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30 Jahre Mauerfall

Wirtschaftsforscher sehen gemischte Bilanz

Sonnabend, 09. November 2019, 14:02 Uhr
30 Jahre nach dem Mauerfall zieht das Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung mit Blick auf das Ziel, in Ost- und Westdeutschland gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, eine gemischte Bilanz. Demographische Entwicklung und ländliche Prägung seien wichtige Faktoren, die auch manch Westdeutsche Region treffen...

Auf der einen Seite haben sich die beiden Landesteile einander angeglichen: So ist die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern im Vergleich zu den Nachwendejahren deutlich gesunken, auch bei der Wirtschaftskraft holte der Osten auf. Wanderungssalden sind inzwischen ausgeglichen, Lebenserwartung und Lebenszufriedenheit liegen heute deutlich höher als noch vor drei Jahrzehnten. Auf der anderen Seite hinken die neuen Länder im Vergleich zu den alten in vielen Bereichen weiterhin hinterher, nicht nur bei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit: Die Bevölkerung ist infolge von Abwanderung und sinkenden Geburtenraten nach der Wiedervereinigung älter als im Westen, der Anteil der Niedriglohnbeschäftigen und auch die Arbeitslosenquote höher.

Im Rahmen einer aktuellen Analyse hat Peter Krause, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Daten der amtlichen Statistik und des SOEP ausgewertet. Dabei nahm er unter anderem die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, die Regionalstruktur, den Arbeitsmarkt und die Einkommen sowie die Lebenszufriedenheit und wirtschaftlichen Sorgen unter die Lupe. „Im Rückblick gab es seit der Wiedervereinigung zweifelsohne gewaltige Fortschritte bei der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland“, so Krause. „Die Frage ist, wie weit die Angleichung noch gehen kann – und, viel wichtiger, ob wir überhaupt noch über Ost-West-Unterschiede sprechen oder nicht vielmehr über regionale Unterschiede, etwa zwischen Stadt und Land, die es in ganz Deutschland gibt.“

DIW Wochenbericht (Foto: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) DIW Wochenbericht (Foto: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung)


Ostdeutschland ist deutlich ländlicher geprägt als Westdeutschland

Denn, auch das geht aus der Analyse hervor: Beispielsweise Einkommensungleichheit und steigende Armutsrisikoquoten sind kein rein ostdeutsches Phänomen. Auch in den westdeutschen Ländern gibt es Regionen, die im Vergleich zum Bundesdurchschnitt zurückfallen. „Die ostdeutschen Flächenländer sind besonders betroffen, weil sie insgesamt deutlich stärker ländlich geprägt sind und vor allem in den städtischen Regionen die Bevölkerung deutlich gesunken ist“, erklärt Krause. Diese ländliche Prägung Ostdeutschlands hat sich seit der Wiedervereinigung sogar noch verstärkt: Lebten 1990 rund 68 Prozent der dortigen Bevölkerung auf dem Land, waren es 2017 etwa 71 Prozent – bei gleichzeitig deutlich rückläufigen Einwohnerzahlen. Zum Vergleich: In Süd- und Norddeutschland sind die Bevölkerungszahlen in den vergangenen fast drei Jahrzehnten gestiegen – und nur 23 beziehungsweise 31 Prozent der EinwohnerInnen leben in ländlichen Regionen.

Das Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, sollte sich nach Ansicht des Studienautors künftig weniger an Ost-West-Vergleichen orientieren, sondern vielmehr die regionalen Disparitäten in ganz Deutschland in den Blick nehmen. In schrumpfenden, wirtschaftsschwachen Gegenden, in denen sich die Menschen mehr und mehr von anderen Regionen abgehängt fühlen, wären neben einer gezielteren Wirtschaftsförderung auch Maßnahmen – etwa in den Bereichen Bildung und Familie – denkbar, die den sozialen Zusammenhalt stärken. „Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse bleibt ein wichtiges politisches Ziel, vielleicht ein wichtigeres denn je – aber wir müssen dabei jetzt die Ost-West-Brille abnehmen und den Blick stärker auf die regional differenzierten Lebensbedingungen in allen Landesteilen lenken“, so Krause.
Autor: red

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