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Kreis plant eigene Stelle zur Inobhutnahme

Immer der letzte Schritt

Mittwoch, 15. Juli 2020, 09:00 Uhr
Der Jugendhilfeausschuss des Landkreises kam gestern wieder in der Aula der Morgenröte zusammen. Auf der Agenda standen neben den Kindergärten unter anderem auch die Schaffung einer eigenen Stelle, die Kinder in Not in Obhut nehmen soll…

Im Jugendhilfeausschuss wurde gestern zur Schaffung einer festen Inobhutnahmestelle beraten (Foto: agl) Im Jugendhilfeausschuss wurde gestern zur Schaffung einer festen Inobhutnahmestelle beraten (Foto: agl)

Die Probleme, die in der Kinder- und Jugendhilfe in den letzten Jahren immer deutlicher zu Tage traten, haben sich während der Corona-Krise noch einmal deutlich verschärft. Einen entsprechenden Lagebericht hatte man bereits zur letzten Sitzung des Jugendhilfeausschusses erhalten. So nähert sich die Zahl der „Inobhutnahmen“ mit inzwischen rund 50 Fällen schon jetzt der Gesamtzahl des vergangenen Jahres, als man insgesamt 60 Maßnahmen durchführen musste.

„Eine Inobhutnahme ist immer der letzte Schritt“, erläuterte gestern noch einmal Roswitha Lindemann, Leiterin des Jugendamtes. Das man Situationen antreffe, in denen Kinder sofort von ihren Familien getrennt werden müssen, erlebe man selten. In der Regel gingen dem Wochen wenn nicht Monate der Beratung und Beobachtung voraus. Erst wenn das Kindeswohl akut gefährdet ist, muss der Kreis als zuständige Behörde einschreiten. Das muss nicht immer schwerwiegende und problematische Hintergründe haben, wie man zuletzt in der Corona-Krise beobachten konnte. Eine Alleinerziehende Mutter dreier Kinder muss ins Krankenhaus, Verwandte hat sie in Nordhausen nicht, niemand kann sich um den Nachwuchs kümmern, also müssen die Behörden eingreifen und versuchen die Kinder unterzubringen.


So leicht wie das klingt, war das nicht. Die Einrichtungen, auf die man sich sonst gestützt hat, sind unter Corona voll in Beschlag genommen und haben keine Kapazitäten mehr frei. Und um diese war es auch vor der Krise nicht gut bestellt, die Fallzahlen und mit ihnen die Kosten für die pflichtige Aufgabe des Kreises stiegen in den letzten Jahren beständig an, ein Trend den man so in ganz Deutschland beobachtet. „Früher haben wir im eigenen Kreis belegt, dann sind wir auf Thüringen ausgewichen und inzwischen kommt es vor, dass die Sozialarbeiter bundesweit suchen müssen, um freie Plätze zur Unterbringung zu finden“, berichtet Lindemann. Da kommt es auch schon einmal vor, das man Geschwisterkinder getrennt voneinander unterbringen muss. Nicht nur in unterschiedlichen Häusern, sondern in unterschiedlichen Bundesländern.

In den letzten Monaten behalf man sich notgedrungen anderweitig: mit einer eigenen, eilig eingerichteten Inobhutnahmestelle, die man in der Rothleimmühle unterbrachte und von Schulsozialarbeitern betreuen ließ. Inzwischen sind die Schulen wieder offen, die Rothleimmühle kehrt zu ihren eigenen Aufgaben zurück und die Inobhutnahmestelle wurde wieder geschlossen. Die alten Probleme bleiben aber, auch ohne akute Corona-Infektlage.

