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In Erinnerung an Klaus Hummitzsch

Der Machtwechsel

Donnerstag, 02. Mai 2019, 11:07 Uhr
Vor zehn Jahren hatte die nnz eine Beitragsreihe zu den Wendezeiten im Osten Deutschlands, speziell in Nordhausen veröffentlicht. Im letzten Beitrag dieser Reihe beschrieb nnz-Autor Hans-Georg Backhaus den Machtwechsel im damaligen Rat des Kreises...


Auf Kreisebene kam eine Koalition zwischen CDU und FDP zustande. Aus einer Andacht in der Altendorfer Kirche unmittelbar vor der ersten Sitzung des neuen Kreistages nahmen die Volksvertreter die Mahnung mit: „Die Worte müssen stimmen, damit die Wahrheit nicht verkommt.“ Und der zum Kreistagspräsidenten gewählte Horst Hildebrandt (CDU) sah in „Gerechtigkeit, Demokratie und Ausgleich“ die Prinzipien seiner Präsidentschaft.

Der spannendste Tagesordnungspunkt der Kreistagssitzung war an jenem 28. Mai 1990 zweifellos die Wahl des Landrates. Seitens der SPD trat Winfried Theuerkauf an. Er galt als Mann der Wende und hatte sich als engagierter Vertreter seiner Partei am Runden Tisch des Kreises Nordhausen einen Namen gemacht. Sein Kontrahent - von der CDU des Kreises Nordhausen nominiert - war Joachim Claus, der in einer Kampfabstimmung die Wahl mit 53 zu 27 Stimmen klar für sich entschied. Mit seinen 28 Jahren wurde der aus der Eichsfeldgemeinde Gernrode stammende Diplomlehrer zweitjüngster Landrat Thüringens. Ein Umstand, der ohne vorheriges mühevolles Erklimmen der Karriereleiter in der alten Bundesrepublik zweifellos undenkbar gewesen wäre. Doch im Osten war zu dieser Zeit so manches möglich.

Eigentlich hatten die Südharzer christlichen Demokraten die Erwartung gehabt, dass ihr Kreisvorsitzender Dr. Manfred Schröter nun auch den Posten des Landrates beanspruchen sollte. Anfangs sah es auch ganz danach aus. Doch je öfter Schröter zu Wahlkampfterminen im Kreisgebiet weilte, um so mehr spürte er, dass er doch mehr ein „Stadtmensch“ war. Ihm fehlte, wie er mehrfach selbst eingestand, die erforderliche Sachkenntnis in Fragen der Land- und Forstwirtschaft und der Kaliindustrie. Mit der Rolandstadt und seiner Geschichte hingegen sah er sich aufs Engste verbunden. Das machte er auch seinen CDU-Freunden rasch deutlich und strebte alsbald das Bürgermeisteramt in Nordhausen an.

Die CDU des Kreises hatte nun ein Problem: Sie benötigte dringend einen Kandidaten für das Amt des Landrates. Ins Gespräch brachte sich zunächst der CDU-Kreissekretär Egon Primas. Doch viele seiner Unionsfreunde konnten aus unterschiedlichen Gründen diesem Ansinnen nichts abgewinnen und favorisierten den Pädagogen Horst Hildebrandt. Doch der winkte nach einer Bedenkzeit ab.

Andere fühlten sich zu alt oder trauten sich dieses schwierige Amt nicht zu. Wie aus dem nichts tauchte plötzlich eine junger Lehrer auf, der gerade aus dem Eichsfeld zwecks Ausübung seines Berufes in den Kreis Nordhausen gezogen war: Joachim Claus. Er bot sich an, für diesen Posten zu kandidieren. Durch seinen Mut, seine zupackende Art und seine klare Sprache verschaffte er sich in relativ kurzer Zeit Respekt und Ansehen und damit ausreichend Befürworter für sein Vorhaben. Die CDU des Kreises Nordhausen konnte aufatmen: Sie hatte „ihren“ Landrat!

Zu den zahlreichen Gratulanten zählten neben dem unterlegenen Winfried Theuerkauf auch sein Amtsvorgänger Klaus Hummitzsch. Bevor Joachim Claus sein neues Amt übernahm, verabschiedete er sich einen Tag nach seiner Wahl von seinen Schülern und vom Lehrerkollegium der Polytechnischen Oberschule „Ernst Thälmann“ im Gebäude der Wiedigsburg in Nordhausen. Und aus der kreislichen Verwaltung mit der Bezeichnung Rat des Kreises wurde das Landratsamt Nordhausen.

