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Zentrale Unterbringung ist keine Lösung, sie ist das Problem

Montag, 02. September 2019, 13:14 Uhr
Das Landratsamt hat angekündigt, die Unterbringung von Flüchtlingen neu aufzustellen und dabei stärker auf die Gemeinschaftsunterkünfte zu setzen. Die Vorschläge würde keine Probleme lösen, sondern neue Probleme schaffen, warnt jetzt ein Leser der nnz, der sich mit der Materie auskennt...

Mit Bestürzung habe ich die Vorschläge aus dem Landratsamt zur Unterbringung von Flüchtlingen aufgenommen. Bevor das Thema morgen im Kreistag diskutiert wird will ich, abseits aller ideologischen Debatten, einmal einen fachlichen Blick aus der Sicht der sozialen Arbeit auf die Pläne des Landrates werfen.

Kurz zur Zusammenfassung: der Landrat wird morgen einen Beschluss in den Kreistag einbringen, der die bisherige Praxis der dezentralen Unterbringung von Geflüchteten faktisch abschaffen wird. Neuankömmlinge und „auffällige“ Geflüchtete sollen demnach generell in den sogenannten Gemeinschaftsunterkünften (GU) untergebracht werden. Ausnahmeregelungen sieht der Beschluss zwar vor, die sind aber, wie der gesamte Text, äußerst schwammig formuliert. Der Landrat stellt sich damit deutlich gegen das vom Kreistag bereits beschlossene Integrationskonzept, das vorsieht keine Segregation zu fördern.

Und hier fangen die Probleme aus professioneller Sicht an. Der Beschluss sieht unter anderem vor, dass „Nicht anerkannte ausländische Flüchtlinge, die bisher dezentral untergebracht sind […] vom Landkreis in eine geeignete Gemeinschaftsunterkunft umverteilt (werden), wenn sie beharrlich gegen ihre aufenthaltsrechtlichen Pflichten oder gegen grundständige Regeln des menschlichen Zusammenlebens verstoßen“. In der Begründung heißt es, dass in der Phase des Ankommens eine zentrale Unterbringung zu favorisieren sei und eine Unterbringung in Wohnungen nur in „extremen Ausnahmefällen“ in Betracht kommen soll. Gegenbenenfalls sei eine Umverteilung auch gegen den Willen der Betroffenen durchzusetzen.

Wer entscheidet wann jemand „auffällig“ ist? Was sind die „grundständigen Regeln des Zusammenlebens“? Reicht es wenn sich die Nachbarn beschweren, weil die Kinder zu laut spielen? Vage Formulierungen ohne klare Definition öffnen Denunziationen Tür und Tor und wir haben in den letzten Jahren immer wieder Fälle erlebt, in denen genau das geschehen ist. Geht der Beschluss so durch den Kreistag, schwebt auch über denjenigen, die sich alle Mühe geben in diesem Land anzukommen, das Damoklesschwert der zentralen Unterbringung. Familien mit Kindern, Auszubildende, Leute die einer geregelten Arbeit nachgehen – jeder Geflüchtete könnte ins Visier der Behörden geraten. Die Angst, die hier geschürt wird, ist real. Einrichtungen wie die GU in der Rathsfelder Straße werden von den Geflüchteten im Kreis auch als „Abschiebeknast“ bezeichnet und das kommt nicht von ungefähr.

Um das zu verstehen, muss man die Situation in den GU's kennen und die Vermutung, dass den meisten Kreistagsmitgliedern die Zustände hier nicht geläufig sein dürften, liegt nahe. In der Rathsfelder Straße etwa werden Mehrbettzimmer für bis zu acht Personen vorgehalten, die nicht abschließbar sind. Privatsphäre ist faktisch nicht vorhanden, Frauenbesuch ist verboten und der Wachdienst ist permanent präsent. Hier werden Männer untergebracht, denen klar ist, dass sie abgeschoben werden und deren Integrationswille sich im Bewusstsein dessen von vornherein erledigt hat. Viele sind aggressiv, leiden unter Depressionen, psychischen Erkrankungen und anderen Problemlagen, Alkohol- und Drogenmissbrauch kommen immer wieder vor. Was passiert wenn man Menschen ohne Perspektive auf engstem Raum zusammenbringt? Wenn man den strenggläubigen Muslim mit dem Alkoholiker in eine Zelle sperrt? Die Situation schaukelt sich hoch und eskaliert. Immer wieder. Viele der problematischen Vorkommnisse der letzten Zeit haben ihren Ursprung genau in diesem Spektrum, nicht aus der dezentralen Unterbringung. Die Sozialarbeiter, die in diesem Feld tätig sind, kennen die Hintergründe, weil sie tagtäglich mit genau diesen Fällen zu tun haben. Über die positiven Geschichten, die vielen kleinen Erfolge, die man ebenso tagtäglich erleben darf, redet niemand. In der Öffentlichkeit kommt nur das Bild vom „bösen Ausländer“ an.

