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Offener Brief der Beschäftigten am Universitätsklinikum Jena

Hilferuf an die Politik

Dienstag, 07. April 2020, 09:34 Uhr
In einem Brandbrief an die politisch Verantwortlichen in Thüringen fordern die Mitarbeiter des Jenaer Uni-Klinikums stellvertretend für ihre Kollegen ein Umdenken der Politik und sofortige, konkrete Hilfsmaßnahmen...

Sehr geehrte Ministerin Werner, sehr geehrter Ministerpräsident Ramelow, sehr geehrter Minister Tiefensee,

wir sind der Koordinierungskreis der Teamdelegierten am Universitätsklinikum Jena. Jeden Tag melden sich Kolleginnen und Kollegen bei uns und berichten von ihren Sorgen und Nöten. Unsere Aufgabe ist es, den Beschäftigten eine gemeinsame Stimme zu geben und ihre Sorgen und Nöte an die „richtigen“ Ansprechpartner weiterzuleiten. Deshalb senden wir Ihnen den folgenden offenen Brief und erwarten eine Antwort, die wir dann an die Beschäftigten weiterleiten können.

Hierfür bedanken wir uns bereits an dieser Stelle.

Wir fordern von der Landesregierung Thüringen:
Die Gesundheit und der Schutz der Beschäftigten und der Patientinnen und Patienten muss oberste Priorität haben!

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Bodo Ramelow,
sehr geehrte Gesundheitsministerin Heike Werner,
sehr geehrter Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee, sehr geehrte Damen und Herren

Die Covid 19- Pandemie ist für uns alle eine noch nie dagewesene Situation. Wir können noch nicht sagen, wie diese Krise das deutsche Gesundheitssystem treffen wird. Die nächsten Tage werden zeigen, ob die jetzt getroffenen Maßnahmen zur Unterbrechung der Infektionsketten greifen werden. Niemand weiß es zum jetzigen Zeitpunkt.

In den USA, Italien und Spanien haben die Infektionszahlen eine ungeahnte Dynamik entwickelt. Das Gesundheitssystem in diesen Ländern stößt an ihre intensivmedizinischen Kapazitäten. Das gilt es in Deutschland zu verhindern, deshalb dürfen wir nicht die gleichen Fehler wie zum Beispiel in Italien machen und sollten voneinander lernen.

Diese Pandemie trifft auf ein Gesundheitssystem, welches für solche Szenarien nicht gerüstet ist. Spätestens mit Einführung der DRGs in Deutschland gab es einen Paradigmenwechsel:
Nicht mehr die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten stehen im Mittelpunkt, sondern die betriebswirtschaftlichen Gewinne jeder einzelnen Erkrankung!

Um möglichst hohe Gewinne zu erzielen, soll der Ressourceneinsatz so gering wie möglich gehalten werden. Das erreicht man durch Sparmaßnahmen am Personal, an Materialkosten, durch Outscourcing von zum Beispiel Wäscherei und Reinigungsfirma. Mit Einführung des Just- in- Time Konzeptes sollten dazu noch Lagerkapazitäten und Lagerkosten minimiert werden. Dieses Konzept versteht die Lieferung im Moment des Bedarfs. Jetzt werden die Schwächen des Just- in- Time Konzeptes deutlich, denn es ist für den Ausbruch einer Pandemie völlig ungeeignet. In kürzester Zeit werden große Mengen an Schutzkleidung benötigt und das nicht nur bei uns in Deutschland. Das System bricht zusammen.

Viele Entscheidungen der letzten Jahre haben die Krankenhäuser zu „Fabriken“ werden lassen. Kolleginnen und Kollegen kehrten ihrem Beruf den Rücken, andere gingen in Teilzeit und wieder andere wurden psychisch und physisch krank, weil die Arbeitsbedingungen immer schlechter wurden. Seit Jahren appellieren die Beschäftigten im Gesundheitswesen an die Politik, endlich zu handeln, um die unhaltbaren Zustände in deutschen Krankenhäusern zu beenden. Wir mussten auf die Straße gehen, um für bessere Arbeitsbedingen zu kämpfen, trotzdem gibt es noch immer große Probleme. Jetzt trifft die Covid 19- Pandemie auf ein Gesundheitssystem, welches kaputtgespart wurde. Krankenhäuser gehören in öffentliche Verantwortung, Gesundheit ist keine Ware, Gesundheit ist öffentliche Daseinsfürsorge.

Die Gesellschaft und die Politik fordern jetzt von uns höchste Professionalität im Umgang mit Covid 19- Patienten. Alle am UKJ werden gemeinsam durch diese Pandemie gehen, wir werden wie so oft über unsere Grenzen hinausgehen.

Wir fordern jetzt alle notwendigen Maßnahmen sofort einzuleiten, um die Krise zu bewältigen und unseren eigenen Schutz und den unserer Patientinnen und Patienten sicher zu stellen!

Dafür haben wir folgende Forderungen:

- Ausreichend Schutzkleidung. Das Land Thüringen muss einen Weg finden, Masken, Schutzkittel, Schutzbrillen, Handschuhe und Desinfektionsmittel zu produzieren – SOFORT!! Es ist bereits absehbar, dass die vorhandenen Bestände nicht ausreichen werden. Wenn nötig muss das Land Thüringen Unternehmen zwingen und unter staatliche Aufsicht stellen.

- Wer krank ist, bleibt zu Hause und wer mit Covid 19 infiziert ist, erst recht. Es darf keine Ausnahmeregelung für Gesundheitsberufe und Beschäftigte im Gesundheitswesen geben! Wir müssen alles tun, um uns und unsere Familien zu schützen und die Patientensicherheit zu gewährleisten.

- Für die Dauer der Corona-Krise fordern wir für alle Krankenhaus-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter inklusive der beschäftigten in den Tochtergesellschaften eine Gefahren- und Belastungszulage von 500 Euro pro Monat steuerfrei.

Diese Krise macht deutlich, dass Marktlogik im Gesundheitssystem nichts zu suchen hat. Deswegen fordern wir darüber hinaus:

- Volle Refinanzierung von Krankenhausleistungen inklusive Vorhaltung von Kapazitäten. Das schließt zusätzliche Medizintechnik, Material und Personalkosten mit ein.

- Das Finanzierungssystem der Fallpauschalen (DRGs) muss abgeschafft und durch eine kostendeckende Finanzierung ersetzt werden, welche am Bedarf und am Gemeinwohl orientiert ist. Nur so können Krankenhäuser ihrem Versorgungsauftrag nachkommen! Es gilt zu verhindern, dass Krankenhäuser durch die Pandemie in ein finanzielles Defizit kommen und ihnen die Schließung droht.

Um diese Krise gemeinsam zu bewältigen, braucht es jetzt die Expertise und das Wissen derjenigen, die an der Basis in den Krankenhäusern arbeiten. Dazu gehört auch ein enger Austausch mit den verantwortlichen Politikern. Wie wichtig das persönliche Gespräch sein kann, ist in der Tarifauseinandersetzung für Entlastung am UKJ deutlich geworden. Wir fordern eine zeitnahe Video- / Telefonkonferenz mit der Gesundheitsministerin und/ oder weiteren politischen Entscheider*innen, um die Punkte aus diesem Brief zu diskutieren.

Mit freundlichen Grüßen
Jörg Förster
Pressesprecher
Autor: red

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