Ratsvorsitzender Klaus Hummitzsch blieb bis zum 30. Mai 1990 im Amt. Forderungen nach einem vorzeitigen Rücktritt hatte es nicht gegeben. Der Grund: Er genoss bei den Menschen des Kreises eine ungewöhnlich hohe Wertschätzung. Diese resultierte vor allem aus seiner korrekten Amtsführung und seinem gewissenhaften Umgang mit Bürgeranliegen. Der aus Sömmerda stammende Pädagoge war beim dortigen Rat des Kreises zunächst in der Volksbildung tätig gewesen. Er galt als „Seiteneinsteiger“ und hatte nie eine Parteikarriere angestrebt.

1983 kam er nach Nordhausen und wurde Vorsitzender des Rates Kreises. Er handelt stets als überzeugter Sozialist und ging im Interesse der Menschen das Machbare an. Hummitzsch suchte, wo immer sich die Gelegenheit ergab, den Kontakt zur Kirche und fand im Südharzpropst Joachim Jaeger einen fairen Gesprächspartner. Die für beide Seiten nützlichen Gespräche rissen auch und vor allem in der Zeit der Wende nicht ab. Das gesamte politische Handeln des langjährigen Ratsvorsitzenden während der Umbruchphase war darauf gerichtet, „die Sache mit Anstand zu überstehen, die Sache mit Anstand zu übergeben“.

Im neuen Kreistag übertrug ihm seine Partei den Fraktionsvorsitz. Hummitzsch blieb sich und seinen Überzeugungen immer treu. Das spürten die Menschen auch während seiner Amtszeit als hauptamtlicher Bürgermeister der Einheitsgemeinde Werther bis zu seinem Ausscheiden aus dem Amt am 8. Mai 2009 – aus Altersgründen.

Der Sommer des Jahres 1990 ging vorüber. Die politisch Verantwortlichen in Ost und West hatten mittlerweile den 3. Oktober als Tag der Wiedervereinigung auserkoren. Über die Festsetzung dieses Datums hatte es im Vorfeld und auch später noch heiße Debatten gegeben, fehlte doch jeglicher geschichtlicher Hintergrund. Mit einem feierlichen Staatsakt, Feuerwerk, Glockengeläut und Bürgerfesten wurde er im ganzen deutschen Land begangen. Am 2. Oktober 1990 mit Schlag 24 Uhr hörte die DDR als eigenständiger Staat auf zu existieren. Für viele war ein Traum Wirklichkeit geworden – Deutschland war wieder eins.

Quellenangaben


  • „Das Volk“ Organ der SED-Bezirksleitung Erfurt, Verlag Das Volk Erfurt, einzelne Ausgaben des Jahres 1989
  • „Thüringer Tageblatt“, Bezirkszeitung der CDU, Verlag Thüringer Tageblatt Weimar, einzelne Ausgaben der Jahre 1989 und 1990
  • „Thüringische Landeszeitung“, Organ der LDPD, Verlag der TLZ Weimar, einzelne Ausgaben der Jahre 1989 und 1990
  • „Thüringer Allgemeine“, Thüringer Allgemeine Verlag GmbH & Co. KG Erfurt, einzelne Ausgaben der Jahre 1990 bis 19999
  • „Fragen an die Geschichte der DDR“, Autoren Joachim Heise und Jürgen Hofmann, Verlag Junge Welt Berlin, 1988
  • „Das war die DDR“, Begleitbuch zur ARD-Serie, Verlag Rowohlt Berlin, 1993
  • „Jahrbuch des Landkreises Nordhausen 1990-1993“, Verlag Neukirchner Nordhausen, 1994
  • „60 Jahre CDU in Stadt und Kreis Nordhausen“, Autor Dr. Manfred Schröter, Verlag Steffen Iffland Nordhausen-Salza, 2005
  • Spartensender MDR Info, Kurzreportage zur Wende in der DDR, 2009

Dank des Autors:


Für die freundliche Unterstützung in Form mündlicher und schriftlicher Informationen danke ich besonders Jörg Brandt, Gesine Bula, Joachim Claus, Heidrun Engmann, Dr. Gerd Fischer, Herbert Gerhardt, Gisela Hartmann, Klaus Hummitzsch, Joachim Jaeger, Heidelore Kneffel, Peter Kube, Jörg Kulbe, Edgar Matuszewski (verst.), Detlef Müller (verst.), Erdmute-Maria Neubert, Dr. Erhart Neubert, Monika Paffrath, Gabriele und Thomas Pape, Frank Rumpf, Dr. Manfred Schröter sowie Holger Wengler. Betrachtungsweise und Kommentierung in der Artikelserie müssen nicht mit der Meinung der Personen, die mich unterstützt haben, übereinstimmen.
Hans-Georg Backhaus
Autor: red

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