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Neustart im Filmpalast

Das Kino wird nicht sterben

Dienstag, 21. Juli 2020, 19:00 Uhr
Mit Katastrophen kennt man sich in Hollywood bestens aus. Was da aber Anfang des Jahres über die „Traumfabrik“hereinbrach, dass hatte man in der realen Welt so noch nicht gesehen. Die Schockwellen spürt man auch hierzulande - Stillstand allenthalben, Produktionen eingestellt, Filmstarts verschoben, die Kinosäle verwaist. In Deutschland sind die Lichtspielhäuser dabei sich wieder aufzurappeln, auch in Nordhausen. Ganz einfach ist der Neustart aber nicht…

Der Herr des Nordhäuser Kinos, Jürgen Deisting, kennt sich auch noch mit der alten Filmtechnik aus (Foto: agl) Der Herr des Nordhäuser Kinos, Jürgen Deisting, kennt sich auch noch mit der alten Filmtechnik aus (Foto: agl)
1951 reicht eine gute halbe Stunde Stillstand, um die Welt zum innehalten und zum nachdenken zu bewegen. Das passierte freilich nur auf der Leinwand, in „Der Tag an dem die Erde stillstand“ sind es Außerirdische, die den Erdenbewohnern die Auszeit aufzwingen. Fast 70 Jahre später ist es ein irdischer Bewohner, der die Welt als Ganzes und mit ihr auch die Filmfabriken und Kinos zum absoluten Stillstand bringt, nicht für ein paar Tage, sondern für Monate.

Mit der Ausbreitung des Corona-Virus kommt die Maschinerie der Traumfabriken, ob nun in Hollywood oder hierzulande, erst ins stottern und steht schließlich ganz still. Filmstarts werden verschoben, Produktionen auf Eis gelegt und die Kinosäle bleiben leer. Eine sehr reale Katastrophe, die man so noch nicht erlebt hat.

Definitiv nicht in Nordhausen. Jürgen Deisting leitet den Filmpalast im Herzen der Stadt seit 1993 und kann sich nicht erinnern, dass die Tore des Nordhäuser Kinos in den letzten 27 Jahren auch nur eine Woche lang geschlossen geblieben wären. „Etwas vergleichbares hat es noch nicht gegeben.“, sagt der Kinochef.

Seit gut drei Wochen versucht man nun, sich wieder in den Alltag zurückzukämpfen. Von Normalität kann derweil noch keine Rede sein, nicht nur wegen der Corona-Beschränkungen. Während das Leben in Deutschland vielfach wieder in alte Bahnen zurückkehrt, fährt die Maschinerie in Übersee nur langsam wieder an. Für den Neustart fehlt es deswegen bis dato vor allem an einem: neuen Filmen. Die Hoffnungen der Branche ruhen auf dem nächsten „Bond“, der Realverfilmung von Disney’s „Mulan“ und Christopher Noland’s „Tenet“, aber die kommen erst im August.

Wenn in Hollywood Ebbe herrscht, muss man sich am Nordhäuser Kino anderweitig behelfen. Zum einen wurden die Filme wieder ins Programm aufgenommen, deren Zeit auf der großen Leinwand durch Corona jäh unterbrochen wurde. Zum anderen will man das Publikum mit Klassikern und Kultfilmen wieder in die Säle locken. Das „Casablanca“ (aus dem Jahr 1942) anno 2020 noch einmal in Herzen der Thüringer Provinz im Kino zu sehen sein würde, hätte vor einem Jahr sicher niemand erwartet. „Kultkino“ nennt Deisting die neue Reihe und hat neben dem Schwarz-Weiß-Klassiker auch Publikumslieblinge wie „Matrix“ oder „Inception“ zum reduzierten Eintrittspreis ins Programm aufgenommen. Die Reihe will man in den kommenden Wochen beibehalten. Auf dem Programm stehen unter anderem „Der Weiße Hai“, „Zurück in die Zukunft“, „La La Land“, „Vertigo“ und Quentin Tarantinos „Inglorious Basterds“.

„Wir haben den Zuspruch schon gemerkt. Die Leute haben darauf gewartet, dass es wieder losgeht. Wir waren in den letzten Wochen sogar ein paar mal „ausverkauft“, wobei man natürlich die Einschränkungen in der Platzvergabe bedenken muss.“, erzählt Deisting. Dass man sich mit Alternativen in der Programmgestaltung schon eine Weile auskennt, dürfte dem Filmpalast jetzt zu Gute kommen. Schon vor der Krise war man darauf bedacht, dem Publikum eine gewisse Abwechslung zu bieten. Da ist zum einen das lange etablierte „Montagskino“, dass auch etwas schwerere Kost Abseits des Blockbuster-Mainstreams nach Nordhausen bringt und bald wieder anlaufen soll. Zum anderen bedient man seit einiger Zeit in schöner Regelmäßigkeit „Spezialinteressen“, etwa mit der „Anime-Night“ für Freunde des japanischen Zeichentricks, „Ladies-Events“ für das weibliche Publikum, Live-Übertragungen von Opern und Konzerten, die zumeist Kinogänger im gehobenen Alter locken oder Kinonachmittage die sich vor allem an Familien mit jüngeren Kindern richten. „Wir dürfen nicht stehen bleiben und müssen immer wieder neue Angebote schaffen. Und wenn etwas gut läuft und sein Publikum findet, dann gibt es auch mehr davon.“, sagt er, siehe „Kultkino“.

Gänzlich frei ist der Kinochef in der Auswahl der Filme nicht, manches hängt vom Betreiber des Nordhäuser Kinos, der „Filmpalast Gruppe“ ab, mehr noch aber von den großen Filmverleihern wie Disney, Warner Bros., 20th Century Fox und Co. Die Vorgaben sind zum Teil sehr strikt und im Detail kompliziert, erklärt Deisting, sodass es nicht jeder Film bis nach Nordhausen schaffen kann. „Wenn Sie einen Film haben, der in Deutschland mit 500 Kopien startet, dann sind wir in der Regel mit dabei. Wenn Sie aber einen kleineren Film haben, der, sagen wir, nur mit 50 Kopien nach Deutschland kommt, dann gehen wir leer aus, zumindest zum eigentlichen Bundesstart.“ Sonderevents wie ein Konzert von André Rieu können nur für einen einzigen Tag gebucht werden und auch im Arthouse Bereich muss man einen unternehmerischen Blick auf die Besucherzahlen haben und zwischen „Top“ und „Flop“ unterscheiden, erklärt Deisting. „Mein persönlicher Geschmack spielt eigentlich fast gart keine Rolle und ich kann mir auch bei weitem nicht jeden Film ansehen. Das letzte was ich im Saal gesehen habe, waren die „Känguru-Chroniken“ und das war noch vor Corona.“

In seinen fast dreißig Jahren am Nordhäuser Kino hat Deisting viele Veränderungen mitgemacht. Filmrollen und Projektoren sind Festplatten und riesigen Beamern gewichen, die 3D-Technik hielt Einzug, dafür starb der klassische Filmvorführer aus. Heute läuft das meiste automatisch ab, zentral gesteuert, ohne viel menschliches Zutun. „Der Film entwickelt sich weiter, nicht nur in der Technik. Sicher haben wir jetzt schwierige Zeiten erlebt, aber das Kino wird daran nicht zu Grunde gehen, da bin ich mir sicher.“
Angelo Glashagel

Bild von Free-Photos auf Pixabay
Autor: red

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