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IM NACHHINEIN BETRACHTET: TREUHAND

Tanz um das Goldene Kalb

Sonnabend, 15. August 2020, 09:00 Uhr
Es war ein bewegendes Finale und krönender Abschluss der Sonderausstellung des IFA-Museumsvereins, die Treuhand-Schicksale in den Mittelpunkt gerückt hatte. Und Christa Luft, Ökonomie-Professorin und beredte Zeitzeugin, sprach Klartest: Wie mit einer Sichel habe die Treuhand die DDR-Wirtschaft niedergemäht, sei verantwortlich für die Vernichtung von Produktionsvermögen, habe die Menschen behandelt wie eine Sache, Millionen Arbeitslose verursacht...

Traurige Überreste eines einstigen Vorzeigebetriebes in der Rothenburgstraße. (Foto: Kurt Frank) Traurige Überreste eines einstigen Vorzeigebetriebes in der Rothenburgstraße. (Foto: Kurt Frank)
Was jüngere Generationen nicht wissen: Christa Luft war vor 30 Jahren DDR-Wirtschaftsministerin. Da relativiert sich einiges. In ihrer Funktion müsste sie wissen, wie es um die Wirtschaft der DDR im Allgemeinen und im Besonderen wirklich bestellt war. Frust und Verbitterung der Christa Luft sind da schon aus einem anderen Blickwinkel zu bewerten.

War es nur die Treuhand, die Böse Birgit Breuel, die verhasste Frau, die alles niedermachte? Waren wir im Osten völlig unschuldig am Untergang der Wirtschaft der DDR?

Hatte nicht die DDR-Volkskammer die Treuhand beschlossen? Hatte nicht ein Günter Krause als Ostdeutscher den Vertrag zur Herstellung der Deutschen Einheit mit ausgehandelt? Wo blieben ihre Einsätze zum Schutz der ostdeutschen Wirtschaft, vor allem solcher Betriebe, die wirtschaftlich rentabel arbeiteten? Da wunderte sich ein Wolfgang Schäuble über seinen Verhandlungspartner, mit dem er ein leichtes Spiel zu haben schien. War es der Blick auf die zu erwartenden blühenden Landschaften, die feste Währung, die keinen nennenswerten Widerstand hervorbrachten? Oder letztlich doch die Siegermentalität, der man unterlag?

Absolut recht hat Professorin Luft, wenn sie beklagte: Die bei der Treuhand nach ostdeutschen Betrieben zugreifen durften, fragte man nicht, ob sie überhaupt dafür qualifiziert waren und was sie vorzuweisen hatten. Vielen ging es nur um das schnelle Geld. Ein Tanz um das Goldene Kalb. Dafür gibt es im Landkreis zahlreiche Belege. Einer davon: die Kaffeerösterei Drei Streif, ein Vorzeigebetrieb in der DDR. „Wir arbeiteten kostendeckend“, erzählt Ex-Produktionsleiter Jürgen Kucher.

Das Unternehmen Tchibo übernahm. "Am Erhalt unseres Betriebes war es nicht interessiert", ist Kucher überzeugt. In der Belegschaft habe es Bestrebungen gegeben, den Betrieb selbstständig weiter zu führen. Dass es schwer werden würde, wusste man. Als Heilsbringer setzte die Treuhand schließlich einen gelernten Drogisten aus Bayern ein. Alle Ermahnungen, in neue Technik zu investieren, fruchteten nicht. Er wüsste es besser, was zu tun sei. Das Ergebnis kennen wir

Weiteres Beispiel: IFA-Motorenwerke. Da hatte die Treuhand einen Mann aus Bayern (?) hingesetzt, der absolut keinerlei Referenzen mitbrachte. Arbeit wollte er den „Leiten“, wie er, mundartgerecht, meinte, beschaffen, dass sie schwarz würden, sagte er mir in einem Telefonat. Zu einem Treffen kam es nicht. Über Nacht und Nebel wollte sich der „Glücksbringer“ samt Ausrüstungen von dannen machen. Der Betrieb ist Geschichte.

