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OB Buchmann reagiert auf Erlass des Landrats

Der Maskenstreit zu Nordhausen

Montag, 13. April 2020, 14:30 Uhr
Am Samstag vor Ostern, also vorgestern, hat das Landratsamt Nordhausen eine neue Allgemeinverfügung herausgegeben mit verschärften Auflagen, die nun beim Nordhäuser Oberbürgermeister für erheblichen Unmut sorgt …


Vorgestern Abend wurde die neueste Allgemeinverfügung (wir haben sie Ihnen im Anhang zu diesem Artikel bereitgestellt) erlassen, die bereits heute Nacht um 0 Uhr in Kraft treten wird. Unter anderem wegen der Kürze der möglichen Reaktionszeit fühlte sich Nordhausen Stadtoberhaupt Kai Buchmann einmal mehr von der Kreisbehörde überrumpelt. „ Die eilige öffentliche Kommunikation der noch einmal zusätzlich zu erfüllenden Zutrittsvoraussetzungen bis hin zu Betretungs- und VerkaufsVERBOTEN ohne Mund-Nasen-Maske sehe ich hingegen kritisch, wenn die „Vorreiterrolle“ des Landratsamtes übertrieben und ohne ausreichende Vorlaufzeit in Szene gesetzt wird, aber praktisch wenig vorbereitet ist und ein möglicher Verdruss des Einhaltens der bisher bereits massiven Einschränkung für unsere Bevölkerung diesbezüglich nicht hinreichend berücksichtigt wird“, schreibt Buchmann auf seinem Facebook-Account.

Sichtlich verärgert fährt er fort: „Zu hinterfragen ist auch, warum die Durchsetzung der Vorgaben des Landratsamtes KOMPLETT auf die Inhaber, Apotheker, Bus- und Taxifahrer und Ordnungsämter der Kommunen abgewälzt wird und mit der Allgemeinverfügung vom Ostersamstag bzw. per Veröffentlichung am Ostersonntag abends, diese bereits ab 14.4. als Ordnungswidrigkeit geahndet wird (s. Ziffer XI der Allgemeinverfügung). Als Kommune und im Stadtgebiet Nordhausen zuständige Ordnungsbehörde hatten wir erneut keinerlei Vorbereitungszeit auf diese Verschärfung – sind nun aber ab morgen mit der Umsetzung beauftragt!“

Neben der Konkretisierung der Maskenpflicht sind weitere Kernpunkte der neuen Verfügung eine Anzeigepflicht von Sitzungen in den Gemeinden gegenüber dem Landratsamt, eine Ausweisung des Betretungsverbots geschlossener Einrichtungen durch die Betreiber und die bindende Anordnung an Einzelhandel und Tankstellen, ihre vorhandenen Kundentoiletten kostenlos zur Verfügung stellen zu müssen.

Auch eine lückenlose Dokumentation der Notbetreuungen in Kindereinrichtungen und detaillierte Bestimmungen zur häuslichen Quarantäne beinhaltet die Verordnung. Im Einzelhandel müssen alle Einkaufs- und Transportwagen regelmäßig desinfiziert werden, in Selbsbedienungs-Bereichen sind Einmalhandschuhe zur Verfügung zu stellen.

Die Art der zu verwendeten Masken wird noch einmal genau definiert: „Anerkannt ist jeder Schutz, der aufgrund seiner Beschaffenheit geeignet ist, eine Ausbreitung von übertragungsfähigen Tröpfchenpartikeln durch Husten, Niesen, Aussprache zu verringern, unabhängig von einer Kennzeichnung oder zertifizierten Schutzkategorie (ausreichend sind daher nicht zwingend medizinische Materialien, insofern auch aus Baumwolle selbstgeschneiderte Masken, Schals, Tücher, Schlauchtuch etc. (sog. Community-Masken)“, heißt es dazu in der Allgemeinverfügung.

Auch Busse und Bahnen des Öffentlichen Personennahverkehrs und Taxis sind mit eingeschlossen, ausdrücklich ausgenommen werden von der Verpflichtung Kinder bis 12 Jahre und offensichtlich beeinträchtigte Personen.

Auch wo keine Masken erforderlich sind beschreibt die Behörde exakt: „Im Straßenverkauf, in Reinigungen, in Tankstellen, bei der Nutzung von Werkstätten und Ausstellungsbereichen von Handwerksbetrieben (sofern in diesen Handwerksbetrieben keine Lebensmittel verkauft werden)“.

