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Selbsttest eines nnz-Redakteurs beim Barbier

Im Sessel mit Feuer und Schaum

Mittwoch, 03. Juni 2020, 18:00 Uhr
Sevilla hat einen, im Orient gibt es sie zu Hauf und Nordhausen muss dank seiner neuen Mitbürger auch nicht mehr zurückstecken. Wie so ein Barbierbesuch nun aber abläuft wollte Olaf Schulze wissen …

Meister Omar an seinem Arbeitsplatz (Foto: Eva Maria Wiegand) Meister Omar an seinem Arbeitsplatz (Foto: Eva Maria Wiegand)


Omar ist Barbier. Dieses Handwerk hat er in seiner Heimat Syrien von der Pike auf erlernt und weiß es nun auch in Nordhauen anzuwenden. Anfänglich begegnete ihm viel Skepsis in der Rolandstadt. Hier bietet er seit 2016 in der „Hair Lounge“ in der Bahnhofstraße seine Dienste rund um den Männerkopf an. „Als ich einmal bei einem Kunden Nasen- und Ohrenhaare entfernt habe, ist der nächste Wartende aus dem Laden geflohen“, erinnert sich Omar an die Anfangszeit. „Heute gibt es viele Männer, die nur wegen diesem Service zu mir kommen.“

Bis es aber soweit war, hatte der dreifache Familienvater schon eine bewegte Geschichte hinter sich. Aufgewachsen in Damaskus suchte er sich als Jugendlicher seine Ausbildungsplatz beim Barbier um die Ecke selbst. Ohne Lehrgeld, lediglich mit dem Trinkgeld der Kunden entlohnt, erlernte er die Kunst des Haarestutzens mit allen Abläufen, die in einem Barbiergeschäft notwendig sind, vom Scherenschleifen bis zum Seife bestellen. Er blieb drei Jahre als Geselle im Laden seines Meisters, nachdem der seine Lehre für beendet erklärt hatte. Dann besuchte er noch einmal für zwei Monate eine Schule, um die Lizenz für einen eigenen Salon zu erlangen. Omar eröffnete seinen eigenen Salon in Damaskus, den er in den Kriegswirren des arabischen Frühlings schon bald aufgeben musste. Mit seiner Frau und den drei kleinen Kindern begab er sich auf die Flucht aus Syrien. Die Familie kam über die Türkei nach Deutschland, wurde Thüringen zugewiesen und hier nach kurzem Aufenthalt in einer Erstunterkunft schließlich nach Nordhausen gebracht.

Mit offenem Feuer werden die Ohrhaare versengt (Foto: Eva Maria Wiegand) Mit offenem Feuer werden die Ohrhaare versengt (Foto: Eva Maria Wiegand)


Omar sah sich sofort nach Arbeit um und staunte, dass es hier keine Barbiere gab. Also machte er es wie schon seinerzeit als Junge in Damaskus: er ging in ein Friseurgeschäft und fragte nach Arbeit. In der „Hairlounge“ in der Bahnhofstraße ließ man ihn gar nicht mehr weg und so startete Omar seine zweite Karriere. Inzwischen spricht er fließend deutsch, seine Kinder besuchen Schule und Kindergarten. Der syrische Barbiermeister ist in offensichtlich seiner neuen Heimat angekommen.

Im Selbsttest wollten wir nun wissen, was die gerühmte orientalische Barbierkunst ausmacht. Zu allererst eine entspannte und freundliche Atmosphäre mit einem für Kunde und Barbier bequemen Arbeitsplatz. Omar verfügt über einen regelrechten Werkzeugwagen, aus dem er die unterschiedlichsten elektrischen Rasierer hervorzaubert, mit denen er seine Arbeit beginnt. Er grundiert sozusagen und schafft die Voraussetzungen für den Feinschliff. Es folgen die Übergänge vom Kopfhaar zum Barthaar (was beim aktuellen Probanden mangels Masse an Kopfhaar nicht so einfach ist), gibt dem Bart eine erste Grobbehandlung und beschneidet Nasen- und Ohrenhaar. Die Augenbrauen werden erst geschnitten, dann gezupft - was dank Omars Geschick und Technik kaum zu spüren ist - und anschließend in Form gebracht.


Barbierbesuch ist Vertrauenssache. Omar ist aber kein Sweeney Todd (Foto: Eva Maria Wiegand) Barbierbesuch ist Vertrauenssache. Omar ist aber kein Sweeney Todd (Foto: Eva Maria Wiegand)

Immer wieder setzt er kleine Rasierer an, um auch wirklich jedes Haar zum trimmen, das da unbehandelt aus dem Gesicht ragt. Dann folgen die Höhepunkte der Behandlung, die feine Nassrasur mit ordentlich Schaum und dem traditionellen Messer sowie das Ausbrennen der Ohrenhaare. Dies ist der Moment, in dem der Kunde sein Vertrauen in die Fertigkeiten des Barbiers demonstriert und nicht wie oben erwähnter Herr fluchtartig den Stuhl verläßt und ins Freie stürzt.

Als Dank für den aufgebrachten Mut gibt es feuchte warme Handtücher auf das Gesicht gelegt und es werden kühlende Gels gegen die Hautirritationen aufgetragen. Eine Stirn- und Kopfmassage rundet die männliche Gesichtserneuerung ab. Der Blick in den Spiegel zeigt, dass da ein Fachmann rund vierzig Minuten am Werke war.

Die Belohnung zum Schluss: Dösen unter warmen Tüchern (Foto: Eva Maria Wiegand) Die Belohnung zum Schluss: Dösen unter warmen Tüchern (Foto: Eva Maria Wiegand)


Alles in allem ist Omars Service eine äußerst empfehlenswerte Prozedur, die entspannt und verschönt, oder wenigstens ein vorhandenes Stilbewusstsein des Kunden offenbart. Was er allerdings nicht leisten kann, sagt Omar unter seiner Maske grinsend, ist es, Männern auf Wunsch einen solchen Bart herbei zu schneiden, wie er selbst einen hat. Denn auch hier gilt wie beim Haupthaar des nnz-Probanden: wo nichts ist, kann auch nichts bearbeitet werden!
Olaf Schulze
Autor: osch

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