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Nachgefragt

Anna nabelt sich ab

Mittwoch, 19. Juni 2019, 19:00 Uhr
Im Jahr 2016 "kämpfte" Anna Mühlhause aus Nordhausen für ein sogenanntes Handbike. Jetzt, drei Jahre später, steht sie vor der wohl größten Herausforderung ihres noch jungen Lebens...

Anna Mühlhausen wird ab Oktober studieren (Foto: privat) Anna Mühlhausen wird ab Oktober studieren (Foto: privat)
Die 20-Jährige, die an einer frühkindlichen Hirnschädigung (ICP) leidet, ist nicht nur auf einen Rollstuhl angewiesen, sondern auch in ihrer Motorik stark eingeschränkt. Muskelverkrampfungen verhindern einen flüssigen Bewegungsablauf. Selbstständiges Stehen und Gehen ist dadurch nur mit Hilfsmitteln möglich. Zudem macht ihr eine Wirbelsäulenverkrümmung zu schaffen.


Doch all das nimmt ihr nicht den Lebensmut, die Fröhlichkeit und die Lockerheit, mit der sie mit Hilfe vieler Menschen, vor allem der ihrer Eltern, durch das Leben geht. Anna und ihre Eltern kämpften bereits zu Beginn der Schulzeit, dass der Besuch der „Albert-Kuntz“-Grundschule möglich werden konnte. Anna wollte unbedingt mit anderen, gesunden Kindern, zusammen lernen, denn die junge Frau ist intelligent und sie hat ein Ziel. Seit der achten Klasse stand für sie fest, dass sie nach dem Realschulabschluss noch das Abitur absolvieren will, um später Medizin studieren zu können.

Und was Anna sich in den Kopf setzt, zieht sie auch durch. Im vergangenen Jahr übergab ihr das Herder-Gymnasium das Abiturzeugnis. Nur: Medizin konnte sie nicht studieren, ihre eingeschränkte Motorik ließ das nicht zu.

Aufgeben? Für Anna kam das nicht in Frage. Nach langem Suchen wird Anna nun ab Oktober ein Studium aufnehmen. Nicht in Nordhausen, in der Nähe ihres Elternhauses, sondern in Marburg. Mit der Unterstützung von Beratungslehrerin Kerstin Wünsche und Stammkursleiterin Heike Roeder konnte dort ein auf ihre Bedürfnisse zugeschnittener Studienort gefunden werden. Nun hat sich die junge Frau für Psychologie beworben.

Der Marburger Uni angeschlossen ist ein inklusives Studentenwohnheim, in dem behinderte und nicht behinderte Studierende zusammen leben. Außerdem verfügt die Einrichtung über einen 24-Stunden-Pflegedienst und die Uni stellt bei Bedarf einen Studienhelfer.

Sie, die 20-Jährige, ist jetzt schon mächtig aufgeregt, denn sie will nicht nur Psychologie studieren, sondern sie will sich abnabeln, will den Versuch eines selbstbestimmten Lebens wagen. "Zuhause bin ich das Nesthäkchen und dazu auch noch behindert. Nicht die optimalste Kombination zum Selbstständigwerden. Diese Zeit muss jetzt vorbei sein. Das heißt nicht, dass ich meinen Eltern nicht unendlich dankbar für all das bin, was sie für mich getan haben. Aber ich will und muss nun eigenständig werden", gibt Anna das Ziel vor und sie hat schon die Zeit nach dem Studium im Visier: "Dann will ich entweder im Bereich der Neuropsychologie oder in einem ambulanten Palliativteam arbeiten".
Peter-Stefan Greiner
Autor: red

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