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Landkreis testet neuen Elektro-Bus

Jungfernfahrt unter Strom

Freitag, 29. Mai 2020, 13:52 Uhr
Im Sommer will der Landkreis im Busverkehr den ersten Schritt in Richtung Elektromobilität machen. Zur Zeit testen die Verkehrsbetriebe ein baugleiches Modell auf den Südharz-Strecken, heute lud man zur „Premierenfahrt“…

Elektroverkehr im Südharz - der Landkreis erprobt zur Zeit einen neuen E-Bus (Foto: agl) Elektroverkehr im Südharz - der Landkreis erprobt zur Zeit einen neuen E-Bus (Foto: agl)

Richtig deutlich wird der Unterschied zwischen „Alt“ und „Neu“ erst am Bahnhof in Niedersachswerfen: bis hierhin war man, vom leichten summen des Elektroantriebes begleitet, mit dem neuen E-Bus, Marke „Sileo S12“ gefahren. Als Landrat Matthias Jendricke die Details zum neuen Verkehrskonzept erklären will, knattert im Hintergrund die „alte“ Generation los, der Dieselbus übertönt den Kreischef, der muss die Stimme heben, um noch verstanden zu werden.

Dass der größte Unterschied zwischen Diesel und Elektrobus, abgesehen von der Antriebstechnik, die Lautstärke ist, zeigt sich auch im Innenbereich - ein Linienbus wie jeder andere, funktional eingerichtet. Das neue Gefährt stehe einem Dieselbus in nichts nach, meint auch der Leiter der Verkehrsbetriebe, Thorsten Schwarz, an der einen oder anderen Stelle sei der „Neue“ den bisherigen Modellen sogar überlegen.

Bei einer Höchstgeschwindigkeit von 79 km/h soll der Sileo im besten Fall auf eine Reichweite von 250 Kilometern kommen, mindestens sollen es 170 Kilometer sein, auch im Winter bei höherem Energiebedarf. Für die Bedürfnisse des Streckennetzes im Kreis sei das vollkommen ausreichend, meint Schwarz. Freudig überrascht war man auf der Testfahrt nach Rothesütte. Dank der reaktiven Bremsen, die dem Fahrzeug bei der Rückfahrt ins Tal wieder Energie zuführen, sei die Restreichweite am Fuße der Berge wieder die gleiche gewesen, wie zu Beginn der Bergfahrt in den Harz hinein. Bis zum kommenden Dienstag wird man das Fahrzeug noch auf Herz und Nieren prüfen, morgen steht der nächste Praxistest auf der Linie 20 zwischen Nordhausen und Heringen an.

Insgesamt sechs E-Busse will der Landkreis ab Juli nach und nach im ländlichen Streckennetz einsetzen. Im Vergleich zum Testmodell werden die Fahrzeuge dann mit etwas weicherer Bestuhlung, zwei statt drei Türen und USB-Anschlüssen für den modernen Fahrgastbedarf ergänzt.

Ursprünglich war man lediglich von drei Fahrzeugen ausgegangen, die zwischen Niedersachswerfen, Neustadt und Ellrich eingesetzt werden sollten um die Verbindung zum Verkehrsknotenpunkt am Bahnhof Sachswerfen zu verbessern. Drei weitere Fahrzeuge hätte die Stadt Nordhausen in Betrieb nehmen sollen, doch deren Stadtrat zog sich kurzfristig aus dem Projekt zurück.

Das von der Stadt übernommene Kontingent will der Kreis in Zukunft vor allem in Richtung Bleicherode und in der Kali-Stadt selbst einsetzen. Ziel sei auch hier, den Busverkehr besser mit dem Bahnverkehr zu verknüpfen, erklärte Jendricke. „Wir wollen den ÖPNV intensiver in die Fläche tragen“, sagte der Landrat, durch die verbesserte Erreichbarkeit der regionalen Bahnhöfe wolle man erreichen, dass die Bevölkerung auf dem Land nicht länger nur von zwei bis drei Busverbindungen am Tag abhängig ist.

Geladen werden die Busse in Zukunft auf dem Betriebshof der Verkehrsbetriebe und am Bahnhof Niedersachswerfen. Rund fünf Stunden soll ein voller Ladezyklus dauern, kürzere Ladeintervalle sind auch tagsüber möglich, erklärte Schwarz.

Ladeinfrastruktur und Busse schlagen mit rund 5,3 Millionen Euro zu Buche, wobei der Kreis 4,9 Millionen Euro aus Fördermitteln bestreiten konnte. Ein „Experimentierfeld“ sei der Südharz deswegen nicht, die Technik könne inzwischen als Alltagstauglich gelten, so der Landrat, vielmehr sei man in Thüringen nun Vorreiter.

Mit der neuen Technik verjüngt sich der Fuhrpark des ÖPNV auf im Schnitt sechs bis sieben Jahre. In der Regel sind Busse mindestens zwölf Jahre im Einsatz. Den E-Bussen weichen ältere Fahrzeuge, die am Ende dieses Zyklus angekommen sind. Zunächst werde man die alten Busse aber noch als Reserve in der Hinterhand halten, war am Rande der Präsentation zu erfahren. Den nötigen Strom wird die EVN liefern, was letztlich auch kommunale Strukturen stärke, da der Nordhäuser Stromproduzent am Dieselverkauf bisher eher nicht verdienen konnte, erklärte Jendricke.

Eine schnelle Transformation des ÖPNV hin zur Elektromobilität sei indes nicht zu erwarten, ein kompletter Wechsel der 50 Fahrzeuge starken Flotte würde Jahre dauern. Tatsächlich setzt man auch weiter auf die "alte" Technik und hat einen weiteren Dieselbus sowie einen „Gliederbus“ zur Abdeckung der Spitzenlastzeiten, insbesondere im Schülerverkehr, angeschafft. Die große Revolution wird man im Südharz also eher nicht lostreten, man macht lediglich einen vorsichtigen Schritt auf neuen Pfaden. Auch über autonome Busse hat man schon einmal nachgedacht, doch die seien, so Jendricke, wie auch seine „Linie 20“, noch „ferne Zukunftsmusik“. Die sechs E-Busse hingegen werden spätestens zum Beginn des neuen Schuljahres über die Landstraßen surren.
Angelo Glashagel
Autor: red

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