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Diskussionen zum Straßenbahnausbau

Verkehrsknotenpunkt Niedersachswerfen

Donnerstag, 31. Januar 2019, 08:00 Uhr
Landrat Matthias Jendricke möchte gern den Bus- und Bahnverkehr im nördlichen Landkreis umkrempeln. Die meiste Aufmerksamkeit bekam dabei bisher der Vorschlag, die Nordhäuser Straßenbahnlinie auszubauen. Das diese Idee nur ein Teil einer größeren Vision ist, versuchte man gestern Abend im Landratsamt darzulegen...

Wie sieht der ÖPNV in zehn Jahren aus? (Foto: Angelo Glashagel) Wie sieht der ÖPNV in zehn Jahren aus? (Foto: Angelo Glashagel)

Einen kleinen Seitenhieb kann sich der Landrat nicht verkneifen. Die Gäste befänden sich definitiv nicht auf einer "illegalen" Veranstaltung, versicherte Jendricke, man sei durchaus berechtigt über die Zukunft des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) im Landkreis zu reden. Die Grenzen zwischen Stadt und Landkreis seien hier nicht so klar gezogen, wie man es im Rathaus darstelle.

Die Vorschläge zur "Linie 20" waren in den letzten Wochen für die eine oder andere Provinzposse gut. Im Rathaus witterte man Einflussnahme in kommunale Belange, pochte auf die Selbstverwaltung und schickte die Einladungen zur Informationsveranstaltung des Landrates postwendend zurück.

Dem allgemeinen Interesse an den Vorschlägen Jendrickes dürften die Reaktionen aus dem Rathaus nicht abträglich gewesen sein, im Gegenteil, auch die überregionalen Medien waren am Abend in den großen Plenarsaal gekommen um sich anzuhören was da im Norden jetzt wieder für Unruhe sorgt.

Knotenpunkt Niedersachswerfen

Das der Aufmacher um die "Linie 20" ein wenig plakativ sei, darauf wies Jendricke selber hin. Denn eigentlich geht es dem Landrat um mehr als um eine Straßenbahnlinie nach Krimderode. Die ist nur ein Teil des großen Ganzen. Aber einer ohne den der Rest nicht recht funktionieren würde.

Wie weiter mit der Straßenbahn? Diskussion im Landratsamt (Foto: Angelo Glashagel) Wie weiter mit der Straßenbahn? Diskussion im Landratsamt (Foto: Angelo Glashagel)

Geht es nach den Planern im Landratsamt, dann wird Niedersachswerfen zum Verkehrsknotenpunkt für den ÖPNV im Norden der Region. Schon jetzt sei die Strecke gen Nordhausen ein Flaschenhals mit dem höchsten Pendleraufkommen innerhalb des Landkreises. Auf der Schiene reichten die Kapazitäten der Harzer Schmalspurbahnen derweil zu Spitzenlastzeiten kaum aus. Deswegen sei man etwa in der Schülerbeförderung auf Parallelverkehr mit dem Bus angewiesen.

Das soll sich ändern, in Zukunft soll der Nahverkehr über den zentralen Knotenpunkt attraktiver werden, mehr Fahrgäste von A nach B bringen und das möglichst emissionsfrei. Letzteres müsse ohnehin umgesetzt werden, erläuterte der ÖPNV-Koordinator des Landkreises, Marcel Hardrath. Vorgaben von Bund und EU sähen vor den Anteil an emissionsfreien Verkehrsmitteln im öffentlichen Nahverkehr bis zum Jahr 2025 auf 50% anzuheben, bis 2030 sollen es 75% sein.

Den ersten Schritt dahin wird man demnächst gehen, auf den Linien zwischen Ellrich, Niedersachswerfen und Neustadt werden bald E-Busse verkehren. Die entsprechende Ladeinfrastruktur wird in Niedersachswerfen geschaffen, mit substantiellen Finanzspritzen des Freistaates. Etwas weiter in die Zukunft gedacht wären hier auch Anlaufstellen für Car-Sharing oder autonome Beförderungsangebote denkbar, die Ansprüche der individuellen Mobilität gerechter werden könnten, erläuterte Jendricke. Zukunftsmusik, sicher, aber man ist weit davon entfernt einen Spaten in die Hand zu nehmen. Warum also nicht fünf oder zehn Jahre in der Planung vorausdenken.

