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Eltern sollen teure iPads für den Unterricht kaufen

Aufregung in der Unterstadt

Mittwoch, 17. Juni 2020, 18:10 Uhr
Seit dem März 2019 kann sich die Nordhäuser Regelschule „Gotthold Ephraim Lessing“ voller Stolz „Digitale Pilotschule“ nennen. Im Rahmen des Bewerbungsverfahrens hatten die Nordhäuser Pädagogen ein Medienkonzept erarbeitet, das die Schule nun berechtigt, an dem fünfjährigen Projekt zur Schulentwicklung und Digitalisierung an Thüringer Schulen teilzunehmen…

Regelschule "Gotthold Ephraim Lessing" in Nordhausen (Foto: nnz) Regelschule "Gotthold Ephraim Lessing" in Nordhausen (Foto: nnz)
Ein Ausbau des schuleigenen W-Lans erfolgte daraufhin, die Einrichtung von drei Klassenräumen mit Präsentationsflächen und drahtlosen Übertragungssystemen wurde finanziert sowie die Anschaffung von 40 mobilen Endgeräten. Im Rahmen des Digitalschulprojektes fanden mehrere Fortbildungen für das Lehrpersonal statt. Der nächste Schritt war die Überarbeitung des Medienkonzeptes und der Ausstattungsplanung. Damit einher gingen regelmäßige Treffen der schulinternen Konzeptgruppe mit dem Schulträger, der Stadt Nordhausen.

Gern wollen die Pädagogen nun die Arbeit in ihrer umfangreichen, hochmodernen IT-Lösung für die Schule mit individuellen, digitalen Endgeräten im Unterricht praktisch angehen. Um alle Vorzüge des e-learnings richtig nutzen zu können, ist es erstrebenswert, dass jedes Kind der Klassenstufen 7 - 10 über ein eigenes Gerät, sprich Tablet verfügt. Hier beginnt aber das Problem. Weil die komplexe IT-Lösung der Schule auf dem Betriebssystem IOS fußt, geht es nicht um die Anschaffung irgendwelcher Tablets, sondern um den Mercedes unter den Tablets - Apples iPad. Das liegt im Einzelhandel preislich deutlich an der Spitze und kann je nach Ausführung schon einmal doppelt so viel kosten wie ein Android-basiertes Tablets der Konkurrenz.

Schulleiterin Kati Flöder verschickte dieser Tage einen Elternbrief, der in Niedersalza für viel Aufregung sorgt. Darin bittet sie die Erziehungsberechtigten für ihre Kinder auf eigene Kosten ein nagelneues iPad anzuschaffen. Und das nicht irgendwo oder gebraucht, sondern bei einer bestimmten Firma. Mutmaßlich diese, die nach eigenen Angaben „seit über 20 Jahren erfolgreich als Apple Solution Experts im B2B-Bereich tätig ist und zahlreiche Großkunden und Major Accounts betreut“.

Die Münchner ACS Group rühmt sich auf ihrer Homepage im Bildungsbereich seit 2010 bundesweit über 300 Bildungseinrichtungen zu betreuen. Die ACS Group soll über gute geschäftliche Beziehungen bzw. Verträge mit der Stadt Nordhausen, dem Träger der Pilotschule, verfügen. Und sie wird als Verkäufer der iPads fungieren.

