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Streit um Erweiterung des Hauptfriedhofs

Wieviel Platz braucht das Jenseits?

Dienstag, 03. Dezember 2019, 19:00 Uhr
Mit dem was kommt, wenn alles vorbei ist, beschäftigt man sich in der Regel erst dann, wenn sich der Lebensabend seinem Ende entgegen neigt. Der Nordhäuser Stadtrat muss sich dieser Tage näher mit dem Thema Tod auseinandersetzen, genauer mit der Zukunft des Hauptfriedhofs. Es steht die Frage im Raum, was Vorrang haben sollte: das hier und jetzt der Lebenden oder die Zukunft der Verstorbenen…

Wieviel Platz braucht der Hauptfriedhof in Zukunft? (Foto: Angelo Glashagel) Wieviel Platz braucht der Hauptfriedhof in Zukunft? (Foto: Angelo Glashagel)

Mehr Bauplatz für den kleinen Geldbeutel, das forderte die Nordhäuser SPD im Stadtrat jüngst und legte das Areal zwischen Nordhausen Ost und dem Hauptfriedhof als mögliches Bauland auf den Tisch. Zwei Investoren würden hier gerne die Bagger rollen lassen, das Problem ist nur: das Gebiet ist als Erweiterungsfläche für den Nordhäuser Hauptfriedhof vorgesehen. Der entsprechende Bebauungsplan besteht bereits seit 1992.

Bei der SPD stellt man nun die Frage in den Raum, ob eine Erweiterung wirklich vonnöten ist. Der Hauptfriedhof umfasst eine Fläche von 10,8 Hektar. Würde man von der vorgesehenen Erweiterung vollumfänglich Gebrauch machen, kämen noch einmal 4,5 Hektar hinzu.

Wer heute einen Spaziergang über das Friedhofsgelände macht, der sieht viel freie Fläche, insbesondere im südlichen Teil der Anlage. Mehr als genug Platz, um dem Bedarf gerecht zu werden, meinen die SPD-Genossen Hans-Georg Müller und Andreas Wieninger. „Die Bevölkerungsentwicklung ist rückläufig und der Trend geht heute vermehrt zu halbanonymen Bestattungen oder Varianten wie dem „Friedwald“, die weniger Platz in Anspruch nehmen, als die klassische Erdbestattung“, sagt Müller bei einem Rundgang Ende November.

Die SPD Stadträte Andreas Wieininger und Georg Müller  (Foto: Angelo Glashagel) Die SPD Stadträte Andreas Wieininger und Georg Müller (Foto: Angelo Glashagel) Eine Erweiterung des Hauptfriedhofs sei daher nicht nötig, meinen die SPD-Stadträte, zumindest nicht in dieser Größenordnung. Es seien andere Lösungen denkbar, etwa die Verkleinerung der Erweiterungsfläche auf einen Streifen von rund 40 Metern Breite, hinter dem dann noch ausreichend Platz für Wohnbebauung bliebe, sagt Müller, und das sei nur eine denkbare Variante. Voraussetzung wäre freilich eine Änderung des alten Bebauungsplanes durch den Nordhäuser Stadtrat.

Nicht alles was frei aussieht, ist auch frei

Den Trend, den man bei der SPD sieht, registriert man auch bei der Friedhofsverwaltung. 740 Grablegungen gab es im Jahr 2018 insgesamt, 425 allein auf dem Hauptfriedhof, der Rest verteilt sich auf die Ruhestätten der Ortsteile. Dabei zählte man am Stresemannring nur 50 traditionelle Erdbestattungen, der Großteil der Grablegungen erfolgte als Urnenbestattung. Wo die Urne unter einem eigenem, solitärem Grabstein zur Ruhe gebettet wird, besteht seit zwei Jahren die Möglichkeit, für den Partner oder die Partnerin einen Platz zu reservieren, hinzu kommen die „Partnerhaine“. Auf den halbanonymen „Urnenhainen“ erinnern steinerne Säulen an die Menschen, die hier zu Grabe getragen wurden und als Äquivalent zum „Friedwald“ wurde auf dem Nordhäuser Friedhof ein Baumhain angelegt, auf dem im Jahr 90 bis 100 vollanonyme Bestattungen durchgeführt werden. Hinzu kommen diverse Abwandlungen der gängigen Begräbnisformen wie Erdreihengräber, Urnenreihengräber, Erdhain, Erdgemeinschaftsanlage, Urnengemeinschaftsanlage und Gräber für „Schmetterlingskinder“.

Soweit der aktuelle Trend. Der könne sich aber auch wieder ändern, gibt die Friedhofsverwaltung zu bedenken. Man könne nicht heute sagen, wie die Bestattungskultur in nächsten 40 bis 60 Jahren aussehen werde, und wie sich dann der Gestaltungs- und Platzbedarf darstelle. Das aber sind die Planungshorizonte, unter denen Friedhöfe agieren müssen. Ein Urnenhain etwa wird mindestens 20 Jahre gepflegt, an anderer Stelle können „Ruhezeiten“ auch 30 Jahre oder mehr betragen. Die aktuelle Belegung der Ruhestätten liegt auf dem Papier bei 83%, einen „Überhang“ gebe es in dem Sinne aber nicht, heißt es aus der Friedhofsverwaltung, das Areal sei nur auf den ersten Blick lückenhaft belegt. Anders ausgedrückt: nicht alle Flächen, die frei aussehen, sind auch frei und bis ein Platz wieder frei wird, können Jahrzehnte ins Land gehen.

