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Historisch

Nordhausen steht in Bomber’s Baedeker

Dienstag, 20. August 2019, 21:52 Uhr
Nordhausen wird noch viele Jahre von gefährlichen Blindgänger-Funden nicht verschont bleiben. Die Luftangriffe der Royal Air Force kurz vor Kriegsende 1945 haben eine schwere Hypothek im Stadtgebiet und im Umland hinterlassen. Nordhausen stand in „Bomber’s Baedeker“...


Die Bezeichnung für Bomben-Terror ist zynisch. Sie wurde von deutscher und britischer Seite benutzt. Der berühmte Reiseführer, den Karl Baedeker seit 1832 herausgab, war früher für englische Gentlemen auf ihrer Grand Tour auf dem Kontinent ein unentbehrlicher Begleiter. Heute gibt die unlängst veröffentlichte Bomber-Version Aufschluss über Ziele und Zerstörung.

Die deutsche Luftwaffe schlug 1942 zu, als sie die südenglischen Städte Bath, Canterbury, Exeter, Norwich und das nördlich gelegene York bombardierte. Es sind Städte ohne jede militärische Bedeutung, aber mit vielen historisch bedeutsamen Denkmälern. Deshalb sprach man auf der Insel von Baedeker Raids. Angeblich hatte sie Hitler als Vergeltung für britische Angriffe auf Lübeck und Rostock befohlen.

Einen Tag nach dem ersten Schlag gegen Exeter, am 24. April 1942, soll ein hoher Beamter des Auswärtigen Amtes in einer Pressekonferenz in Berlin geäußert haben, von nun an werde die Luftwaffe jedes Gebäude auf der Insel bombardieren, das im Baedeker von Großbritannien verzeichnet sei. Die psychologische Kriegsführung führte dazu, dass Anfang 1943 mit „The Bomber’s Baedeker. A Guide to the Economic Importance of German Towns and Cities“ geantwortet wurde. Diese Übersicht über die geplante systematische Zerstörung deutscher Städte
hat das Leibnitz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz jetzt erschlossen.

Das Dokument belegt die Abkehr vom Präzisionsangriff zur neuen Strategie des Luftmarschalls Arthur Harris, „die Moral der gegnerischen Zivilbevölkerung, insbesondere der Industriearbeiterschaft zu brechen“. In der Endphase des Zweiten Weltkrieges sollten die Luftangriffe auch den Vormarsch der Alliierten unterstützen.

Der „Bomber’s Baedeker“ ist heute für die Bomben-Entschärfer ein wichtiges Nachschlagewerk bei der Kampfmittel-Beseitigung. Die Luftaufnahmen, die von den Alliierten nach den Bombardements in den Zielgebieten gemacht wurden, erleichtern die Ortung von Blindgängern. Die beiden Bände – von Aachen bis Küstrin, von Lahr bis Zwickau – enthalten sogar Orte mit weniger als tausend Einwohnern, weil dort kriegswichtige Betriebe vermutet wurden.

Über die tausendjährige, ehemalige Freie Reichsstadt, die am 3. und 4. April 1945 zu einem großen Teil in Schutt und Asche versank, ist angegeben:

Nordhausen (Provinz Sachsen)
51° 30’ N. 10° 50’ E. 470 miles: (38 000)
Nordhausen liegt im Gebiet südlich des Harz-Gebirges 60 Miles von Halle entfernt an der Bahnlinie von Halle nach Kassel. Es ist ein Marktplatz für den landwirtschaftlichen Raum zwischen dem Harz-Gebirge und dem Thüringer Wald sowie ein Tourismus-Zentrum im Südharz. Die Stadt hat ihr mittelalterliches Erscheinungsbild bewahrt. Es gibt einige Möbelfabriken, Druckereien und eine bescheidene Textilindustrie. Die Industriefirmen der
Stadt haben sich spezialisiert auf Ausrüstungen für Bergwerke und Pumpanlagen; die bedeutendsten sind nachfolgend aufgeführt:

  • Deutsche Schachtbau A.G. Rothenburg Str. Die Mabag Maschinen & Apparatebau A.G., die Tiefbau- und Kälteindustrie A.G. vorm. Gebhardt & König, und die Deutsche Schachtbau A.G. sind drei Unternehmen, die zur Deutsche Petroleum A.G. und ihrer Muttergesellschaft Deutsche Erdöl A.G. gehören. Die Mabag stellt überwiegend Tanks für Lager von Öl, Gas und Wasser sowie Tankwaggons her und ähnliche Installationen. Die Werke der Tiefbau A.G. und der Deutsche Schachtbau A.G., die Ausrüstungen für Erdöl-Bohrungen entwickeln, vor allem „Gefrieranlagen“ für die Bohrschächte, werden jetzt auch von der Mabag geführt. Diese Unternehmen sind im Auftrage ihrer Muttergesellschaft an Bohrungen nach Erdöl sowie in zahlreichen Braunkohle-Gruben beteiligt. Eines der wichtigsten Ziele ist die Entwicklung der Erdöl-Ressourcen Deutschlands im Raum Hannover und andernorts. Rund 1.800 Arbeiter waren vor dem Kriege bei den drei Firmen beschäftigt.
  • Maschinen & Bahnbedarf A.G. Nordhausen Dieses Unternehmen war früher als Orenstein & Koppel A.G. bekannt und beschäftigte 1938 etwa tausend Mitarbeiter in der Produktion von Schmalspur-Lokomotiven und Motore für Bahn-Fahrzeuge.
  • H. Anger & Söhne, Rothenburg Str.: Dieses Unternehmen, das an die Mabag angrenzt, stellt Pumpen für Bergwerke und Bohrlöcher her. An die 300 Arbeiter zählte die Belegschaft vor dem Kriege.
  • Schmidt, Kranz & Co. A.G. Ulrichstr.Die Schmidt, Kranz & Co. A.G. (Normag) stellt Aufzüge, Ausrüstungen für Bergwerke, Schleusentore und Wehre sowie Diesel-Traktoren für die Landwirtschaft her. Im Jahre 1939 hatte sie 500 Beschäftigte.
Manfred Neuber
(Schreibweise A.G. wie Originaldokument)
Autor: red

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