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Die Krise in der Krise

Sonnabend, 25. April 2020, 13:45 Uhr
Namentlich ältere Menschen sorgen sich. Wer täglich die Zahlen und Fakten hört und liest, ist überzeugt: Corona hat uns fest im Griff. Befürchtet wird, von dem Virus erfasst und dahingerafft zu werden. Angesichts der Szenarien müsste jetzt die Sterblichkeit über den Durchschnitt normaler Jahre liegen. Dem aber ist nicht so...

Nirgendwo in Deutschland gibt die Statistik dies her. Gibt das Anlass auf weitere Lockerungen im Alltagsleben?

Zweifellos kommen wir Deutschen vergleichsweise gut durch die Corona-Pandemie. Auch im Landkreis! Zuzuschreiben ist dies der gut ausgebauten Infrastruktur unseres Gesundheitswesens. Wir verfügen, Pro-Kopf-Zahl gerechnet, über weitaus mehr an Intensivbetten und Beatmungsgeräten als in vielen anderen Ländern. So blieben uns die beängstigenden Bilder aus Spanien, Italien und Frankreich erspart: Särge auf Militärtransportern, Menschen hilflos in Gängen liegend. Die Sterberate ist in diesen Ländern überdurchschnittlich hoch.

Gesundheitswesen und Krankenhäuser waren der Pandemie dort nicht gewachsen, schlichtweg überfordert. Es fehlte an allem, was Menschen hätte retten können. Sie starben, weil man sie mangels Kapazitäten schlichtweg ihrem Schicksal überlassen musste. Hingegen ist Deutschland sogar in der Lage, Kranke aus Nachbarländern aufzunehmen und hier, wie in Neustadt geschehen, zu behandeln. Wir sollten froh und dankbar sein, in diesem Land zu leben.

Damit uns dergleichen Horrorszenarien dauerhaft erspart bleiben, trafen wir Vorsorgemaßnahmen, die jetzt in eine Mundschutzpflicht mündeten. Vorreiter war Bayerns Ministerpräsident Marcus Söder. Zu einer Zeit, wo ihn Landesvater Armin Laschet als unangebrachte und überzogene Eingriffe kritisierte. Söder bestätigte sich als Macher. Für den Südharz kann sich Landrat Matthias Jendricke als solcher fühlen. Er schob vorsorglich Maßnahmen an, die andere Landesfürsten samt Bodo Ramelow in Thüringen seinerzeit noch mit keinem Wort erwähnten oder sie ablehnten, zumal Mund-Nasen-Schutzmasken schlichtweg fehlten.

Zum Zeitpunkt Jendrickes Aktivitäten waren sie auch im Landkreis nicht zu haben. Das brachte dem Kreischef harsche Kritik ein. Reiner Aktionismus sei das, hielt man ihm vor. Selbstdarsteller nannten ihn andere, der sich, wieder einmal, nur profilieren wolle. Den Worten des Landrates folgten umgehend Taten. Er beschaffte sie. Millionenfach. Zu einer Zeit, als selbst Gesundheitsexperten Mundschutzmasken noch für unangebracht und nicht unbedingt für notwendig hielten. Als sie eintrafen, erfolgte in Nordhausen ein Ansturm auf die Apotheken. Heute alles schon Geschichte Wer jetzt noch keine Schutzmaske hat, ist wohl zu bequem.

Masken? Ja oder Nein? Das Für und Wider schwankte hin her, bis sich letztlich das Für durchsetzte. Alternativlos soll es sein. So laufen wir derzeit allenthalten mit Masken vorm Gesicht in Kaufhallen herum und tragen sie überall dort, wo es Pflicht ist. Wir halten die Maßnahme für sinnvoll, haben uns mit der Maske mittlerweile angefreundet. Jetzt aber hält eine medizinische Größe wieder dagegen:

Prof. Dr. med. Frank Ullrich Montgomery ist Vorsitzender des Weltärztebundes. Von Ausgehverboten hält er nicht viel. Schals und Tücher als Mundschutz seien lächerlich. Anstelle der Maskenpflicht - er trage nur eine aus Höflichkeit anderen gegenüber - gibt er der Abstandregelung die Priorität: Kein Händeschütteln, keine Umarmungen, kein Küsschen. Was soll man gegen den Überbietungswettbewerb förderaler Politiker machen?, fragt Montgomery und meint Söder & Co. Ob sich das wohl auch der Oberbürgermeister Kai Buchmann gefragt hat?

Die Maskenpflicht spaltet erneut die Ärzteschaft in Pro und Contra. Der Präsident der Landesärztekammer Sachsen, Bodendieck, sagte MDR-Aktuell, die Maskenpflicht mache die Menschen unachtsam. Im Kampf gegen das Coronavirus werde eine Sicherheit vermittelt, die nicht vorhanden sei. Dem widerspricht die Präsidentin der Länderärztekammer Thüringen, Lundenhausen. Masken verstärkten das Bewusstsein für die Lage. Ihr Nutzen zeige sich am Beispiel Jena.

Jetzt auch das noch: Ausgeatmete Luft werde durch die geringe Durchlässigkeit der Maske zurückgehalten, wodurch der Träger vermehrt Kohlendioxid C02 rückeinatme. Schon nach 30 Minuten Tragedauer könne es bei den herkömmlichen einfachen Masken zu einem Anstieg der C02-Werte im Blut kommen. Ein erhöhter Kohlenstoffdioxingehalt im Blut könne letztlich verschiedene Hirnfunktionen einschränken. Ein Problem, fünf Meinungen. Die Irritation ist perfekt. Dennoch: Wir bleiben der Maske treu, solange es nötig ist.

Die Corona-Krise werde erst ein Impfstoff beenden, predigen Virologen. Am Jahresende? Oder erst irgendwann 2021? Keiner weiß es. Mit jeder Woche Kontaktsperre wachsen indes die Sorgen, Menschen könnten nicht am Coronavirus, wohl aber an den Folgen der Coronakrise erkranken und sterben. Gesundheitliche Folgen können die eigene wirtschaftliche Situation auslösen, die Sorge um den Arbeitsplatz, das Geschäft, die Gaststätte, das Hotel, das Unternehmen. Hinzu kommen der fehlende Kontakt mit den Enkelkindern, Freunden und Bekannten und letztlich auch die Einsamkeit mancher Menschen. Es wird mehr und mehr eine Krise in der Krise.

Der Ruf nach weiteren Lockerungen wird hörbarer. Die Kanzlerin hält dagegen, wettert gegen eine „Eröffnungsorgie“. Was danach kommen könnte, sagt sie nicht. Nur, es werde ein anderer Alltag sein. Welcher? Da lob ich mir Politiker wie Christian Lindner: Die Kanzlerin sollte Klartext sprechen. Wie lange können die derzeitigen Regelungen der Allgemeinheit noch zugemutet werden? Reichen die Rettungspakete aus, um ein Massensterben von Unternehmen und eine hohe Arbeitslosigkeit zu vermeiden? Wie sollen die Milliarden danach wieder eingefahren werden? Welche Lehren muss die Politik aus den Erfahrungen der Pandemie ziehen? Die Antwort könnte hart sein. Aber sie sollte kommen.
Kurt Frank
Autor: red

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