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Appell an 2.200 Betriebe im Landkreis

Gewerkschaft warnt vor Tarifflucht

Mittwoch, 15. Mai 2019, 10:47 Uhr
Schlechtere Bezahlung, längere Arbeitszeiten, weniger Urlaub: Beschäftigte, die im Landkreis Nordhausen in einem Unternehmen arbeiten, in dem kein Tarifvertrag gilt, sind im Job klar benachteiligt. Darauf hat die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten hingewiesen...

Nach Einschätzung der NGG hält sich mittlerweile ein Großteil der rund 2.200 Betriebe im Kreis nicht mehr an Tarifverträge. Das hat auch Folgen für die Unternehmen selbst, warnt Gewerkschafter Jens Löbel: „Tariflose Firmen haben in puncto Motivation und Produktivität der Mitarbeiter meist schlechtere Karten. Auch die Suche nach Fachkräften fällt ihnen schwerer“, so der Geschäftsführer der Thüringer NGG mit Blick auf aktuelle Studien der Hans-Böckler-Stiftung.

Löbel ruft die Firmen in der Region dazu auf, sich zur Sozialpartnerschaft und zur Mitbestimmung zu bekennen. „Gerade beim digitalen Wandel der Arbeitsplätze muss man die Belegschaften mitnehmen. Gewerkschaften und Betriebsräte sichern nicht nur Jobs. Sie helfen auch dabei, die Zukunft zu gestalten – von neuen Arbeitszeitmodellen bis hin zur Weiterbildung der Mitarbeiter.“

Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) arbeiteten zuletzt 43 Prozent der Beschäftigten in Thüringen in einem Betrieb mit Tarifvertrag. Der Freistaat belegt damit im Ländervergleich den vorletzten Platz. In ganz Ostdeutschland liegt die Quote bei 44 Prozent – im Jahr 2000 waren es noch 55 Prozent. Nach Beobachtung von Gewerkschafter Löbel greift die „Tarifflucht“ auch im Kreis Nordhausen um sich: „Immer mehr Betriebe versuchen, sich um Tarifverträge zu drücken. Damit setzen sie bewährte Standards aufs Spiel und bieten ein Einfallstor für Dumping-Konkurrenz.“ Besonders niedrig ist die Tarifbindung nach Angaben des IAB dabei in kleinen Firmen: Nur zwölf Prozent der Thüringer Betriebe mit weniger als zehn Mitarbeitern halten sich aktuell an einen Tarifvertrag. In Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten liegt die Quote hingegen bei 71 Prozent.

Um diesen Trend zu stoppen, macht sich die NGG insbesondere für Flächentarifverträge stark. Solche habe man etwa in Brauereien, in der Getränkeabfüllung und in der Nährmittel- und Süßwarenindustrie durchgesetzt. Zugleich sei die Politik gefordert. Landes- und Bundesregierung sollten sich für eine höhere Tarifbindung einsetzen: „Wer sich um die Zukunft der sozialen Marktwirtschaft sorgt, muss sich darum kümmern, dass die Tarifpartner gestärkt werden“, sagt Löbel. Unternehmen, die im Arbeitgeberverband seien, müssten dazu verpflichtet werden, sich an Tarifabschlüsse zu halten. Außerdem müsse es einfacher werden, Tarifverträge für ganze Branchen verpflichtend zu machen. Davon profitiere am Ende auch der Staat – durch höhere Einnahmen etwa bei der Renten-, Kranken- und Sozialversicherung.

Allerdings ist die Zahl der Tarifverträge, die für alle Betriebe einer Branche per Gesetz gelten, zuletzt stark gesunken. Eine so genannte Allgemeinverbindlichkeit wurde im Jahr 2017 lediglich 25 Mal vom Bundesarbeitsministerium erteilt. Im Jahr 2000 waren es noch 133 Fälle. Das geht aus einer aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervor (Bundestags-Drucksache 19/8626).

Am Ende komme es aber auch auf die Beschäftigten an, so Löbel. „Je mehr Gewerkschaftsmitglieder und Betriebsräte es gibt, desto leichter lassen sich tarifliche Standards durchsetzen.“
Jens Löbel
Geschäftsführer der
NGG-Region Thüringen
Autor: red

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