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Berichte aus den Hotspots der Artenvielfalt 18 und 19

Die Schlüsselblume verschwindet

Mittwoch, 24. April 2019, 07:30 Uhr
Die Wiesen-Schlüsselblume (Primula veris) gehörte einst zu den häufigsten Pflanzenarten unserer mageren, kurzrasigen und kalkreichen Wiesen und Weiden. Mittlerweile ist sie, wie so viele andere Arten auch, auf dem Rückzug. Ein einst vertrautes Kleinod unserer heimischen Flora entschwindet unserem Blick. Der Südharz ist davon nicht ausgenommen...

Die Schlüsselblume (Foto: B. Schwarzberg) Die Schlüsselblume (Foto: B. Schwarzberg) Ein wunderschöner Blickfang und ein Aushängeschild für die vielgepriesene Biodiversität im Südharzer Zechsteingebiet: Die Wiesen-Schlüsselblume auf einem vom BUND-Kreisverband Nordhausen einmal jährlich gemähten Halbtrockenrasen im Raum Mühlberg (23.04.2019).

Der Artenrückgang weltweit, aber auch bei uns, scheint unaufhaltsam zu sein. In der aktuellen Thüringer Roten Liste gefährdeter Gefäßpflanzenarten von 2011 gelten rund 42 Prozent der heimischen Arten als bedroht, was einer drastischen Steigerung gegenüber der vorhergehenden Roten Liste von 2001 entspricht.

Weder Schutzgebiete und kaum noch zählbare Regelungen und Beschlüsse zum Artenschutz, noch Landschaftspflegeverbände und Behörden scheinen irgendetwas daran ändern zu können. Zu komplex sind die Ursachen, und so wenig ausgeprägt ist der Willen der meisten Beteiligten bis hinauf in die Bundespolitik, diese Ursachen nicht nur halbherzig zu bekämpfen.

Selbst die einstige Allerweltsart Wiesen-Schlüsselblume wurde nun in die Vorwarnliste zur Roten Liste gefährdeter Gefäßpflanzenarten Deutschlands von 2018 aufgenommen. Die Rückgangsursachen der einst häufigen Art beschreibt zum Beispiel die Loki-Schmidt-Stiftung, welche Primula veris zur „Blume des Jahres 2016“ erkor:

„Die Lebensräume der Wiesen-Schlüsselblume, eher trockene Wiesen auf kalkhaltigem Boden, werden immer intensiver genutzt und gedüngt oder gar zu Ackerland umgebrochen. An anderen Stellen führt die Aufgabe der Nutzung dazu, dass Büsche und Bäume die lichtliebenden Schlüsselblumen verdrängen.“

Verbuschender, nicht regelmäßig extensiv bewirtschafteter Hang mit Verfilzungserscheinungen oberhalb der Straße Niedersachswerfen-Woffleben.  (Foto: B. Schwarzberg) Verbuschender, nicht regelmäßig extensiv bewirtschafteter Hang mit Verfilzungserscheinungen oberhalb der Straße Niedersachswerfen-Woffleben. (Foto: B. Schwarzberg) Verbuschender, nicht regelmäßig extensiv bewirtschafteter Hang mit Verfilzungserscheinungen oberhalb der Straße Niedersachswerfen-Woffleben. Nur wenige Schlüsselblumen sind, trotz ansonsten guter Bedingungen, zu sehen. Begrenzender Faktor für die ansonsten wenig anspruchsvolle Wiesen-Schlüsselblume ist auf warm-trockenen und mageren, kalkhaltigen Halbtrockenrasen meist der Biotopzustand (23.04.2019).

Beides lässt sich im Landkreis Nordhausen selbst in Naturschutzgebieten hervorragend studieren. Die Botaniker Vocke und Angelrodt gaben sie in ihrer „Flora von Nordhausen und der weiteren Umgegend“ von 1886 noch als „häufig“ an. Heute kann sie nur noch als „zerstreut“ bis „sehr zerstreut“ vorkommend bezeichnet werden.