Es sei ein „Angebot an die Eltern in den Briefen, um ins Gespräch zu kommen“, sagte Kati Flöder. Auf der Homepage der Lessing-Schule werden viele gute Gründe benannt, warum es unbedingt das Apple-Produkt sein muss. Die iPads sind leistungsfähig und zuverlässig, haben eine lange Lebensdauer, der Akku hält sehr lange, sie sind sicher und man erhält 5 Jahre lang alle notwendigen Updates, heißt es da. Noch konkreter sind folgende Vorteile aufgelistet:
  • „Die Geräte haben eine AirDrop Funktion. Dadurch können Lehrer und Schüler und Schüler untereinander ganz einfach Dateien austauschen.
  • Die iPads werden in ein Verwaltungssystem eingebunden. Deshalb dürfen sie im W-LAN der Schule verwendet werden.
  • Die iPads werden mit dem Schulprofil ausgeliefert. Der Schüler ist beim Betreten der Schule mit dem iPad automatisch im W-LAN der Schule.In der Schule werden alle privaten Aktivitäten auf dem iPad ausgeschaltet.
  • Der Lehrer hat auf seinem iPad eine Classroom App. Damit kann er die Geräte der Schüler sehen. Der Lehrer kann für den Unterricht bestimmte Apps zulassen oder sperren. Zum Beispiel kann er bei einer Mathematikarbeit die Rechner App zulassen und den Internetzugang sperren. Apps für die Schule können über die Schule gekauft werden. Sie sind dadurch preiswerter.
  • Dieses System wird derzeitig nur von Apple angeboten!
  • Zirka 10 Firmen in Deutschland verkaufen Apple Geräte für Schulen. Bei diesen Firmen sind die Geräte zirka 5 Prozent preiswerter.
  • Die Stadt Nordhausen (Schulträger) hat einen Vertrag mit der Firma ACS. ACS richtet die Geräteverwaltung für die Stadt Nordhausen ein. Unsere Schule ist ein Standort in diesem System.“
Jetzt werden den Schülern dafür zwei konkrete iPad-Modelle für den Kauf vorgeschlagen. Einmal das iPad 10,2" mit 128 GB (von der Schule empfohlen) und als Ausweichmodell das iPad 10,2" 32 GB (das aufgrund des kleineren Speichers nur für die Verwendung in der Schule geeignet ist). Die Firma ACS Group verkauft diese Geräte zu einem Einzelpreis von 437,92 Euro für den größeren Speicher und 347 Euro für die 32 GB-Variante. Allerdings würden vom Unternehmen Rabatte eingeräumt, wenn es eine Bestellung mit größerer Stückzahl gäbe, sagte man uns in München. Um wieviel Prozent es sich dabei handelt, konnten die Vertriebsmitarbeiter im Telefonat mit der nnz jedoch nicht genau beziffern. Es könnten um die 5 Prozent sein.

Zusätzlich gilt es noch als Zubehör einen Apple- oder Logitech- Pencil für einen Preis um die 100 Euro zu erwerben. Mit einer Gerätehülle und einer eventuellen Garantieerweiterung sind die Eltern dann schnell bei einem Anschaffungswert von 500 oder 600 Euro angelangt.

Finanzierungsmöglichkeiten bietet die verkaufende Firma an, Förderungen für nicht so betuchte Eltern gibt es bisher aber keine. Zwar hofft Kati Flöder darauf, dass der Bund und das Land Thüringen hier helfend einspringen, aber belastbare Zusagen oder gar Überweisungen gibt es nicht. So bleibt es dabei, dass der dringende Wunsch an die Elternschaft ergeht, ihren Kindern eine Teilhabe an der schönen, digitalen Welt mit dem Kauf eines iPads zu ermöglichen.

Ob dieser Wunsch der digitalen Pilotschule tatsächlich erfüllt werden kann, bleibt abzuwarten. Kati Flöder hofft aber, dass ein Teil der Eltern die Notwendigkeit des Erwerbs einsehen und die teure Pille schlucken werden. Als Wunsch für das Jahr 2020 hat die Schule im Internet formuliert: "Ausbau der digitalen Infrastruktur in weiteren Unterrichtsräumen und Beginn der Anschaffung von schülereigenen, verwalteten Endgeräten.“

Was aber wird mit denen, die sich kein schülereigenes, verwaltetes Endgerät der Marke iPad leisten können? Und in wieweit ist hier der Schulträger gefordert, ein solches Pilotprojekt vielleicht mit der Anschaffung von iPad-Klassensätzen zu unterstützen, die in der Schule verbleiben und auch von späteren Schülerjahrgängen genutzt werden können?
Olaf Schulze
Autor: osch

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