt gewährleistet werden können. Hintergrund ist die Tatsache, dass den anderen Kommunen im Landkreis Nordhausen ein dichter Takt in der Kreisstadt finanziell nicht zugemutet werden kann, wenn auf den Dörfern der Bus vielleicht nur zweimal am Tag fährt. Aber letztendlich entscheiden dies die 46 Kreistagsmitglieder aus dem gesamten Landkreis, nicht der Landrat alleine. Natürlich liegt mir als Nordhäuser die Straßenbahn sehr am Herzen, die ich schon als Kind für meinen Schulweg genutzt habe. Ob das für alle zukünftigen Landräte auch so eine Herzensangelegenheit ist, weiß ich nicht.

nnz: Was würde mit den gemeinsamen Verkehrsbetrieben von Stadt und Landkreis passieren?

Matthias Jendricke: Derzeitig gibt es eine gemeinsame Verkehrsgesellschaft von Stadt (70%) und Landkreis (30%) innerhalb der Stadtwerkegruppe. Die Verkehrsbetriebe würde es dieser Form aus gesetzlichen Gründen nicht mehr geben. Denn als Träger des gesamten ÖPNV muss der Landkreis dann auch uneingeschränkt auf die Geschäfte des Unternehmens genau wie bei einer eigenen Dienststelle durchgreifen können, damit die Verkehrsleistungen nicht noch europaweit ausgeschrieben werden müssen. Das schreibt die EU so vor. Ich könnte mir vorstellen, dass die 100% landkreiseigenen Verkehrsbetriebe zum Beispiel eine Untergesellschaft der Service Gesellschaft werden. Aus der städtischen Holding müssen sie auf jeden Fall herausgelöst werden. Ob die Holding der Stadt dann überhaupt noch Bestand haben wird, wage ich ebenso zu bezweifeln wie die Tatsache der Steuerfreiheit der EVN-Gewinne, die durch die jetzige Querfinanzierung möglich ist.

nnz: Andererseits ist die Stadt dann aber auch einen Kostenfaktor los …

Matthias Jendricke: Dem ist nicht ganz so, denn für die Aufrechterhaltung des Haltestellen- und Gleisnetzes ist die Stadt weiter verantwortlich. Das bedeutet, dass man zum Beispiel für die weitere Ausgestaltung von barrierefreien Haltestellen auch in Zukunft Geld ausgeben werden muss. Denn auch bisher haben die Landkreisgemeinden die baulichen Voraussetzungen wie Haltestellen selbst finanziert. Das würde auch für die Stadt gelten. Aber dieser gesamte Diskussionsprozess hat für mich noch eine andere Seite.

nnz: Und die wäre?

Matthias Jendricke: Die der Solidarität. Innerhalb der kommunalen Gemeinschaft eines Landkreises sollte es ein gewisses Maß an Gemeinschaftssinn geben. Letztlich finanziert der Landkreis auch das Theater in der Stadt Nordhausen mit. Und dabei leisten auch die Umlandgemeinden sogar mehr als eigentlich notwendig ist. Wir geben jährlich 15 Prozent, also mehr als eine Million Euro in die Theater GmbH und fragen auch nicht permanent, wo die Menschen herkommen, die in den Genuss von subventionierten Theaterkarten kommen. Was für mich aber noch viel wichtiger ist: Rathaus und Stadtrat würden die Hoheit über eine Institution abgeben, die zu Nordhausen gehört wie der Roland oder der Doppelkorn. Anstatt darüber nachzudenken, wie die Straßenbahn in zehn Jahren angetrieben wird, wie vielleicht das Liniennetz ausgebaut und mit dem der HSB zusätzlich verknüpft werden kann, soll unter eine 120 Jahre alte Tradition ein politischer Schlussstrich gezogen werden.

nnz: Und wie könnte die Zukunft der Straßenbahn Ihrer Meinung nach aussehen?

Matthias Jendricke: Ich bringe gern das Beispiel der Verknüpfung der Linie 2 an der Parkallee mit der HSB an. Wir könnten für rund 10.000 Menschen in den Südharz-Gemeinden und für den Stadtteil Salza einen ökologisch sinnvollen, noch schnelleren Weg in die Nordhäuser Innenstadt schaffen. Ich denke, dass davon auch die Stadt maßgeblich profitiert. Und da in dieser Gemengelage auch das Land Thüringen als Finanzier auftritt, könnte es durchaus auch eine ökonomisch komfortable Lösung geben, denn schon bei dem Duo-Betrieb auf der Linie 10 ist kein Zuschuss erforderlich. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch für die Stadträte zu wissen, dass Ende dieses Monats die Beantragung von Investitionsfördergeldern beim Land endet. Während andere Städte mit Straßenbahnen wie Gera, Jena oder Erfurt derzeitig Millionensummen an Fördergeldern zur zukunftssicheren Gestaltung ihrer Fuhrparke erhalten, kenne ich aus Nordhausen nicht mal die nötigen Förderanträge. Noch einmal zurück zur Anbindung der Linie 2 an die Gleise der HSB: Warum sollen dabei künftige Duo-Fahrzeuge nicht mit Hilfe der Wasserstofftechnologie angetrieben werden, bei der HSB gibt es sogar Bestrebungen, eine Dampflok auf Wasserstoffantrieb umzurüsten. Wir sollten in die Zukunft blicken und den ÖPNV in unserer Region weiterentwickeln.

nnz: Weg von der Trägheit der Stadtverwaltung, der Blick in den Stadtrat. Der scheint den Intentionen der Verwalter zu folgen…

Matthias Jendricke: Damit das klar ist: Der Landkreis hat keine Angst davor, den ÖPNV der Stadt zu übernehmen. Wir stehen zu unseren Aufgaben der Daseinsvorsorge. Denn es ist uns wichtig, dass Schüler zu ihren Schulen und Menschen auch mit dem ÖPNV gut zur Arbeit kommen und Senioren weiterhin mobil bleiben. Ärgerlich ist allerdings, dass das Rathaus eine einseitige Informationspolitik gegenüber dem Stadtrat betreibt. Mehr noch, das Rathaus will keinen Gedankenaustausch mit dem Landkreis im Vorfeld einer solch schwerwiegenden Entscheidung. Ich hoffe, dass die Stadträte, die auch im Kreistag sitzen, an mehr Informationen interessiert sind und wir somit zu einer guten Lösung kommen können.

nnz: Abschließend eine Frage zu ihrer politischen Zukunft. Man bringt Sie hin und wieder mit Oberbürgermeister-Ambitionen in Zusammenhang. Im nächsten Jahr wird es aber erst einmal Landratswahlen geben. Werden Sie antreten?

Matthias Jendricke: Diese Frage kann ich mit einem klaren Ja beantworten und mir macht die Aufgabe als Landrat großen Spaß. Ich will auch nicht nach Erfurt gehen, wie manche immer wieder behaupten.
Mit Matthias Jendricke sprach Peter-Stefan Greiner
Autor: psg

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