Die weitere Verschärfung der Bestimmungen gegenüber der Verfügung vom 3. April ist für OB Buchmann nur schwer nachvollziehbar. Auch weil „die kreisangehörige Stadt Nordhausen vorab allerdings nicht in die Güterabwägungen und Entscheidungsfindungen eingebunden wurde. Nichtsdestotrotz sind wir an die Verfügungen des Landkreis Nordhausen gebunden.“

Die Art der Desinfektion von Einkaufswagen ist nun strikt geregelt, die Notwendigkeit bei der Verteilung von Einmalhandschuhen ebenso. Das ruft Kai Buchmann wieder auf den Plan. „Ich gehe als Oberbürgermeister davon aus, dass das zuständige Landratsamt Nordhausen, das Tragen der Mund-Nasen-Masken und Einmalhandschuhe sowie den ständigen Einsatz von Flächen- und Handdesinfektionsmitteln, bei derzeit 23 bekannten und aktiven Coronafällen, ca. 71 Abstrichen durch das hauseigene Gesundheitsamt und mit Blick auf den Nutzen und die rechtzeitige materielle Verfügbarkeit für alle Bürgerinnen, Bürger und Geschäftsinhaber, insbesondere aber für die systemrelevanten Berufsgruppen, im Vorfeld rational abgewogen hat, denn in unserem Landkreis herrschte vor 14 Tagen wie heute eine mildere Coronavirus-Situation als zum Beispiel in Jena oder anderen deutschlandweiten Epizentren des Virusausbruchs“, merkt er in seinem Post auf Facebook kritisch an.

Gleichzeitig stellt das Stadtoberhaupt auch klar: „Ich stelle nicht die Sinnhaftigkeit des Tragens von Mund-Nasen-Masken bzw. Einmalhandschuhen, Flächen- und Handdesinfektion und den Fremd- bzw. Eigenschutz zur Diskussion, weil ich kein Arzt oder Hygienefachmann bin, sondern ich kritisiere die teilweise chaotische, zeitlich und zielgruppenspezifisch grenzwertige Art und Weise der Krisenkommunikation des Landratsamtes Nordhausen! Ein stärkerer Fokus auf die funktionierenden bestehenden Maßnahmen, wie Kontaktreduzierung, Händehygiene, Einhalten von Husten- und Niesregeln, Abstandsgebote etc. findet nicht statt. Eine Ausweitung der Test- und Nachverfolgungsmöglichkeiten wird aktuell nicht gesehen.“

Ein Aufruf zum freiwilligen Tragen der Masken hätte aus Buchmanns Sicht auf die gegenwärtige, vergleichsweise kontrollierbare Situation vor Ort ausgereicht. Er sei auch der festen Überzeugung gewesen, dass die anfängliche Phase der kleinteiligen und auf einzelne Landkreise heruntergebrochenen Anti-Coronavirus-Maßnahmen vorbei sei, spätestens nach dem Bund-Länder-Beschluss vom 22. März. Das „Kochen von eigenen Süppchen“, wie es Buchmann nennt, sei kontraproduktiv, denn klare, landesweit und allgemeingültige Regeln für die Bürgerinnen und Bürger seien stattdessen notwendig, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verringern und eine kontrollierte Verbotslockerung in Gang zu setzen.

Landrat Matthias Jendricke bestritt gegenüber der nnz, dass in der Verfügung nicht angekündigte Maßnahmen enthalten wären. „Das stimmt so nicht, wie es der Oberbürgermeister darstellt. Das Anlegen der Mund-Nasen-Masken ist schon in der Rechtsverordnung des Landes vom 31. März verpflichtend geregelt worden.“ Das Amt habe jetzt lediglich aus der ausgesprochenen Empfehlung mit einem zeitlichen Vorlauf von zehn Tagen für die Landkreisbewohner eine verbindliche Pflicht machen müssen, um der Rechtsverordnung genüge zu tun. „Das Thema Mund-Nasen-Maske hat sich in der Betrachtung der Pandemie-Entwicklung inzwischen als hilfreich durchgesetzt und je besser wir uns daran halten, desto eher können wir alle mit spürbaren Entlastungen in der momentanen Situation rechnen“, erläuterte Jendricke.

Was die neuerlichen, offen ausgetragenen Differenzen zwischen Stadt und Kreis Nordhausen so pikant macht, ist die Tatsache, dass die eben erlassene Verfügung schon am kommenden Sonntag (19. April) wieder außer Kraft gesetzt wird. Am Mittwoch treffen sich in Berlin dien Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder, um ein weiteres bundesweit einheitliches Vorgehen abzustimmen und festzulegen. Möglich, dass ein Großteil der jetzt so heiß diskutierten Bestimmungen dann wieder geändert wird.
Olaf Schulze
Autor: red

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