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Wurde der Töpferbrunnen wiederentdeckt?

Neue Funde am Theater

Montag, 27. Juli 2020, 16:07 Uhr
Hinter dem Nordhäuser Theater treten nicht nur Blindgänger zu Tage. Der jüngste Fund der Archäologen vor Ort ist deutlich älter. Was man zunächst für einen nicht weiter spektakulären Keller hielt, entpuppt sich möglicherweise als einer der acht alten Nordhäuser Brunnen…

Neue Funde am Nordhäuser Theater (Foto: Angelo Glashagel) Neue Funde am Nordhäuser Theater (Foto: Angelo Glashagel)

„Am Theater haben sie wieder etwas gefunden“. Als uns heute Mittag diese Nachricht erreichte, da schrillten sofort die Alarmglocken. Nicht schon wieder, denkt sich der Redakteur und in letzter Zeit stets betroffener Innenstadtbewohner, aber nein: heute ist es keine Bombe, die da zu Tage getreten ist, sondern ein anderer, weitaus älterer und gänzlich ungefährlicher Fund.

Fast sieben Meter haben sich Archäologe Andreas Egold und Baggerführer Peter Franke in den letzten Tagen in die Tiefe gegraben. Zunächst glauben sie einen alten Keller gefunden zu haben, keine Seltenheit in einer über 1000 Jahre alten Stadt. Den entscheidenden Hinweis, dass es sich bei dem Gemäuer um etwas anderes handeln könnte, gab schließlich Michael Garke. Der Lokalhistoriker befasst sich zur Zeit mit den „Sieben Wundern Nordhausens“ zu denen auch die sogenannten „Wasserkünste“ gehören. In einer Publikation aus dem Jahre 1901 stößt Garke auf Ausführungen des bekannten Nordhäuser Stadthistorikers Karl Meyer, der sich mit den acht mittelalterlichen Brunnen der Reichsstadt auseinandersetzt. Garke vermutet, dass es sich bei dem Schacht hinter dem Theater um den sogenannten „Töpferbrunnen“ handeln könnte. „Das ist eine der ausführlichsten Standortbeschreibungen in Meyers Text, das passt auf den Punkt genau“, schildert der Fotograf und Hobbyhistoriker.

Garke ist bei den Ausgrabungen dabei, macht Panoramaaufnahmen. „Wir dachten erst das sei ein Keller aber dann ging es immer tiefer und tiefer und hörte gar nicht mehr auf. Das war absolut irre“. Für die Archäologen ist es ein Glücksfund. Nachdem man sich vorsichtig durch anderthalb bis zwei Meter Weltkriegsschutt gebuddelt hatte, konnte man bis dato vor allem Hinterlassenschaften jüngeren Datums entdecken, allen voran natürlich die Blindgänger, die in den letzten Wochen und Monaten für hastige Evakuierungen der Innenstadt sorgten sowie mehrere Bombentrichter. Für den Mann im Bagger, Peter Franke, ist auch solch schwieriges Gelände zwar Routine, dennoch müsse man immer Vorsicht walten lassen. „Wir arbeiten uns Schritt für Schritt vor, da muss immer jemand dabei stehen und besonders auf Farbveränderungen im Boden achten.“ Das wachsame Auge (und die nötige Technik) haben die Mitarbeiter der Firma Tauber Delaborierung. „Tauber ist immer mit dabei, ohne die wird in Nordhausen nicht geschachtet“, sagt Franke.

Archäologe Andreas Egold (links) und sein Kollege Peter Franke mit einigen der gut erhaltenen Keramikfunde aus dem mutmaßlichen "Töpferbrunnen" (Foto: A. Müller) Archäologe Andreas Egold (links) und sein Kollege Peter Franke mit einigen der gut erhaltenen Keramikfunde aus dem mutmaßlichen "Töpferbrunnen" (Foto: A. Müller)

Neben dem Weltkriegserbe traten so auch die Überreste der Parkanlage des alten Vereinsheims zu Tage, die ungefähr auf die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert datieren. Die neuen Funde sind nun deutlich älter und dürften etwa aus dem 14. Jahrhundert stammen, vermutet Andreas Egold. Endgültige Sicherheit werde man aber erst nach eingehender Analyse der gefundenen Keramik haben.

Argumentative Schützenhilfe kann Garke via der Ausführungen Karl Meyers geben. Meyer schreibt 1901:

Der Töpferbrunnen, welcher aus älterer Zeit stammt, lag da, wo die Töpferhagenstraße (jetzt Schreiberstraße) auf die Töpferstraße stößt und ist im Oktober 1891 beseitigt worden. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war er verfallen. Im Jahre 1571 schritt man zu Wiederherstellung desselben“.

