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Große Umwälzungen durch digitale Revolution

Künstliche Intelligenz für Rathäuser?

Sonntag, 12. Mai 2019, 09:33 Uhr
Wenn künstliche Intelligenz ins Nordthüringer Rathäuser einzöge, brauchte für Fest- und Gedenkreden nur auf einen Knopf gedrückt zu werden, und der schlaue Computer lieferte den gewünschten Text. Würde wohl die Programmierung aber vom Parteibuch abhängen...


Große Nachrichtenagenturen experimentieren schon mit dem Versuch, Meldungen mit Standard-Texten vom PC schreiben zu lassen. So hat die chinesische Agentur Xinhua einen Aventar geschaffen, der als erster in der Welt vorgefertigte Nachrichten verbreitet. Der virtuelle Moderator kann Stimmen, Mimik und Gestik imitieren. Dadurch wird (unbeabsichtigt) deutlich, dass Journalisten in China nicht unabhängig, sondern Sprachrohr der Regierung sind.

Mit künstlicher Intelligenz wollen die Chinesen die Produktionskosten senken und die Effektivität steigern. Animierte Sprecher werden nicht müde, brauchen weder Ruhezeiten noch Vorbereitung für den Auftritt und werden nicht „rebellisch“.

Bei ARD und ZDF gewinnt man immer öfter den Eindruck, stereotype Texte kämen schon ohne künstliche Intelligenz zustande. Da ist ständig die Rede von „auf den Weg gebracht“ oder „in die Kassen gespült“ oder „davon geht man aus“. Attentate ziehen immer „Abscheu“ nach sich, Katastrophen erzeugen stets „Betroffenheit“. Am ehesten ließen sich vermutlich Reporter beim Fußball von sportbegabten Robotern ersetzen.

Bereits heute reicht das Vokabular nicht weit über diese Versatzstücke hinaus: „Umschaltspiel“ (ist Fußball von der ersten bis zur letzten Spielminute!),
„Spiel nach vorne“ (wohin sonst, aufs eigene Tor?), „Luft nach oben“ (und anderer Unsinn). Zum Glück sind früher häufig benutzte Floskeln wie „nicht wirklich“ oder „suboptional“ wohl aus der Mode gekommen.

Nicht nur im Sport, sondern im Alltag haben heute zwei andere Klischees reiche Konjunktur. Was da nicht alles „in Fahrt kommt“! Vielseitig verwendbar ist auch das nervende „unterwegs“; nicht nur im eigentlichen Sinne von „ist auf dem Wege“, sondern auch als „spielt für den FC X“ oder „tritt bei Festspielen auf“. Für das Zahlenkauderwelsch der Trainer bei der Mannschaftsaufstellung („doppelter Sechser“, „halber Neuner“) könnten gewiss passende Algorithmen gefunden werden.

Intelligente Maschinen haben beinahe alle Bereiche der Arbeitswelt erobert. Sie sind Köche in Fast-Food-Restaurants, Polizisten in Dubai, Dirigenten in Pisa
und natürlich massenhaft Fabrikarbeiter. Künstliche Intelligenz in Form von Software- und Datenbank-Anwendungen ersetzt derzeit vor allem Sachbearbeiter bei Versicherungen, in der Tourismusbranche, in Banken und ganz allgemein in Kundenzentren. Aber auch die Jobs von Buchhaltern, Steuerberatern und Anwälten sind in Gefahr. Ist unsere Gesellschaft auf solche Umbrüche vorbereitet?
Fragen über Fragen.

„Falsche Nachrichten bewegen sich mit Blitzgeschwindigkeit durch unsere digitale Gesellschaft, während die Wahrheit sich wie ein tropfender zähflüssiger Zuckersirup sehr langsam von Person zu Person ausbreitet“, bedauert Prof. Sinan Aral vom weltberühmten MIT in Boston. „Maschinen unterscheiden nicht über Leben und Tod“, warnen andere Wissenschaftler, „das tun wir Menschen. „Wenn wir Maschinen die Entscheidung überlassen, dann untergraben wir das Grundprinzip der Verantwortlichkeit.“

Wahrscheinlich bietet künstliche Intelligenz in Nordhausen eine Möglichkeit, die Hahnenkämpfe zwischen OB und Landrat zu vermeiden und zu einer einvernehmlichen Zusammenarbeit zwischen Stadt und Kreis Nordhausen zu gelangen. Soviel Fortschrittsglaube sollte im Südharz gedeihen. . . Martin Roland
Autor: red

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