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Psychiaterin und Psychotherapeutin geben Tipps

Seelische Gesundheit in der Corona-Krise

Sonnabend, 25. April 2020, 11:01 Uhr
Wo Eltern zu Lehrern werden, Enkel ihre Großeltern nicht mehr sehen dürfen und der Alltag ganz neu gestaltet werden muss, herrscht oft Ausnahmezustand. Was hilft gegen Frust, Lagerkoller und Leistungsdruck in der aktuellen Situation?...

In Zeiten der Corona-Krise, in denen nicht klar ist, wann alle Kinder wieder die Kitas und Schulen besuchen können, in denen verschiedene Maßnahmen nur vorsichtig und schrittweise gelockert werden, lastet auf vielen Menschen ein hoher psychischer Druck. Viele Menschen können nicht zur Arbeit gehen, weil ihre Kinder betreut werden müssen, andere sehen sich vor großen finanziellen Schwierigkeiten und wieder andere leben in absoluter Isolation, weil durch die Kontaktbeschränkungen soziale Kontakte schon vor Wochen weggebrochen sind.

„Es herrscht Ausnahmezustand und dieser sollte auch als solcher bewertet werden“, rät Yvonne Bednarek, Psychologische Psychotherapeutin in der Helios Klinik Sangerhausen. „Erwachsene und Kinder müssen auf die neue Situation reagieren und realistisch bewerten, was machbar ist und was nicht.“ Ganz wichtig sei, eine Routine für den Alltag zu finden, einen festen Tagesablauf zu entwerfen, nachdem sich alle in der Familie richten können.

Vor allem in Familien, in denen nun zu Hause gelernt wird, kann es zu Problemen kommen. „Viele Eltern sehen sich unter Druck, ihren Kindern den vorgegebenen Schulstoff bis ins kleinste Detail beizubringen“, weiß Birgit Hund, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in der Helios Klinik Sangerhausen. „Aber die Häuslichkeit bietet nun mal nicht denselben Rahmen wie die Schule.“

Eltern dürften ihre neue „Lehrtätigkeit“ nicht zu perfektionistisch sehen. „Man kann sich Tag für Tag kleine Ziele setzen. Und ganz wichtig: Pausen einhalten!“, weiß Birgit Hund.

Yvonne Bednarek hat zudem einen wichtigen Hinweis: „Wenn Eltern das Gefühl haben, den Schulstoff nicht gut vermitteln zu können, können sie Kontakt zu den Lehrern suchen. Man muss in dieser Krise nicht alles allein schaffen. Dafür müssen viele Eltern und auch Kinder lernen, um Hilfe zu bitten.“

Um die Kinder bei Laune zu halten, helfe es, wenn sich Pflichten und Angenehmes die Waage halten, sagt Birgit Hund. „Man muss sich immer wieder bewusst machen, dass wir alle in einem Boot sitzen und dass diese Zeit auch wieder vorbei geht.“ Um sich besser mit der Situation, dass man viel mehr Zeit als vorher miteinander verbringt, anzufreunden, könne man auch reflektieren: Was wäre, wenn der andere jetzt nicht da wäre? Das könne Beziehungen zuträglich sein. „Jede Krise ist eine Chance für Veränderung, für einen Neuanfang“, sagt Birgit Hund.

Und wenn der Lagerkoller doch überhandnimmt, rät Yvonne Bednarek zu einem Spaziergang an der frischen Luft, bei dem sich die Kinder austoben können. „Auch wenn die Kinder nicht raus wollen, sollten Eltern sie dazu ermutigen. Hier können sie die ganze Anspannung rauslassen.“

Doch was ist, wenn die Angst vor der Ansteckung mit dem Corona-Virus zu groß wird, wenn Normalität nicht einkehrt und nicht in Sicht ist? Um die Angst vor dem Corona-Virus nicht zu groß werden zu lassen, kann es helfen, sich mit Fakten und Expertenmeinungen auseinanderzusetzen und diese für sich zu bewerten. „Und auch der bewusste Konsum von Informationen oder gar die Vermeidung kann im Moment helfen“, sagt Birgit Hund.

Vor allem für psychisch vorbelastete Menschen, die zum Beispiel unter Depressionen oder Angststörungen leiden, könne die aktuelle Situation sehr schwierig sein. „Sie sind verunsicherter, oftmals funktionieren gewohnte Abläufe gerade ganz anders als bisher“, sagt Birgit Hund.

Yvonne Bednarek ergänzt: Betroffene, die befürchten, die Angst könnte sie übermannen, sollten sich bewusst werden, dass sie nicht allein betroffen sind, sondern dass alle Menschen im Moment diese Situation durchleben.

„Im Übrigen haben Eltern eine wichtige Modellfunktion für ihre Kinder“, sagt Yvonne Bednarek. „Diese Modellfunktion sollte auch vorgelebt werden. Es ist schwer erklärbar, dass der Nachbar weiterhin auf einen Kaffee vorbeikommt, die Kinder aber nicht mehr mit den Freunden spielen oder auf den Spielplatz gehen dürfen.“ Man solle auch nicht unterschätzen, dass Kinder sehr unter den aktuellen Einschränkungen leiden können.
Autor: red

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