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Politik künftig per TV-Drehbuch?

Montag, 01. April 2019, 18:02 Uhr
Während die ganze Welt gebannt dem Ringen der weltweit ersten parlamentarischen Demokratie um einen geordneten Rückzug aus der EU zuschaut, hebt sich Tausende Kilometer östlich der Vorhang für einen weiteren Akt im fast schon vergessenen tragikomischen Lehrstück gewollter ukrainischer Demokratie...


Hier in der Pufferzone zwischen dem von der EU angeführten Europa und dem widerspenstigen russischen Riesenreich, schritten die Bürger an die Wahlurnen, um termingerecht einen neuen Präsidenten zu wählen. Chancen auf das Erreichen der Stichwahl wurden drei Kandidaten eingeräumt. Und da beginnt auch schon das Dilemma.

Beginnen wir mit der einzigen Dame im Spiel, der nach ihren schlimmen Rückenschmerzen 2012 wieder genesenen Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Schon 2005 nach der erfolgreichen Orangenen Revolution bekleidete sie das hohe Amt einer Ministerpräsidentin, wurde bald wieder abgesetzt und ging in die Opposition. 2007 schmiedete sie ein neues Bündnis, um zum verhindern, dass die stärkste politische Kraft des Landes den Regierungschef stellt. Auch diese zweite Amtszeit war von heftigen Querelen begleitet, so dass sie bei den Präsidentschaftswahlen 2010 erste ukrainische Präsidentin werden wollte. Und scheiterte.

Schließlich saß sie 2012 während der Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land sehr medienwirksam mit Rückenschmerzen und Korruptionsvorwürfen im Gefängnis. Später erklärte sie sich als Oppositionsführerin 2014 "bereit, eine Maschinenpistole in die Hand zu nehmen und diesem Drecksack in die Stirn zu schießen“. Gemeint war damit ihr eventuell zukünftiger Kollege, der russische Präsident Wladimir Putin. In demselben abgehörten Telefonat antwortete sie auf die Frage, wie man denn in Zukunft mit den acht Millionen Russen auf dem Territorium der Ukraine umgehen solle, dass man "sie mit Atomwaffen erschießen“ möge. Frau Timoschenko hat die Stichwahl in drei Wochen nicht erreicht.

Zweiter Kandidat auf den mit enormer politischer Macht ausgestatteten Posten ist der derzeitige Amtsinhaber Petro Poroschenko. Er ist ein glühender ukrainischer Patriot, nebenbei Besitzer eines Medienkonzerns, vor allem aber geschäftstüchtiger Oligarch, der es mit seinen Versprechungen nicht so ganz genau nimmt. Seine Schokoladenfabrik hat er anders als vor seiner Wahl postuliert nie verkauft, dafür tauchte die aber in den Panama Papers im Zusammenhang mit Steuerhinterziehungen im großen Stile auf.

An die Macht kam der „Zuckerbaron“, der schon seit 2005 Vorsitzender des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Außenminister und Wirtschaftsminister gewesen ist, schließlich nach den Maidan-Protesten 2014. Er hatte diese Konfrontation mit seinem legitim gewählten Vorgänger Janukowitsch angeführt und ihn zur Überraschung der meisten Beteiligten in der Nacht nach der friedlichen Einigung zur Beilegung des Konflikts außer Landes gejagt. Er hat gestern als Zweitplatzierter die Stichwahl erreicht.

Diese beiden beschriebenen lupenreinen Demokraten haben aber nicht mit dem dritten im Bunde, dem Komiker Wladimir Selenski, gerechnet. Der verkörpert gerade in einer zwischen Kiew und Odessa sehr beliebten Fernsehserie den ukrainischen Präsidenten. Und er macht das so überzeugend, dass Millionen Ukrainer diese Fiktion gern in die Realität überführen möchten. Selenski traut sich diese bedeutende Rolle auf der politischen Bühne auch ohne Qualifikationen sofort zu (schließlich hat er sie lange genug vor der Kamera geprobt) und gibt den nassforschen, hemdsärmeligen Kandidaten. Momentan sieht es so aus, dass er den unbeliebten Poroscheko als Staatspräsident beerben könnte und damit vielleicht auch die zweite Farbenrevolution beendet, die für die Ukraine zum Verlust der Krim und der Ostgebiete geführt, aber nichts im Land zum Positiven verändert hat.

Selenski wäre nicht der erste Schauspieler in einem solchen Amt, denn auch der B-Movie-Star Ronald Reagan führte einst ein größeres demokratisches Land jahrelang an. Aber Selenski wäre der erste, der ohne eine Partei, nur aufgrund eines TV-Seriendrehbuchs gewählt würde. Was das über den Zustand der ukrainischen Parteienlandschaft aussagt, ist jedenfalls für die bisher dort agierenden Personen nicht allzu schmeichelhaft. Einer gewissen Komik würde sein Wahlsieg auch nicht entbehren, bedenkt man, mit welchem Eifer und hohem Aufwand die westliche Welt hier in den letzten Jahren für die Stabilisierung einer geordneten demokratischen Entwicklung zu Werke ging.

Nun stellt sich die Frage, ob Selenskis Beispiel unter seinen Kollegen weltweit Schule machen könnte. Ob wohl Mario Barth schon nach einem geeigneten Drehbuchschreiber Ausschau hält?
Olaf Schulze
Autor: nnz

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