Ein weiterer Weg den ÖPNV umzukrempeln würde über das Schienennetz der Harzer Schmalspurbahnen führen. Um die Sonderfahrten der morgendlichen Schülerbeförderung von der Straße zu bekommen müssten die Kapazitäten der HSB erhöht werden. Da die aber auch dann nur bis zum Bahnhof und nicht in die Stadt reicht, wäre der Anschluss an die Linie 2 in Richtung Innenstadt sinnvoll. An deren Strecke liegen die Gymnasien, Wiedigsburg und Badehaus, das Landratsamt, die Volkshochschule, die Ärztehäuser in der Grimmelallee und der Rest des Liniennetzes. Man steigt in Neustadt oder Ellrich in den Bus, steigt in Niedersachswerfen um und kann von hier ohne weiteres die wichtigsten Anlaufstellen der Kreisstadt erreichen ohne den innerstädtischen Individualverkehr zu belasten. Soweit die Idee.

Auch der Albert-Kuntz-Sportpark wäre dann eine Haltestelle, auch wenn der Landrat das in der Diskussion nur ungern in die Vordergrund stellt. Tatsache sei aber das man hier durchaus ein Mitspracherecht habe, was die verkehrstechnische Erschließung angehe, meinte Jendricke am Abend, schließlich zahle man der Stadt dafür 100.000 Euro pro Jahr in den nächsten fünf Jahren. Da sei es mit "ein bisschen Teer" nicht getan.

Keine gesicherten Zahlen

Greift das Gesamtprogramm aus E-Mobilität, Netzerweiterung und Straßenbahnausbau, dann könnte man bei einer halbstündigen Taktung mit einem Zuwachs von etwa 1.100 Fahrgästen pro Tag rechnen, meinte ÖPNV Koordinator Hardrath. Die Haltestelle AKS würde auf dem jetzigen Parkplatz etabliert, die Anbindung zur HSB hinter dem Kinderheim über die Zorge erfolgen. Bautechnisch sei das alles lösbar, vergleichsweise günstig und bringe die größten Synergieeffekte.

Als gesichert kann das freilich alles nicht gelten, im Moment wird das Material im Landratsamt noch "von Hand gemacht", wie sich der Landrat ausdrückte. Was man jetzt brauche seien deswegen handfeste Zahlen und eine Kosten-Nutzen-Rechnungen aus Expertenhand.

Wie weiter mit der Straßenbahn? Diskussion im Landratsamt (Foto: Angelo Glashagel) Wie weiter mit der Straßenbahn? Diskussion im Landratsamt (Foto: Angelo Glashagel)

Diskussionsbedarf

Im Plenarsaal sollte gestern Abend aber nicht nur referiert, sondern auch diskutiert werden. Neben einigen Vertretern des Stadtrates hatten sich auch ein paar Bürgerinnen und Bürger eingefunden. Viel Gegenwind hatte der Landrat nicht zu spüren, im Publikum fanden sich keine dezidierten Gegner der Pläne oder zumindest keine, die sich als solche zu erkennen gegeben hätten.

Ein Einwohner aus Harztor zeigte sich besorgt, er habe gehört, dass die Pläne eigentlich dazu dienten Schulschließungen vorzubereiten, es gäbe diesbezüglich Gerüchte. Der Landrat verneinte entschieden, die Schulstandorte seien gesichert, tatsächlich werde jetzt die Schulturnhalle in Niedersachswerfen saniert. Zudem würden über eine neue "Linie 20" gar keine Grund- und Regelschulstandorte in Nordhausen angebunden, man habe vornehmlich die Gymnasien im Blick, denn nur für die ist man als Landkreis innerhalb der Stadt auch zuständig.

Aus dem Stadtrat waren vor allem Jendrickes sozialdemokratische Genossen und die Linke prominent vertreten und die zeigten sich interessiert an einem Attraktivitätssteigerung des ÖPNV. Allein können die freilich nichts entscheiden, Grün, Schwarz und Gelb fehlten am Abend im politischen Farbenspiel.

Jendricke plädierte an die anwesenden Räte sich für die Idee stark zu machen. Eine Machbarkeitsstudie werde man in jedem Fall in Angriff nehmen. Und dann kann man weiter reden.
Angelo Glashagel
Autor: red

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