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20 Jahre Montessori Kinderhaus

Hilf mir es selbst zu tun

Donnerstag, 04. Juli 2019, 16:30 Uhr
Ein Kind soll der Baumeister seines Selbst sein, der Lehrer ist vor allem dazu da, den Weg zu weisen - die Grundzüge der "Montessori-Pädagogik" werden so in Nordhausen seit mehr als 20 Jahren angewandt. Selbstverständlich ist das bis heute nicht, in Thüringen werden alternative Lehrkonzepte an freien Schulen schlechter gestellt als der staatliche Lehrbetrieb...

20 Jahre Montessori-Kinderhaus (Foto: Angelo Glashagel) 20 Jahre Montessori-Kinderhaus (Foto: Angelo Glashagel)

Das der Bau in dem heute das Montessori-Kinderhaus residiert, einmal ganz der staatlichen Idee von Bildung und Erziehung verschrieben war, sieht man ihm bis heute an. Der Grundriss des typischen DDR-Kindergartens ist unverkennbar.

Wo einst die RFT-Kinder residierten, arbeitet man seit nunmehr 20 Jahren Abseits der pädagogischen Pfade des staatlichen Schulbetriebes dieser Tage. Am vergangenen Wochenende wurde der runde Geburtstag gebührlich gefeiert.

Die eigentlichen Anfänge liegen sogar noch etwas weiter zurück, 1996 habe man die Montessori-Pädagogik erstmals diskutiert, erinnert sich Romy Schulze, die bis heute den Kindergarten leitet. "Das war wirklich nicht leicht damals. Wir hatten nach der Wende das erste mal die Möglichkeit uns überhaupt mit alternativen pädagogischen Konzepten zu beschäftigen und kaum jemand kannte die Ansätze von Maria Montessori, wir hatten da viel Aufklärungsarbeit zu leisten".

Dabei ist das Bildungskonzept zu diesem Zeitpunkt schon fast 100 Jahre alt. Das Kind soll von Beginn an bis zum Alter des jungen Erwachsenen als "Baumeister seines Selbst" begriffen werden. "Hilf mir, es selbst zu tun. Zeige mir wie es geht", lautet die Leitlinie Maria Montessoris. Einen ordentlichen Lehrplan und Frontalunterricht gibt es zwar, wichtiger ist aber der offene Unterricht und die "Freiarbeit". Die Kinder sollen als Individuen wachsen können, ihre Lerninhalte immer wieder selbst wählen und das Tempo bestimmen können, um so Freude am Lernen zu erfahren. Dazu gibt es diverse Montessori-spezifische Lernmaterialien, die den Aneignungsprozess unterstützen und erleichtern sollen. Wenn die Schulglocke das Ende der letzten Stunde verkündet, geht der Betrieb an der Schule weiter, man bietet nach Möglichkeit Ganztagsbetreuung mit diversen Angeboten zu Musik, Sport, Kunst, Sprachen und mehr.

Leben und Lernen werden nach Montessori in drei distinkte Phasen unterteilt. In Nordhausen wurde dementsprechend nach der Etablierung des Kindergartens schon bald der Wunsch wach, den Bildungsweg auch schulisch weitergehen zu können. "Viele der Kinder konnten am Ende des Kindergartens schon rechnen und etwas lesen. Bei vielen Eltern war die Sorge da, das den Kindern die Freude am lernen vergeht, wenn sie noch einmal von vorne anfangen müssen", erinnert sich Schulze. Mit ein paar engagierten Eltern baut man zwischen 1997 und '98 einen Förderverein auf und eröffnet 1999 mit 12 Schülerinnen und Schülern die Montessori-Grundschule. Da Kindergarten und Schule nun Tür an Tür existieren, wird das Montessori-Kinderhaus geboren.

Dem Konzept stringent zu folgen hat seine Herausforderungen. Die Montessori-Pädagogik sieht vor, das jeder Klasse ein Lehrer und ein Erzieher zugeteilt werden. In Zeiten, in denen schon im staatlichen Schulbetrieb Personalmangel herrscht, hat man es an den freien Schulen generell schwerer, die passenden Lehrkräfte zu finden. Wer als Pädagoge an eine freie Schule geht, kann in der Regel nicht damit rechnen das große Geld zu verdienen. Das liegt auch an der Finanzierung der freien Schulen, die in Thüringen den staatlichen Einrichtungen nicht gleich gestellt sind.

