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Vernunft bleibt auf der Strecke

Freitag, 21. Februar 2020, 08:51 Uhr
Toleranz, aufeinander Zugehen, die Meinung des anderen nicht von vornherein verdammen, das Miteinander ermöglichen, erst überlegen, dann sich äußern – schön, wenn dem so wäre. Es hat hingegen den Anschein, als ob es in unserer Gesellschaft immer brutaler zugeht, meint Kurt Frank...

Nicht nur im täglichen Leben, wie der Fall Hanau zeigt. Ein abscheuliches Verbrechen. Hass war, wie zu hören ist, das Motiv. Aber auch eine unangebrachte Wortwahl kann Zwietracht säen. Anschaulich ist das in „Kommentaren“ zu unseren Betrachtungen über das Chaos in Thüringen lesbar.

Da war eine CDU-Politikerin bereit, Verantwortung zu übernehmen, plädierte für die Wahl des Bodo Ramelow. Schon wird ihr Rock und Stock vorgeworfen, in ihrer Vergangenheit gekramt, und ihr geraten, sich den Roten anzuschließen. Nicht um das Gestern, um das Hier und Heute ging es dieser Frau, darum, einen Weg aus dem Chaos zu ermöglichen. Sie umgehend als verkappte SED-Linke zu bezeichnen ist, mit Verlaub, Schwachsinn. Die AfD antwortete, wie erwartet, mit einem „Hau drauf!“ Immerhin, Respekt, gab sich ihr Vertreter mit Namen.

Eine alte Weisheit besagt: Erst klug überlegen, dann sich äußern. Wir vermissten sie in einigen Antworten mitunter sehr. Spricht nicht Voreingenommenheit aus Formulierungen wie „Umlackierte SED?“ Oder, auf Ramelow bezogen, „Vorreiterwolf im Schafspelz“? Ist es logisch, die Linke insgesamt als „Bande“ zu bezeichnen und Frau Henning-Welsow, zur Wendezeit noch Schulkind, als „Höckes Gehilfin“ zu sehen? Es geht auch anders: Treffen nicht jene Aussagen von Kommentatoren den Nagel besser auf den Kopf, die meinten, es sei kindisch, trotzig, unangebracht, beschämend, jemanden einen Blumenstrauß vor die Füße zu werfen? Eine gepflegte Wortwahl wirkt tiefer als Kraftausdrücke und ein „Auf ihn/sie mit Gebrüll“.

Wenn das logische Denken aussetzt, treibt Gehässigkeit neue Blüten. Zu keiner Zeit half das, Probleme aus der Welt zu schaffen. Sie spaltete, brachte Menschen gegeneinander auf. Wo das hinführen kann, lehrt uns die Geschichte. Dennoch: Jeder soll, überlegt!, sagen, was er meint. Und wenn jene, die durch Straßen ziehen und „Deutschland verrecke!“ brüllen als die bezeichnet werden, deren Verstand sich im verlängerten Rückenteil befindet, ist das wirkungsvoller ausgedrückt als Bezeichnungen wie „Vaterlandsverräter“, „Schweine“ oder „Dreckskerle“. Und wer sich von solchem Gehabe nicht distanziert, ob von links oder welcher Seite auch immer, ist es nicht wert, geachtet oder gewählt zu werden.

Kraftausdrücke und plumpe Manöver, ob von rechts gegen links oder umgekehrt, von wem auch immer gegen den anderen, bringen nichts. Höcke darf man, ganz offiziell, einen Faschisten nennen. Niemals würde ich hierzulande einen Andreas Leupold und einen Jörg Prophet als einen solchen bezeichnen, nur weil sie der AfD angehören. Beide lernte ich kennen. Lehrer der eine, Unternehmer der andere. Sie bringen sich, demokratisch gewählt, in die Gesellschaft ein. Obwohl ich mir eine konsequente Distanz zu Höckes Ansichten und seiner Wortwahl, mit der selbst die Bundes AfD ihre Probleme hat, wünschte, spricht nichts dagegen, sich mit diesen Männern sachlich zu unterhalten, auch wenn man anderer Meinung ist.

Die nnz pflegt wie keine andere Zeitung Meinungsvielfalt. Auch ihre Redakteure bekommen mitunter zu lesen, was kein anderes Medium je über ihre Mitarbeiter veröffentlichen würde. Gleichwohl geben wir hier so manchen Kommentatoren einen gut gemeinten Ratschlag: Erst klug überlegen, dann die Tastatur betätigen!
Kurt Frank
Autor: red

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