Ausschnitt aus einem Stadtplan von 1900 mit Ergänzungen von Michael Garke (Foto: Michael Garke) Ausschnitt aus einem Stadtplan von 1900 mit Ergänzungen von Michael Garke (Foto: Michael Garke)

Meyer kann zum Beleg ältere Quellen zu Rate ziehen und zitiert weiter:

Anno 1571 ist zu Erbauunge und Wiederaufrichtung des Tepfferbornes vom Rathe verordnet, daß ein jeder Brauer 2 Groschen, die Hintersattler aber 1 Groschen geben und kontribuieren sollen.“

Um den Brunnen wieder in Schuss zu bringen reicht das nicht, dass restliche "Kleingeld" sammelt man bei den Institutionen der Gemeinde ein, wie dem Elisabethhospital, St. Cyriaci, dem Martinstift und dem "Weinamt" ein. „In Summa“ kommen 72 Gulden, 12 Groschen, 8 Pfennige und 1 Heller zusammen, die Kosten aller Ausgaben belaufen sich schließlich auf 99 Gulden und sechs Pfennige. Planungssicherheit am Bau, so darf vermutet werden, gab es wohl auch damals nicht.

Warum aber stürzt sich die Reichsstadt in diese Unkosten? Michael Garke erklärt. „Wasser ist Leben und wo kein Wasser ist, da zieht auch keiner hin. Innerhalb der Stadtmauern war die Versorgungslage lange Zeit schwierig, wer Wasser brauchte der musste zur Zorge oder an den Mühlgraben, außerhalb der Stadt. Die acht Brunnen, die man im Spätmittelalter anlegt, sind ein erster Schritt diesem Problem zu begegnen. Als weite Teile der Stadt am 19. August 1540 einem Brand zum Opfer fallen (es handelte sich wohl um Brandstiftung am Königshof) geht man noch weiter und beauftragt einen gewissen Hans Laxner aus Sachswerfen die erste „Wasserkunst“ aufzustellen. Vom Standort der Rothleimmühle wurde dazu der „Kunstgraben“ abgezweigt und zum Altentor geführt. Von hier wurde das Wasser auf höhere Lagen gepumpt und dann von dort auf die weitere Stadt verteilt. Rund 50 Jahre später wird das System mit dem „Schöppmännchen“ als noch einmal höher gelegenem Zwischenspeicher durch Peter Günther aus Halle erweitert. Der vorläufige Endpunkt dieser Entwicklung war schließlich der Bau der Talsperre bei Neustadt ab 1904“.

Als Lösung des Wasserproblems waren die mittelalterlichen Brunnen wie der „Tepfferborn“ zwar brauchbar, in ihrer Qualität aber sicher alles andere als erquicklich. Auf einen Zugang zu Grundwasser musste man auf den Nordhäuser Höhen nicht hoffen, daher legte man sogenannte „Schichtwasserbrunnen“ an. Auch der etwa 3,5 mal 4 Meter große, quadratische Schacht hinter dem Theater dürfte eine solche Anlage gewesen sein und war ehedem wohl mit einem Gewölbedach versehen. Sein Wasser erhielt der Brunnen aus dem Abfluss der höher gelegenen Hügel, die heute die Oberstadt bilden, vermutet Garke. „Da kam so ziemlich alles zusammen, vor allem Schicht- und Sickerwasser. Aber wenn sich jemand oberhalb der Brunnen erleichtert hat, dann dürfte auch das kurze Zeit später in der Zisterne gelandet sein. Ich vermute das hier auch der Grund liegen könnte, warum man die „Elisabeth-Quelle“ als eines der sieben Wunder betrachtete. Das Quellwasser lief 24 Stunden am Tag und war, anders als das Brunnenwasser, sauber, ordentlich und von entsprechend großer Bedeutung für die Stadtbewohner“.

Sollte sich die Vermutungen des Archäologen und des Historikers bestätigen, hätten die Arbeiten am Theater ein weiteres Puzzleteil der langen Nordhäuser Stadtgeschichte aus dem Dunkel der Vergangenheit geholt. Wer sich indes selber ein wenig in die Materie einlesen mag, der findet einen Auszug aus Meyers Ausführungen zu den Nordhäuser Brunnen hier .
Angelo Glashagel

Update: Herr Garke war so freundlich uns auch die Langfassung der Meyer’schen Ausführungen zukommen zu lassen. Zur ausführlichen Lektüre geht es hier .
Autor: red

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