Die Ifa war nicht marode. Im Gegenteil. Es war wohl politisch nicht gewollt und westdeutschen Konzernen ein Dorn im Auge, das dem einst größten Arbeitgeber im Südharz eine Zukunft gegeben werden sollte. Aber: Hatte da nicht ein Günter Krause, eine bekannte Persönlichkeit zur Wendezeit, das Blaue vom Himmel versprochen, von Motoren auf Rapsölbasis fabuliert und der Belegschaft wegweisend ein viel versprechendes Morgen prophezeit? Wo blieb im Nachhinein sein Einsatz für das traditionsreiche Werk?

Die Pleite setzte sich fort. Erbarmungswürdig der Anblick des ehemaligen Schlacht- und Verarbeitungsbetriebes in der Rothenburgstraße. 400 Leute standen in Lohn und Brot. Mit einer Warenproduktion von 220 Millionen Mark im Jahr war er führend im Bezirk Erfurt, sagt der langjährige Betriebsleiter Uwe Dörmann. Die Produkte waren gefragt. Das Ende kam mit Hans Löblein, einem Westimport. Ein Musterbetrieb für ganz Thüringen sollte es werden. Vorher müssten, tat sein Vertrauter Hans Stenglein kund, die „Roten Socken“ erst einmal gründlich Marktwirtschaft lernen.

War die DDR pleite? Ja und Nein. Vielfach wurde auf Verschleiß gefahren. Man setzte zwar einen Plattenbau nach dem anderen hin, hatte aber nicht die Mittel, Altbauten oder in die Jahre gekommene Plattenwohnungen zu sanieren. Nordhausen machte keine Ausnahme. Die Macher der Kommunalen Wohnungsverwaltung, heute SWG, wussten das nur zu gut. Auch die Oberen bei der Eisenbahn mit ihren Zügen auf ratternden Gleisen. Die Frage in den Geschäften lautete in der Regel so: Haben sie …?

Es gab ein gut funktionierendes Gesundheitswesen, schöne Kindergärten, billige Mieten. Das Schulwesen stand dem im Westen nicht nach. Es gab den Zusammenhalt der Menschen untereinander, wie wir ihn heute nicht mehr kennen. Aber auch Subventionen, die auf Dauer nicht zu halten waren, um alles preiswert und billig zu belassen. Über kurz oder lang wäre wohl die Pleite fällig geworden.

Die Treuhand mag ein Instrument westdeutscher Monopole zur schlagartigen Eroberung der Marktanteile der DDR-Industrie gewesen sein, aber die Situation der ostdeutschen Wirtschaft ist heute besser als ihr Ruf. Dank enormer Investitionen und Hilfen aus dem Westen entstanden Unternehmen, die zu sanieren oder zu erbauen die DDR niemals in der Lage gewesen wäre.

„Bitterfeld, Bitterfeld, wo der Dreck vom Himmel fällt“, hieß es in der Stadt. Stadt und Region waren von einer grünlich-grauen Patina bedeckt. Ungefiltert drangen die Abgase der Braunkohleverfeuerung aus den Schloten. Es stank zu jeder Jahreszeit. Für die Menschen unerträglich, weiß ich aus Erfahrung. Mit der Wende startete dort das größte Umweltsanierungsprojekt Ostdeutschlands.

Heute präsentiert sich Bitterfeld-Wolfen herausgeputzt, ähnlich wie der nahe gelegene Chemiepark. Einschließlich der Altstadt erstrahlten Städte und Dörfer. Nach positiven Beispielen brauchen wir auch hierzulande nicht lange suchen: Nordhausen, Schachtbau, Nordbrand, Nobas. Hinzu kommen namhafte Neuansiedlungen, über die wir schon berichteten. Es gab sie, die ehrlichen West-Investoren, die wirklichen Glücksbringer.
Kurt Frank
Autor: red

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