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Effi Briest im Jungen Theater Nordhausen

Es ist ein weites Feld

Sonnabend, 25. Januar 2020, 14:00 Uhr
Ein Klassiker der deutschen Literatur oder doch ein sicherer Weg jungen Menschen jegliche Lesefreude im Deutschunterricht auszutreiben? Theodor Fontanes Roman "Effi Briest" wirkt heute wie aus der Zeit gefallen. Das der Stoff trotzdem noch Relevanz hat, das will das junge Theater dieser Tage zeigen...

Effi Briest im Theater unterm Dach (Foto: Marco Kneise) Effi Briest im Theater unterm Dach (Foto: Marco Kneise)

Effi, verdammt nochmal, Briest - was haben wir uns durch die Kapitel gequält. Ein Stück Literatur so zäh wie alter Kaugummi. Ist da ein Anflug einer Geistergeschichte? Ein wenig Grusel? Nein, nur die Fantasie eines verzogenen, nervtötend naiven Mädchens. Aber später, ein Duell! Endlich "Action"! Vielleicht werde ich mich jetzt mit Fontane versöhnen können? Eine halbe Seite später ist klar - daraus wird nichts. Der junge Leser, der ich in der Schule war, ist nie mit "Effi" warm geworden.

Und kann man es den jungen Leuten verdenken? Fontanes Roman konzentriert sich voll und ganz auf die festgefahrene und rigide Welt der "ersten Gesellschaft" in wilhelminischer Zeit, auf ihre moralische Obsession, den Anstand, den man vor den allgegenwärtigen Augen der Anderen stets zu wahren hat, koste es was es wolle.

Effi Briest heiratet im zarten Alter von 17 Jahren den Baron von Instetten, ihren "Gerd" und hat damit das höchste Lebensziel, das ihr und ihren Freundinnen vorstellbar ist, eigentlch schon fast erreicht. Das erst die Liebe kommt und dann die Ehre, davon ist Effi noch überzeugt. Ihr Leben wird eine andere Geschichte schreiben. Das Mädchen wird Mutter, schließlich eine Frau, die von ihrem Angetrauten aber nie als Erwachsene behandelt wird. Effi tut trotzdem immer, was von ihr erwartet wird, eilt von einem gesellschaftlichen Auftritt zum nächsten, hier eine Soiree da ein Ausflug mit der Kutsche, dem Ansehen und Stand angemessene Plätze in der Oper, stets ist sie darauf bedacht in den Augen der "Gesellschaft" die bestmögliche Figur abzugeben. Keine Blöße zeigen, keine Schwäche, immer lächeln. Was könnten sonst die Leute sagen? Was würde das für die "Karriere" des Barons bedeuten?

Der eine Moment, in dem sie doch einmal nachgibt, sich einen Fehltritt erlaubt und eine flüchtige Liebschaft eingeht, wird ihr, noch Jahre später, zum Verhängnis. "Gerd" findet die alten Liebesbriefe, löst die Ehe, verbietet Effi den Umgang mit ihrer sieben Jahre alten Tochter und tötet den verflossenen Liebhaber, den seine Frau schon fast vergessen hatte, in einem Duell. Sogar das sonst so liebenswürdig scheinende Elternhaus lässt ihr eigen Fleisch und Blut ob der gesellschaftlichen Schande fallen.

Die Schicksalsergebenheit und Schwäche der jungen Dame ist aus heutiger Sicht kaum noch nachvollziehbar, schrecklich enervierend und unsagbar dröge verpackt. Das weiß man auch beim jungen Theater und gibt sich alle Mühe anschaulich zu inszenieren und den Stoff zu raffen ohne den Kern der Erzählung aufzugeben.

"Wir sehen das ein wenig als unseren Beitrag zum Deutschuntericht", sagt Daniela Bethge, Regisseurin des Stücks und Leiterin des jungen Theaters. Eigentlich hatte man die "Effi" schon im vergangenen Jahr, dem "Fontane-Jahr" auf die Bühne bringen wollen, geklappt hat es erst jetzt.

Als zentrales Bühnenelement dient eine Wand mit drehbaren Paneelen und einer Videoleinwand im Zentrum. Effi Briest, gespielt von Lisa Jakobi, taucht nur hier auf. Alle anderen Rollen, insgesamt zehn an der Zahl, übernimmt Eva Lankau. Sie ist "die Gesellschaft", die auf die Leinwand entrückte Effi das Individuum.

Hinter den Paneelen verbergen sich Fotografien, die immer dann umgedreht werden, wenn neue Charaktere das Geschehen betreten oder bereits eingebrachte ihre Einstellung zu Effi ändern. Zu Beginn scheint der Baron noch liebevoll und fröhlich, später tauchen ernstere Mienen auf. Die Wand füllt sich nach und nach mit Gesichtern und Augenpaaren, je weiter Effi in der Gesellschaft voranschreitet und unter zunehmender Beobachtung steht.

Dem Team des jungen Theaters gelingt es in etwas mehr als einer Stunde das herauszuarbeiten, was der ausgiebigen Behandlung in Schultagen nicht gelang: "Effi Briest" zeigt heute nicht nur eine uns fremde Welt, sie zeigt vor allem, was wir seitdem gewonnen haben. Und just darüber wollen die Theaterpädagogen mit den jungem Publikum ins Gespräch kommen. "Effi Briest ist in einem Moralgehege gefangen, sie hat keine Freiheit der Wahl, kein Recht auf Gleichberechtigung, führt keine gleichberechtigte Beziehung sondern ist kaum mehr als Besitz", sagt Bethge, das dass alles Geschichte ist, dafür habe man lange ringen und kämpfen müssen.

Für gewöhnlich gebe man im Vorfeld eine Einführung, hier sei eine Nachbesprechung aber sinnvoller. "Wir wollen auch danach fragen was man die jungen Leute mit der gewonnenen Freiheit heute machen. Wie selbstbestimmt ist man tatsächlich? Und bedeutet der Wandel mehr Unverbindlichkeit? Ist das gut?", erklärt Eva Lankau weiter.

Das Stück ist im Kern immer noch die "Effi, bitte nicht noch so ein Kapitel, Briest", die ich in Erinnerung habe. Trotzdem hat man im TuD das Wunder vollbracht, mich am Ende mit dem Fontan'schen Folterwerkzeug meiner Jugend zu versöhnen. Ein bisschen zumindest.

"Effi Briest" feiert heute, um 18 Uhr Premiere im Theater unterm Dach. Weitere Vorstellungen sind für den 28. Januar, den 6. Februar und den 18. März jeweils um zehn Uhr geplant.
Angelo Glashagel
Autor: red

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