In den letzten Jahren hat sich die Situation noch verschlechtert. "Ursprünglich wurden die freien Schulen über eine Durchführungsverordnung finanziert welche die Gelder auf 80% der Ausgaben pro Schüler an den staatlichen Schulen koppelte. Stiegen die Ausgaben für den staatlichen Bildungsbereich, erhielten auch die freien Schulen mehr Mittel. Wir waren zwar benachteiligt, aber nicht abgehängt", erklärt Holger Richter, stellvertretender Leiter des Jugendsozialwerks, dem Schulträger des Montessori-Kinderhauses. Die Organisation über das Instrument der Durchführungsverordnung entsprach jedoch nicht der Thüringer Verfassung, ein neues Gesetz musste her, welches durch die Rot-Rot-Grüne Regierung beschlossen wurde. Das sieht nun keine Kopplung mehr vor, sondern einen festen Sockelbetrag, den die freien Schulen erhalten. "Nominal haben die freien Schulen damit erst einmal mehr Geld zur Verfügung gehabt als zuvor", erklärt Richter weiter, "während aber die Investitionen in den staatlichen Bildungsbereich in den letzten Jahren signifikant angestiegen sind, um den Personalmangel an Thüringens Schulen zu begegnen, ist der Sockelbetrag der freien Schulen lediglich um zwei Prozent im Jahr gestiegen. Das Delta zwischen dem staatlichen Bildungsbereich und den freien Schulen ist seitdem stetig gewachsen. Statt 80% der Kosten pro Schüler liegen wir heute eher bei 60%. Im Landtag haben viele nicht verstanden was für ein Schaden da angerichtet wurde."

Schulleiterin Sabine Dreßler dankt ihrem Kollegium für ihre engagierte Arbeit (Foto: Angelo Glashagel) Schulleiterin Sabine Dreßler dankt ihrem Kollegium für ihre engagierte Arbeit (Foto: Angelo Glashagel)
Schulleiterin Sabine Dreßler dankt ihren Kollegium für die engagierte Arbeit

Im Wettbewerb um die besten Köpfe sind die freien Schulen damit klar im Nachteil. Von den Eltern wird zwar ein finanzieller Beitrag verlangt, um sich über Wasser zu halten, der sei aber bei weitem nicht dort, wo er sein müsste, um das Delta zu den staatlichen Schulen zu schließen, sagt Richter.

Hinzu kommt das die Montessori-Pädagogik ein eigenes Zertifikat verlangt, das frische Lehrer erst einmal zeitaufwändig erwerben müssen. "Wir brauchen sehr engagierte Pädagogen mit hoher fachlicher Kompetenz. Das Team als ganzes muss hinter der Pädagogik stehen und das wird von der Schulleitung auch immer wieder vehement verteidigt". Das Personal, das man habe, sei aus Überzeugung da und das Engagement des Kollegiums, das auch bei dünner Personaldecke schwierige Zeiten überbrücke, verdiene höchste Anerkennung. "Wir stehen zu der Schule, stehen zur Bildungsvielfalt und zur Bildungsgerechtigkeit. Die freien Schulen sind eine sinnvolle Ergänzung der pädagogischen Vielfalt, geben immer wieder Entwicklungsimpulse und gehen mutig vorne weg, zuletzt bei der Implementierung des Thüringer Bildungsplans.", sagt Holger Richter.

Gegen die aktuelle Situation könne man sich als Verein kaum wehren, für Bildungsgereichtigkeit zu sorgen, das sei Aufgabe des Landes, angefangen bei den Kindergärten bishin zu den Schulen. "Das muss nicht Einkommensunabhängig sein. Als Jugendsozialwerk wollen wir soziale Gerechtigkeit und Solidarität, das sind unsere Grundprinzipien. Es geht hier nicht um eine Bildungselite, sondern den Querschnitt der Gesellschaft. Wer kann, soll sich beteiligen. Wer es nicht kann, muss trotzdem die Möglichkeit haben, Zugang zu erhalten". Um das zu erreichen, bräuchte das System der freien Schulen eine größere Lobby als bisher und mehr öffentliche Aufmerksamkeit.

Pünktlich zum Jubiläum konnte sich das Montessori-Kinderhaus über eine neues Vordach freuen (Foto: Angelo Glashagel) Pünktlich zum Jubiläum konnte sich das Montessori-Kinderhaus über eine neues Vordach freuen (Foto: Angelo Glashagel)
Pünktlich zum Jubiläum konnte sich das Montessori-Kinderhaus über eine neues Vordach freuen

In einem Punkt genießt man in Nordhausen, bei allen Schwierigkeiten, einen großen Vorteil: das Gebäude gehört nachwievor der Stadt und die ist bereit, viel Geld in die Hand zu nehmen, um das Kinderhaus auf Vordermann zu bringen. Pünktlich zum 20. Jubiläum konnten sich Kindergarten und Schule über ein neues Vordach freuen, weitere Arbeiten auf dem Außengelände sollen folgen. Unter anderem soll ein "Sinnesgarten" angelegt werden, ein lang gehegter Wunsch des Kinderhauses. Ein gutes Zeichen für die Zukunft der Montessori-Schule.

Die angespannte Personallage bleibt, aber damit ist man in Thüringen bei weitem nicht allein. Man werde die Herausforderungen gemeinsam mit den Eltern, Schülern und Lehrern meistern, sagte Schulleiterin Sabine Dreßler anlässlich der Jubiläumsfeier, jeder könne etwas von sich selbst für die anderen geben. In den Ferien werde man daran arbeiten, auch den kommenden Jahrgängen ein stabiles Fundament für ihre weitere Laufbahn zu bieten. Und das natürlich im Sinne Maria Montessoris.
Angelo Glashagels
Autor: red

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