Nun mag man einwenden, dass die Rathsfelder Straße nicht die einzige GU im Kreis ist und das der Vorschlag des Landrates eine „angemessene und bedürfnisgerechte“ Unterbringung vorsieht. Andere Einrichtungen dieser Art sind in der Region verteilt, vor allem in den ländlicheren Gegenden, wie etwa Sülzhayn. Hier werden vor allem Familien untergebracht. Das die Anbindungen an den Rest des Kreises und die Kreisstadt im ländlichen Raum ein Problem ist, ist hinlänglich bekannt. Nun wirft man Menschen in diese Gemengelage, die in der Regel nicht über einen Führerschein verfügen und auf die de facto kaum vorhandene Infrastruktur angewiesen sind. Wer hier landet, für den ist eine Anstellung in Schicht- oder Zeitarbeit oder im Handwerksbetrieb hinfällig, da kann noch so viel guter Wille von Seiten der Betroffenen herrschen. Integration wird nahezu unmöglich gemacht, oder anders ausgedrückt: beim Busfahrer wird niemand Deutsch lernen.

Was hier vom Landratsamt angestrebt wird ist Assimilation, nicht Integration und das muss und wird schiefgehen. Integration ist keine Einbahnstraße, keine „Bringschuld“, man kann den Menschen ihre Herkunft und ihre Geschichte nicht nehmen. In der sozialen Arbeit sprechen wir von der „Kontakthypothese“. Eine soziale und kulturelle Integration ist nur dann möglich, wenn man mit dem einheimischen Umfeld in Kontakt treten kann. An dieser Stelle muss die soziale Arbeit über die Erstaufnahme und die Arbeitsmarktintegration hinausgehen und genau das passiert im Landkreis, wenn überhaupt, nur auf Vereinsebene und im ehrenamtlichen Engagement. Die Pläne des Landrates, in ihrer jetzigen Form, laufen auf eine simple Formel hinaus: zuschließen und Kontaktverbot. Die vorgesehen Zwangsumsiedlung gepaart mit dem System der zentralen Untebringung führt zur totalen Entmündigung, ein Recht auf wohnen gibt es nicht mehr.

Über die Beweggründe des Landrates kann nur spekuliert werden. Die in der Vorlage formulierten Forderungen an den Freistaat lassen zumindest darauf schließen, dass es nicht primär um eine Lösung sozialer Probleme geht, sondern um finanzielle Zuwendungen, für die eine dichtere Belegung der GU's notwendig wird. In den vom Landkreis vorgehaltenen Wohnungen herrsche aktuell kein Leerstand, heißt es im Beschluss, dass man in den letzen Jahren den Bestand bewusst und stetig abgebaut hat, verschweigt man aber. Die eigene Agenda wird auf dem Rücken der Betroffenen vorangetrieben, der vermeintliche Schutz der öffentlichen Ordnung ist nicht mehr als ein Feigenblatt. Das die Probleme hausgemacht sind und nicht primär von Geflüchteten in dezentraler Unterbringung verursacht werden, das weiß man im Landratsamt sehr genau.

Es könnte auch anders gehen, wenn man den wollte. Die Strukturen, die einen anderen, integrativen Ansatz möglich machen würden, gibt es im Landkreis aber sie werden kaum genutzt. Statt ein „Ankerzentrum light“ zu errichten, müsste die soziale und psychologische Betreuung ausgebaut werden. Statt die GU's vollzupacken sollten die Einrichtungen sukzessive geschlossen werden, der Weg der dezentralen Unterbringung im Stadtgebiet vorangetrieben und Freiräume geschaffen werden, die von allen genutzt werden können. Die Zentralisierung mag die Arbeit der Behörden des Landkreises vereinfachen, aber sie wird keine Probleme lösen. Im Gegenteil: sie wird weitere Probleme schaffen. Mehr Menschen in den GU's zu zwingen ist nicht die Lösung des Problems, die GU's sind das Problem.

Anm. d. Red.: Der Name des Autors ist der Redaktion bekannt.
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Autor: red

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