Den Vorstoß der SPD sieht man entsprechend skeptisch. Die gedachte Erweiterungsfläche sei in ihrem Umfang durchaus sinnvoll und in Anbetracht der bereits vorhandenen Infrastruktur gut gelegen.

Im Fall der Fälle einen ganz und gar neuen Friedhof aus der Taufe zu heben, weil Ausweichflächen am Hauptfriedhof verbaut wurden, wäre zudem eine enorme Herausforderung im eng bebauten Stadtgebiet. Historisch hat man diesen Kraftakt schon zwei mal unternehmen müssen. Während der Industrialisierung des späten 19. Jahrhunderts waren die alten Kirchfriedhöfe aufgegeben worden, die auch in Nordhausen in der Regel direkt oder in der Nähe der Gotteshäuser lagen. An ihre Stelle trat 1876 der „Zentralfriedhof“. Heute ist die Anlage zwischen Frankenstraße, Leimbacher Straße und Windlücke als „Alter Friedhof“ bekannt. Die Ruhestätte war Mitte des 20. Jahrhunderts wegen Überbelegung aufgegeben und 1964 endgültig beräumt und zur Parkanlage umfunktioniert worden.

Die dritten im Bunde

Der SPD gehe es bei ihren Vorschlägen nicht darum, den beiden Investoren ihre Bauherrenträume zu erfüllen, unterstreichen Müller und Wieninger, man mache sich vielmehr grundsätzliche Gedanken zur Zukunft der innerstädtischen Bauplanung. In den letzten Jahren sei Wohnraum vor allem im hochpreisigen Segment entstanden, was es nun brauche, sei Bauland, das in Form von Reihen- oder Mehrfamlienhäusern, auch für den kleineren Geldbeutel erschwinglich wird.

Die Erweiterungsfläche (rechts) liegt seit Jahren brach (Foto: Angelo Glashagel) Die Erweiterungsfläche (rechts) liegt seit Jahren brach (Foto: Angelo Glashagel) Die infrastrukturelle Erschließung sollte durch die Nähe zum Stadtteil Ost keine große Hürde darstellen und in der direkten Nachbarschaft würde man architektonisch nicht aus dem Rahmen fallen, an das Areal grenzen bereits Einfamilienhäuser an. Zu guter Letzt könnte mit einem neuen Wohngebiet das gelingen, was mit der Neubausiedlung auf der anderen Seite des Stadtteils nur bedingt geglückt ist - eine Aufwertung des Stadtteils an sich. Während sich die Leimbacher Straße wie eine Grenze zwischen das „alte“ und „neue“ Ost schiebt, wäre die Nähe der gedachten neuen Wohnsiedlung zu Schule, Kindergarten, Einzelhandel und Nahverkehr gewissermaßen „direkter“.

Die beiden Investoren, Christoph Tölle und Wolfgang Oschinsky, geht es derweil gar nicht um das gesamte Gebiet der Erweiterungsfläche, sondern lediglich um die 9.700 Quadratmeter, die sie im Jahr 2017 erwerben wollten. Die Stadt machte den Plänen des Duos einen Strich durch die Rechnung und nutzte ihr Vorkaufsrecht mit der Begründung der Friedhofserweiterung. Der Streifen, den sich die beiden Investoren auserkoren haben, würde inmitten der geplanten Erweiterungsfläche liegen.

Die Argumentation der Stadt wurde jüngst von der Kommunalaufsicht des Kreises bestätigt, das Handeln der Verwaltung war demnach rechtens. Abgeschlossen ist der Streit damit noch nicht, Tölle und Oschinsky haben angekündigt, vor das Verwaltungsgericht zu ziehen. Beim letzten Zusammentreffen von Stadt und Investoren im Ausschuss für Stadtentwicklung hatte sich die Stadtverwaltung zuversichtlich gezeigt, auch diesen Prozess für sich zu entscheiden, man setze schließlich eine Stadtratsbeschluss durch und hege nicht die Absicht, das Vorkaufsrecht wie von Tölle und Oschinsky gefordert, zurückzuziehen.

Bleibt die Frage was schwerer wiegt: die Möglichkeit, neuen Wohnraum für junge Generationen zu schaffen oder für die Zukunft zu planen und dem Jenseits den nötigen Platz innerhalb der Stadt zu sichern. Gestorben wird schließlich immer. Das gilt aber freilich auch für das Geboren werden. Eine Antwort zu finden, die alle Seiten zufrieden stellt, dürfte schwierig werden, aber eine Antwort sollte der Stadtrat geben.
Angelo Glashagel
Autor: red

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