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Der Blick zurück und nach vorn der Birgit Keller

“Der hat mich doch hier weggeholt!”

Dienstag, 22. Oktober 2019, 12:00 Uhr
Zwölf Kandidaten aus sechs Parteien buhlen noch bis zum 27. Oktober in Stadt und Landkreis um die Gunst der Wähler. Doch nur zwei werden direkt das “Rennen” machen. Eine der Zwölf hat jetzt eine Amtszeit als Ministerin hinter sich gebracht. Wir haben uns mit Birgit Keller über die Zeit des Anfangs und des Endes dieser Legislatur unterhalten, über Erfolge, aber auch über Niederlagen…

Birgit Keller redet vor Nordthüringer Landwirten (Foto: nnz) Birgit Keller redet vor Nordthüringer Landwirten (Foto: nnz)
Es sei die “Nacht der Nächte” gewesen, erinnert sich Birgit Keller an das Ende des Novembers vor fünf Jahren. Da lagen hinter der damals immer noch amtierenden Landrätin Wochen der Sondierungsgespräche und der Koalitionsverhandlungen. In das Team sei sie gekommen, weil sie aus Sicht der Landespartei im Landkreis Nordhausen zwei Jahre einen guten Job als Landrätin gemacht habe. “Zeit zum Nachdenken gibt es auf diesem politischen Spielfeld nicht und Erfahrungen in der Kommunalpolitik habe ich in den zurückliegenden 20 Jahren genügend gesammelt, im Kreistag und ab 2012 als Landrätin.”

Dieser entscheidenden Nacht vorausgegangen waren unter anderem auch die Ressortaufteilung zwischen den drei Koalitionären. Eigentlich schien alles geklärt, bis dann die Thüringer Bauern eine Forderung aufmachten. Der Bereich der Land- und Forstwirtschaft dürfe nicht den Grünen zugeschlagen werden. Den Linken schon und damit Birgit Keller. Nach einem Gespräch mit Bodo Ramelow hatte sie zugesagt und trotzdem “habe ich selbst am Morgen des 5. Dezember 2014 immer noch nicht an meine Ernennung zur Ministerin geglaubt.”

Ob in diesen Augenblicken die Zeit noch einmal rückwärts aufgerollt wurde, will Birgit Keller in diesem Gespräch weder bejahen noch verneinen. Als Vertreterin der SED-PDS nahm sie in Nordhausen am Runden Tisch teil, obwohl sie sich ein Jahr zuvor geschworen hatte, nie wieder in die Politik zu gehen und noch 1990 einen Job in Bonn abgelehnt hatte. Doch es kam anders, 1994 Kreistag, 2009 Landtag, drei Jahre später Landrätin. Der Slogan “Gestalten und Verbinden” gilt für Keller heute noch, er macht das in zwei Worten aus, was die Linke unter Politik versteht. Dabei ist es unerheblich auf welcher Ebene.

Und trotzdem: Ministerin zu sein ist etwas anderes als Landrätin. Jede Rede, jede Äußerung wird medial begleitet, analysiert und kommentiert. Zu schnell sind danach die Schubladen mit den Namen “Erfolg” und Niederlage” geöffnet. Immer noch jedoch hat Birgit Keller Hochachtung und Respekt vor diesem Amt und betrachtet sich als Erfüllerin des Wählerauftrages, auf das sie - fünf Jahre nach dem 5. Dezember - durchaus kritisch zurückblickt. “Ich will das, was ich mir vorgenommen und aus dem Koalitionsvertrag für meinen Verantwortungsbereich abgeleitet habe, erfüllen, doch leider kommt manches anders. Zum Beispiel bei der Erneuerung von Straßen. Die hatte Priorität vor Neubau, am Ende allerdings hatte mein Ministerium nur 30 Millionen Euro zur Verfügung. Die Fachleute wissen, dass diese Summe weniger als der bekannte Tropfen auf dem heißen Stein war. Der Grund der Änderung: unsere Landesregierung investierte 400 Millionen Euro in der Schulbauprogramm. Rückblickend eine richtige Entscheidung”, erzählt Frau Keller.

Die Nordhäuserin hätte auch mehr Geld für den regionalen Bahnverkehr zur Verfügung gehabt, hätte das Azubiticket, das sie als Erfolg bezeichnet, viel früher umgesetzt, statt es in schier endlosen Verhandlungsrunden mit Kammern, Kommunen und Verkehrsunternehmen fast zu zerreden. Aktuell nutzen 6.000 junge Leute das Azubiticket. Die derzeitige Modellphase ist bis zum Ende dieses Ausbildungsjahres verlängert. Danach? Offen!

Und da ist noch ein Punkt der eigenen Unzufriedenheit: “Wir wollten zehn Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Thüringen in den ökologischen Landbau überführen, bei einem 2014er Ausgangswert von 4,8 Prozent. In diesem Jahr liegen wir bei 6,5 Prozent. Nun werden Kritiker sagen, dass das für die Zeit von fünf Jahren nicht allzu toll ist. Wissen muss man allerdings, dass im Jahr 2015 eines der größten Ökolandbauunternehmen diesen Landbau abgemeldet hatte”, erklärt Birgit Keller.

An den Erfolgen will sich Keller nicht lange abarbeiten. Sie seien das Ergebnis der Arbeit, des Auftrags, der ihr von den Wählern aufgetragen wurde, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Trotzdem, “auf das realisierte Schulinvestitionsprogramm und auf die Ergebnisse im Radwegebau bin ich persönlich sehr stolz. In diesem Stolz dürfen wir nicht ertrinken, sondern in den kommenden Jahren weitermachen.”

Der Wahltag Ende Oktober wird auch im Leben der Birgit Keller eine Zäsur werden. So oder so. Wenn es für LINKE in einer Regierung weitergeht, würde die Nordhäuserin ein ministerielles Amt erneut anstreben? “Ja!” “Aber, es gibt dann viele Unwägbarkeiten, den Wahlausgang, die Ressortaufteilung innerhalb einer neuen Koalition. Ich würde wollen, auch um einige Sachen zu Ende zu bringen”. Siehe oben.

Parteiübergreifend steht in der Nordhäuser Region fest und auch in der Wirtschaft ist es Konsens, dass die Ministerin Birgit Keller ihre Heimat “nicht vergessen” hat. Kein Minister vor ihr habe das fertiggebracht, sind sich die politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich Handelnden einig. Und kein MP vor Bodo Ramelow habe sich so um den Thüringer Norden bemüht. Immer noch rätseln in der Region viele, warum das so war und ist? Eine mögliche Antwort hat Birgit Keller schon: “Der Ministerpräsident stand in der Schuld unserer Südharzer Region, weil er mich vor fünf Jahren von hier weggeholt hat!”

Das Gespräch führte Peter-Stefan Greiner
Autor: red

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