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Theaterintendant mit offenem Brief

Mittwoch, 23. Oktober 2019, 09:01 Uhr
"Heute Nacht bewegen mich wiedermal viele Gedanken, die mich nicht schlafen lassen. Ich denke an unser Theater Nordhausen, dem ich die Ehre habe vorzustehen, an meine Kinder, an Freunde, die bevorstehenden Wahlen; und plötzlich bleiben meine Gedanken am letzten Samstag hängen." So beginnt ein offener Brief von Daniel Klajner, den wir innerhalb unserer doku-Reihe veröffentlichen...


Sie kreisen um die Geschehnisse auf dem Theaterplatz, und ich sehe vor mir Bilder der AfD-Wahlveranstaltung, sehe geöffnete Fenster im ersten Rang, eine mit vielen verschiedenen Flaggen bunt geschmückte Fassade, auf der steht „Wir sind die VIELEN“, „Für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“, eine Wahlkampfrede ist im vollen Gange, dann vernehme ich sehr laute Musik, die aus den geöffneten Fenstern des Theaters schallt, eine Menschenmenge auf dem Platz, die beim Eingreifen und Unterbinden der Störung durch die Polizei applaudiert…

Ich gehe in Gedanken die darauffolgenden Presseartikel und die in den sozialen Medien öffentlich gemachten Posts durch und denke mir plötzlich, dass es Dinge gibt, die ich gerne für mich und andere ordnen möchte:

Vor einer guten Woche habe ich veranlasst, dass die Theaterfassade, in der oben benannten Art und Weise, geschmückt wird. So wie ich das Musical „Cabaret“ auf den Spielplan gesetzt habe, als in diesem Frühjahr der Europawahlkampf war, so ist es mir heute wichtig, zu den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen ein klares gesellschaftspolitisches Koordinatensystem einzuziehen: Das Theater verkörpert Vielfalt, Toleranz und Demokratie, dafür stehen wir tagtäglich ein und wollen davon keinen Deut abweichen.

Zurzeit werben alle Parteien im ganzen Freistaat mit unterschiedlichsten Argumenten und Mitteln. Das Theater Nordhausen steht an seinem Platz und gibt dazu ein stummes, aber pointiertes Statement. Dieses soll niemanden beleidigen, angreifen oder bloßstellen, sondern ein konstruktiver Vorschlag sein, eine Werbung für ein plurales, diskursives, friedfertiges und respektvolles Gesellschaftsmodell.

Am letzten Samstag war die AfD auf dem Theaterplatz. Im Vorfeld des Wahlkampfes wurde theaterintern klar besprochen, dass wir uns immer gemäß der von uns aufgehängten Transparente korrekt und gesetzeskonform verhalten. Trotzdem wurde die Veranstaltung aus dem Theater heraus gestört. Die akustische Störung eines Redebeitrages der AfD-Wahlkampfveranstaltung wurde von Künstlern betrieben, die nicht zum Theater gehören, sondern einen Gastspielauftritt hatten und sich im Theater aufhielten, um für ihren kommenden Auftritt zu proben.

Ein Theatermitarbeiter hat sich in seiner Freizeit auf der Theatertreppe aufgestellt, um auf die Inhalte seines Schildes aufmerksam zu machen. Dass er aus dem Theatergebäude kam, hat weite Kreise zur fälschlichen Annahme verleitet, das Theater stünde hinter der Aktion.

So sitze ich in der Nacht am Laptop und versuche zu ordnen: Aus dem Theater tönte es – entgegen der Gesetzeslage, aber verstehe ich die Motivation? Von rechts schrie es – und ich frage mich, wie radikal sind die Menschen wirklich, gerade in Nordhausen, und wenn sie gemäßigt wären, warum lässt man dann den anderen reden? Und von links – wenn sie rechter haben sollten als die Rechten, warum müssen sie schreien? Alle reden von Demokratie und deren Gefährdung, einige schreien es heraus und den anderen in die Gesichter, in einer Wortwahl und Tonlage, die zuweilen beleidigend, aggressiv, herabwürdigend und inkorrekt ist.

Mein Anliegen und damit auch dasjenige des Theaters ist so simpel wie schwierig: Reden wir alle miteinander ohne den Pfad der befriedenden Rechtsordnung zu verlassen, ohne den gegenseitigen Respekt vermissen zu lassen – dafür mit geschärften und klaren Gedanken und Argumenten, die von der nicht immer einfach zu lebenden Toleranz, von der zuweilen anstrengenden und ermüdenden Demokratie und von der reichen, aber manchmal verstörenden Vielfalt getragen sind.

Herzliche Grüße

Daniel Klajner Intendant und Geschäftsführer
Autor: red

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