Im Naturschutzgebiet Mühlberg beispielsweise werden, um zur Einschätzung der Loki-Schmidt-Stiftung zurückzukehren, die südwestexponierten Hänge parallel zur Straße Niedersachswerfen-Woffleben nicht kontinuierlich jährlich extensiv bewirtschaftet, d.h. in Hütehaltung mit Schafen beweidet oder einschürig gemäht. 2018 erfolgte gar keine Bewirtschaftung. Es gibt Verfilzungserscheinungen und erneut Gehölzaufwuchs. Beides mag Primula veris nicht. Entsprechend wenige Pflanzen sind dort, trotz ansonsten gegebener, optimaler Wuchsbedingungen, zu sehen.

Verkotete Fläche (Foto: B. Schwarzberg) Verkotete Fläche (Foto: B. Schwarzberg) Das andere Extrem: Überweidung mit Kotanhäufungen an einer anderen Stelle westlich Niedersachswerfen. Hier haben nur wenige Pflanzenarten eine Chance.(23.04.2019)

Das andere Extrem zur diskontinuierlichen Nutzung findet sich einige Meter weiter in östlicher Richtung westlich von Niedersachswerfen: Eine massiv mit Tierkot (wahrscheinlich Schafkot) verunreinigte Koppel, die so stark beweidet ist, dass, noch unterstützt durch die aktuelle Dürre, Teile des Bodens offenliegen.

Hier dürfte es zu massivem Nährstoffeintrag kommen, der Magerkeitszeiger, wie die Wiesen-Schlüsselblume, durch die Förderung konkurrierender, schnell schattenspendender Arten verdrängt.

Die Folgen solch massiver Beweidung zeigten sich 2018 bereits am Solberg im Naturschutzgebiet Schlossberg-Solwiesen, wo durch Schafkotmassen u.a. ganze Bestände der hochgradig gefährdeten Bunten Erdflechtengesellschaft vernichtet wurden.

Die Alternative zu den geschilderten Beobachtungen liegt in der Mitte: Massive Reduzierung der Tierdichte bei Koppelhaltung und noch besser kontinuierlich ausgeführte extensive Hütehaltung oder aber einschürige Mahd.

Es geht die dringende Aufforderung an den Landschaftspfegeverband Südharz-Kyffhäuser e.V., sich im Sinne der eigenen Ziele genau dafür aktiv einzusetzen und Schäden zu verhindern, wobei natürlich die Tatsache bekannt ist, dass die optimale landschaftspflegerische Arbeit gerade im nicht ehrenamtlichen Bereich nicht immer leicht erreicht werden kann.

Derweil werden wir wahrscheinlich nicht nur im Naturschutzgebiet Mühlberg immer seltener auf die Wiesen-Schlüsselblume stoßen, wo ich sie auf weiten Flächen nicht mehr oder nur noch in wenigen Exemplaren finden konnte: Sowohl auf Flächen in den Naturschutzgebieten Rüdigsdorfer Schweiz als auch im NSG Alter Stolberg scheint der Art aus besagten Gründen tendenziell deutlich zurückzugehen.

Noch auffallend große Bestände, mit den meisten Pflanzen pro Flächeneinheit im jeweiligen Gebiet, sind z.B. auf Mahdflächen des BUND-Kreisverbandes Nordhausen im NSG Harzfelder Holz und auf einem BUND-eigenen Grundstück im Landkreis zu beobachten (Foto oben).

Auf Grund der starken Rückgangstendenzen der Wiesen-Schlüsselblume, die übrigens über eine interessante Blütenbiologie zur Verhinderung von Selbstbestäubung verfügt, werden wir nun auch gezielt Maßnahmen zu ihrer Förderung verfolgen und größere noch bestehende Vorkommen genauer beobachten.
Bodo Schwarzberg
Autor: red

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