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Abgeschrieben und aufgegeben

Mittwoch, 23. Februar 2005, 09:04 Uhr
Nordhausen (nnz). Frank-Jürgen Weise ist der Chef der Bundesagentur für Arbeit. Der Mann hat Mut, denn er sagt jetzt das, was eigentlich schon 15 Jahre lang Realität im Osten Deutschlands ist. Dort gibt es auf dem Arbeitsmarkt keinen Platz für ältere Menschen. Die nnz mit einer Betrachtung.


Seit dem die soziale Marktwirtschaft der Liberalisierung und Globalisierung geopfert worden war, wirken die Kräfte des Marktes mit aller Macht. Das mag vielleicht gut sein, denn letztlich wird so der eigentliche Ist-Zustand dieses Gemeinwesens nicht mehr durch politische Subventionen verschleiert. Auch für Agenturchef Weise ist der Vorhang längst gefallen. Sein „Unternehmen“ will ostdeutsche Arbeitslose, die älter als 55 Jahre sind und seit Jahren keinen Job finden, nicht mehr betreuen (die nnz berichtete heute bereits dazu).

Man habe in der derzeitigen Wirtschaftslage im Osten kaum noch etwas für diese Altersklasse zu bieten, meinte der Herr Weise und weiß dabei natürlich auch, daß er wieder nur die halbe Wahrheit sagte. Seit 15 Jahren haben diese Menschen kaum noch eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die meisten von ihnen schlidderten auf dem zweiten Arbeitsmarkt von einer Trainings- in die nächste Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, von einer Umschulung in die nächste SAM. Hinzu kamen Altersteilzeit, Vorruhestand und, und, und. Um Klartext zu reden: Menschen ab 55 werden auf diesem Markt einfach nicht mehr gebraucht, ihre Ware Arbeitskraft ist einfach nicht interessant genug, weil für den Arbeitgeber mit vielen Risiken behaftet.

Im Landkreis Nordhausen sind aktuell 1.200 Frauen und Männer arbeitslos, die älter als 55 Jahre sind. Für die wird in der SPD überlegt eine Grundsicherung zu zahlen. Bürgergeld könnte das Teil heißen, gleichzeitig sollen diese Menschen zu gemeinnütziger Arbeit herangezogen werden. Sie werden dann das Heer der Ein-Euro-Jobber komplettieren. Nur wird es so viele Parkanlagen oder Straßen überhaupt geben, die dann von den Tausenden sauber gemacht werden können?

Die eigentliche Frage ist doch viel provokanter. Wie kann diese Entwicklung aufgehalten werden? Jetzt sind es die 55jährigen, in fünf Jahren die dann 50jährigen, danach vielleicht die 45jährigen? Wer kann diese Entwicklung aufhalten? Wie werden die Gemeinden und Städte in zehn oder mehr Jahren aussehen. Sauber und gepflegt, weil es viele Kehrer gibt? Geras Oberbürgermeister Ralf Rauch hat in dieser Woche nicht nur die Landespolitik, sondern auch die Bundespolitik zu einer Umkehr bei der Gemeindefinanzierung aufgefordert. Rauch kann sich das erlauben, er besitzt kein Parteibuch.

„Die fahrlässige Unterfinanzierung der Städte in Deutschland diskriminiert die Bürger“, meinte Rauch und beklagt den „aktuellen Zustand des eklatant fortschreitenden Verfalls der Infrastruktur in Städten und Gemeinden.“ Alle Lebensbereiche wie die örtlichen Arbeitsmärkte, Bildung, soziale Kommunikation würden niederstes Niveau erreichen. Das ist vielleicht richtig analysiert, aber Herr Rauch – das ist zu kurzsichtig gedacht. Wenn sich der Geraer OB vielleicht mal in tschechischen oder polnischen Städten vergleichbarer Größe umsehen würde, dann gibt es durchaus für Gera und natürlich auch für Nordhausen noch enormen Nachholebedarf – beim Abrutschen nach unten.
Autor: nnz

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