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Was werden wir gelernt haben?

Mittwoch, 25. März 2020, 11:46 Uhr
Das Land und jeder einzelne steht vor einer Krise, wie wir es sie zu Lebzeiten nicht mehr gegeben hat. Was macht das mit uns? Ist Mitgefühl ebenso zur Mangelware geworden wie das Toilettenpapier? Und werden wir aus der Krise lernen? - fragt sich nnz-Leserin Melanie Schade im Forum...

Wir finden uns in einem so nie dagewesenen Ausnahmezustand wieder, der nichts gleicht, was wir kennen. Nichts, was wir je in unserem Leben überwinden mussten, ist auch nur ansatzweise vergleichbar mit dem aktuellen Chaos in unseren Köpfen und Herzen.

Ein Chaos, das nicht (nur) aus der Krise erwächst, durch die wir aktuell gehen müssen.

Vielmehr ist es ein Chaos, das in uns gesät wird, durch ununterbrochene und nicht abreißende Katastrophenmeldungen, die wir unselektiert in unser Innerstes pflanzen und Früchte tragen lassen, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, welche Berichterstattung tatsächlich gerade wichtig für uns ist.

Wir saugen ungefiltert auf, was unsere Augen sehen, unsere Ohren hören und unsere Köpfe aufnehmen können und bemerken dabei gar nicht, wie handlungsunfähig uns das macht.

Wir agieren unkontrolliert, impulsiv und irrational, ausschließlich getrieben durch die grenzenlose Angst um uns und unser Leben. Dabei sind wir egoistisch, rücksichtslos und grenzenlos und das halten wir für legitim und angesichts der aktuellen Situation für absolut gerechtfertigt.

Ob unsere Nächsten darunter leiden könnten – ob sie deshalb gezwungen sind, in 5 Supermärkten nach benötigten Lebensmitteln (und Toilettenpapier) zu suchen – interessiert uns in keinster Weise.

Wir schimpfen über offene Grenzen, schutzsuchende Migranten, über das System und seine Politik. Zu keinem Zeitpunkt fragen wir uns selbst, was wir – jeder einzelne von uns – zu diesem System beitragen und zwar jeden Tag unseres Lebens.

Wir gehen nicht durch unsere Wohnungen und Häuser und zählen die Gegenstände, die in Billiglohnländern für Hungerlöhne unter menschenverachtenden und -unwürdigen Bedingungen produziert wurden. Wir lassen nicht die Urlaube der letzten Jahre, die wir in ferne Länder gemacht haben, Revue passieren und machen uns dabei nicht bewusst, dass wir durch die Freiheit, die wir jeden Tag genießen können, profitiert haben.

Nein, in einer Situation wie dieser sind wir viel zu beschäftigt.

Wir sind viel zu beschäftigt damit, Schuldige zu suchen und auch zu finden, denn dabei sind wir Experten.

Wir sind viel zu beschäftigt damit, für unsere eigene Verantwortung blind zu sein und zu bleiben.

Statt in Selbstreflektion und Selbstwirksamkeit üben wir uns in Hetze, Wut, Egoismus und Gier – jetzt mehr denn je. Ausgerechnet jetzt, in einer Zeit, in der wir uns bewusst machen sollten – ja müssen – dass wir nicht unschuldig sind. Dass wir nie unschuldig waren.

Jeden Tag frage ich mich, was wir aus all dem lernen werden? Jeden Tag komme ich zum gleichen Ergebnis. Jeden Tag, an dem ich sehe, wie wir ach so sozialisierten, zivilisierten und privilegierten Menschen uns angesichts einer solchen Bedrohung verhalten, komme ich zu dem Schluss, dass sich nichts ändern wird.

Wir sind mit Gott und der Welt vernetzt, nehmen jeden Tag virtuell am Leben anderer Menschen und an den Geschehnissen in der Welt teil, doch die Verbindung zu uns und unserem Leben ist uns dabei völlig verloren gegangen. Empathie, Mitgefühl, Verständnis und Demut sind dabei – wie Toilettenpapier in diesen Zeiten – zu Mangelware geworden und es fällt uns nicht einmal auf.

Ich komme einfach nicht umhin, gewisse Parallelen zu sehen. Ein Kleinkind ist in seiner Entwicklung noch nicht weit genug, um wahrzunehmen, dass es neben ihm noch eine Welt gibt, mit Menschen, die Gefühle und Bedürfnisse haben. Sie nehmen einem anderen Kind die Schaufel weg und nehmen dabei völlig unbeeindruckt zur Kenntnis, dass dieses Kind weint. Dass sein Gegenüber weint und warum ist erstmal nicht wichtig – die Schaufel ist da, wo sie hingehört.

Ein Kleinkind lernt noch, dass sein eigenes Handeln Auswirkungen auf andere hat, dass es die Flut an Eindrücken filtern und sortieren kann, dass es teilen kann und auch sollte und dass es so Freunde finden wird. Es lernt noch, dass es ein soziales Wesen ist und Interaktionen zum (über)leben braucht, denn wir sind nicht dafür gemacht, allein zu sein. Es lernt noch, dass sein eigenes Verhalten – direkt und indirekt – Einfluss auf seine Umwelt hat.

Wann fangen wir an, uns auf das zu besinnen, was wir einmal gelernt haben? Melanie Schade
Anmerkung der Redaktion:
Die im Forum dargestellten Äußerungen und Meinungen sind nicht unbedingt mit denen der Redaktion identisch. Für den Inhalt ist der Verfasser verantwortlich. Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzungen vor.
Autor: red

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