Aus den Erfahrungen will man jetzt Lehren ziehen und bis Ende November eine eigene, feste Inobhutnahmestelle mit sechs Plätzen einrichten. Mit der neuen Einrichtung soll mehreren Problemen begegnet werden. Zum einen würde man sich vom bisher praktizierten System lösen und könnte unabhängig von den Kapazitäten der Kinder- und Jugendheime agieren. Zum anderen, erklärt Lindemann, würde man für die Betreuung der Kinder und ihrer Familien dringend notwendige Zeit gewinnen. „Das sind sehr schwierige und vielschichtige Prozesse. Die Sozialarbeiter haben jeweils 30 bis 40 Fälle zu bearbeiten, müssen die Familien begleiten, sich mit der Polizei und dem Gericht abstimmen und sich im Ernstfall um die Unterbringung der Kinder kümmern.“, erläuterte die Jugendamtsleiterin, Ziel der Inobhutnahmestelle sei es daher auch, nicht einfach nur schnell sondern vor allem geeignet im Sinne der Kinder handeln zu können. „Wir haben dann die Chance, den Prozess etwas länger zu gestalten und in Ruhe gezielte Entscheidungen zu treffen“, sagte Lindemann.

Der Ausschuss folgte den Vorschlägen aus der Verwaltung, die einen Teilplan vorlegte und die hiesige Trägerlandschaft in der Umsetzung einbinden will. Der Kosten für den Haushalt sei man sich bewusst, könne aber auch nicht wirklich anders handeln, da die Aufgabe zu den Pflichten des Kreises gehört. „Ein Feuerwehrauto ist auch nicht ständig im Einsatz, muss aber trotzdem da sein, wenn es gebraucht wird. Uns fehlen hier schlicht die Alternativen, eine Möglichkeit vor Ort zu schaffen ist die beste Variante“, sagte Nüßle.

Die Situation hat sich deutlich entspannt


An anderer Stelle musste man im Jugendamt zuletzt weniger Sorgenfalten an den Tag legen. Die Situation in den Kindergärten des Kreises habe sich„deutlich entspannt“, sagte Nüßle. Eine neue Hygieneverordnung des Landes werde demnächst einige weitere „Knackpunkte entschärfen“, mit denen die Einrichtungen noch zu kämpfen hatten. Einen entsprechenden Entwurf habe man in der letzten Woche erhalten. Die Pläne sehen unter anderem vor, die Zugangsbeschränkungen bei Erkältungssymptomen deutlich zu lockern. Bei einem einfachen Schnupfen müssen Eltern mit ihren Kindern dann nicht gleich zur Abstrichstelle. Erst wenn Kinder „eindeutige Coronasymptome wie Fieber oder den Verlust des Geschmackssinns zeigen“, wird ihnen der Zutritt zur Einrichtung verwährt und Tests angeordnet.

Aktuell sind alle Kindergärten und -krippen des Kreises im eingeschränkten Regelbetrieb tätig, mit 3.282 genutzten Plätzen werden rund 3/4 der vorhandenen Kapazitäten ausgenutzt. In 2850 Fällen ist die Betreuung über acht Stunden und mehr sichergestellt. Die neuen Vorgaben aus Erfurt würden auch Sorgen rund um mögliche Personalengpässe in der Urlaubszeit ausräumen, meinte Nüßle.

Die jährliche Bedarfsplanung in Sachen Kindergärten wurde in diesem Jahr in „abgespeckter“ Form durchgeführt und zeige ein weitestgehend positives Bild. Man habe in den letzten Jahren einen deutlichen Schritt nach vorn gemacht und viele neue Plätze schaffen können. Noch blieben aber ein paar Problemfälle, darunter die Städte Ellrich, Bleicherode und Harztor. In Ellrich fehlen zur Zeit mindestens 55 Kindergartenplätze, es gäbe aber bereits Pläne dies zu ändern, ein passendes Grundstück habe man auch schon im Auge, so Nüßle. Was noch fehlt, sind die nötigen Fördermittel von Land und Bund. Sobald die kommen, werde Ellrich hohe Priorität genießen.
Angelo Glashagel

Bild von Mabel Amber auf Pixabay
Autor: red

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