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Banden auf Beutezug an der Autobahn

Nachts kommen die Schlitzer

Sonntag, 14. April 2019, 09:00 Uhr
Ruhig schlafen können Brummi-Fahrer in den Kojen ihrer LKW schon lange nicht mehr. Auch auf den Parkplätzen an der A38, an Rast- und Tankstellen
sowie Autohöfen sind sie nachts nicht sicher vor Räubern. nnz-Leser Martin Roland weiß wie die "Schlitzer" vorgehen...

Kaum eine Woche vergeht, ohne dass die Polizei wieder Straftaten von Schlitzern an der Eichsfeld- bzw. Südharz-Autobahn meldet. Oft heimgesucht sind die Parkplätze Kesselberg und Galgenberg bei Bleicherode. Die West-Ost-Verbindung zwischen dem Raum südlich von Göttingen nach Halle, feriggestellt vor zehn Jahren, war ein „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“.

Meistens sind Tatorte ungesicherte Autohöfe, Tank- und Rastanlagen, Parkplätze sowie Gewerbegebiete an Autobahnen und Bundesstraßen. Dort parken Lkw zur Einhaltung der Ruhe- und Nachtzeiten oder stehen nach Beladung zum Weitertransport bereit. Infolge des hohen Verkehrsaufkommens von Lkw reichen zur Einhaltung der Ruhezeiten gesicherte Autohöfe nicht aus.

Oft gehen die Täter generalstabsmäßig vor. Späher machen nachts Transporte auf Autohöfen und Parkplätzen an Autobahnen ausfindig, die dann von sogenannten Schlitzern überfallen werden. Sie schneiden seitliche Kunststoffplanen an Lkw, Aufliegern und Anhängern auf. Gelegentlich werden auch plombierte Hecktüren aufgebrochen. Sind die Ladeflächen leer oder die Ladung entspricht nicht ihren Erwartungen, flüchten die „Piraten“ mit leeren Händen.

Falls die Beute ihnen jedoch attraktiv erscheint, wird die Einstiegsluke vergrößert und die Ladung in einen Kleintransporter mit seitlicher Schiebetür umge-
laden. Nach Angaben der Polizei benutzen die Täter meistens Stirnlampen und Teppichmesser. Die Fahrer bekommen davon selten etwas mit, wenn sie fest schlafen. Außerdem schützt der Lärm an Rastplätzen der Autobahn die Diebesbanden, zumeist aus osteuropäischen Ländern.

So spricht die Polizei auch von „importierter Kriminalität“. Aus den Verhören nach Festnahmen kann geschlossen werden, dass gewöhnlich drei Täter einreisen und nach einem Überfall sofort mit der Beute wieder ausreisen. Es handelt sich um organisierte Kriminalität ethnischer Clans aus Osteuropa und dem Balkan. Die Täter sind nur die „Handlanger“ auf unterster Stufe der Bandenstruktur. Ihre Führung geschieht Mafiaähnlich per Mobilfunk.

Besonders begehrt sind elektronische Geräte, Autoreifen, Elektro-Fahrräder, Nahrungsmittel, Kosmetikartikel, Bekleidung und Spielzeug. Aus den Zugmaschinen wird auch Dieselkraftstoff gestohlen. Allein der Diebstahl an geladenen Waren liegt bei mehr als 300 Mio. € im Jahr. Für ganz Europa wird er auf acht Milliarden € geschätzt. Der Verlauf der Beute ist gut organisiert, manchmal erfolgen die Taten sogar aus Bestellung, wenn die Täter Kenntnis von den Frachtpapieren haben.

Weist die Kriminalstatistik der Polizei mindestens 7 000 Taten jedes Jahr aus, so dürfte die Dunkelziffer wesentlich höher sein. Während der Güterverkehr die Sicherheit in der Transportlogistik erhöhen will, unternimmt die Polizei seit 2017 (Projekt Cargo) häufiger koordinierte Fahndungen und Streifen mit Zivilfahrzeugen.
Martin Roland
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Autor: red

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