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Berichte aus den Hotspots der Artenvielfalt 18 und 19

Arterhaltung auf mehr als 30 Flächen

Dienstag, 23. Oktober 2018, 06:45 Uhr
Im Gebiet des Kohnstein wurden seit Ende des 19. Jahrhunderts die Wuchsorte von mindestens 49 Gefäßpflanzenarten durch Gipsabbau vernichtet. Die Wuchsortverluste durch die Aufgabe der Nutzung und die Intensivierung von Land- und Forstwirtschaft dürften ersten Schätzungen zufolge aber weitaus größer sein...

BUND-Einsatz (Foto: privat) BUND-Einsatz (Foto: privat) Die Erhaltung der Biosiversität und damit einer unserer Lebensgrundlagen ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Mitglieder und Freunde des BUND-Kreisverbandes Nordhausen haben bisher 71 landschaftspflegerische Einsätze durchgeführt. Hier einige der Selbstlosen am 5. September 2015 auf einem BUND-eigenen Grundstück am Himmelsberg, das den fortschreitenden Gipsabbau aufhalten soll.

Der Erhaltung der letzten Refugien zahlreicher gefährdeter Arten durch die historische Nutzung nachahmende Eingriffe haben sich Mitglieder und Freunde des BUND-Kreisverbandes Nordhausen auch 2017 gewidmet.

Die Einleitung zu diesem Beitrag soll jedoch keinerlei Zweifel daran lassen, dass der Gipsabbau die größte Bedrohung für unsere Millionen Jahre alte Landschaft ist. Mit jeder alten Kaffeemühle in einem Museum wird sorgsamer umgegangen, als mit dem Südharzer Zechsteinrand, möchte man angesichts des aktuellen Regionalplanentwurfs und des geltenden Rechts meinen.

Durch den Gipsabbau wird die Grundstruktur unserer Heimat unwiederbringlich vernichtet, wenngleich dies bisher nur stellenweise geschah. Die Nutzungsveränderungen sowie der Klimawandel aber vollzogen bzw. vollziehen sich im Gegensatz zum bisherigen Gipsabbau flächendeckend.

Die Folge der Nutzungsveränderungen ist und waren auch flächendeckende Verluste von Wuchsorten von heute zum Teil stark gefährdeten Pflanzenarten.

Wenn Politiker und Projektentwickler heute vom Hotspot 18 und von der Notwendigkeit von dessen Erhaltung sprechen, dann sprechen sie in Wirklichkeit über eine „halbvernichtete“ Biodiversität, also über einen Abklatsch dessen, was einst an Arten vorhanden war:

Stellvertretend lässt sich dies an den einst heimischen Orchideenarten erklären: Von den im Landkreis Nordhausen einst nachgewiesenen 41 Orchideenarten sind 14, also mehr als ein Drittel, ausgestorben. (Quelle: Spangenberg, H.-J., Eccarius, W., W. Heinrich, D. Junker, F. Lawrenz, R. Richter (2002): Orchideen im Landkreis Nordhausen. Arbeitskreis Heimische Orchideen e.V.).

Mitglieder und Freunde des BUND-Kreisverbandes Nordhausen widmen sich seit 2003 und kontinuierlich seit 2010 der Erhaltung letzter Refugien der im Landkreis (und teils darüber hinaus) noch vorhandenen floristischen Artenvielfalt. Wir werden vorrangig in Naturschutzgebieten tätig, in denen sich die Wuchsorte dieser Arten überwiegend befinden. Damit wirken wir an der mitunter vernachlässigten Umsetzung grundlegender Richtlinien und Verordnungen nicht unwesentlich mit. Unsere Erhaltungsmethoden heißen Entbuschung, Mahd, Abplaggen, Entfilzen, Anlage von Bodenverwundungen, Erhaltungskulturen, Zusammenarbeit mit Fachleuten.

Den Kern jedoch bilden die landschaftspflegerischen Einsätze
16 Einsätze 2017, 33 Flächen, 105 erhaltene Vorkommen bedrohter Pflanzenarten

Mit 16 offiziellen landschaftspflegerischen Einsätzen stellten die Mitglieder und Freunde des BUND-Kreisverbandes Nordhausen 2017 einen neuen Rekord auf. Noch nie zuvor (seit 2010) widmeten die Aktiven so oft ihre Freizeit dem praktischen Artenschutz.

Sie erhielten 2017 auf insgesamt 33 Flächen im Landkreis Nordhausen, und ganz exklusiv, im Saalekreis bei Halle in Sachsen-Anhalt, durch Pflegemaßnahmen Zentren der botanischen Artenvielfalt. Im unteren Saaletal wird einer von nur noch zwei deutschen Wuchsorten der deutschlandweit vom Aussterben bedrohten Klebrigen Miere (Minuartia viscosa) gemäht.

Im benachbarten Landkreis Harz werden momentan keine Einsätze gefahren, jedoch gibt es mehrere freiwillig beobachtete Flächen, auf denen die Bestände bedrohter Arten untersucht werden, unter anderem der recht sicher letzte Harzer Wuchsort des Feld-Enzians (Gentianella campestris) und der wahrscheinlich letzte der deutschlandweit vom Aussterben bedrohten Borstigen Glockenblume (Campanula cervicaria). Der Informationsaustausch mit den jeweiligen Unteren Naturschutzbehörden sowie mit Gebietskennern und mitunter auch Spezialisten ist entscheidend für die Ausgestaltung von Erhaltungsmaßnahmen und damit durchaus für die Weiterexistenz der jeweiligen Wuchsorte.

Im Landkreis Nordhausen bestehen für 14 der 33 Flächen Verträge über das Programm NALAP. Für diese fließen geringfügige Mittel zur Deckung der Unkosten.

Für die Pflegetätigkeit auf sieben Flächen erhielten die aktiven Freunde und Mitglieder des BUND-Kreisverbandes Nordhausen keine Mittel, da diese bereits einer Förderung über andere landschaftspflegerische Programme unterliegen. Eine Doppelförderung ist ausgeschlossen. Hier pflegen wir trotzdem, um die Verluste von gefährdeten Pflanzenarten auf diesen Flächen durch ungeeignete Nutzung zu verhindern.

Hier stellt sich natürlich die Frage, warum wir Flächen mähen müssen, die eigentlich bereits im Sinne des Naturschutzes bewirtschaftet werden sollten.

Das Problem: Obwohl sich diese sieben Flächen in Naturschutzgebieten mit hohen gesetzlich verbrieften Standards befinden, lässt das Pflegeergebnis oft zu wünschen übrig. Besonders schutzrelevante Pflanzenarten werden durch die vereinbarte landwirtschaftliche Nutzung nicht oder zu wenig gefördert, einige wurden auch nachweislich verdrängt. Um das überwiegend ausgesprochen wertvolle Arteninventar im Sinne der deutschen und EU-Regelungen zum Naturschutz zu erhalten, werden wir vom BUND-Kreisverband auf diesen Flächen kostenlos tätig.

Auf weiteren 12 Flächen vollziehen wir Pflegemaßnahmen, obwohl diese Flächen keinerlei Förderung unterliegen. Hierbei handelt es sich meist um nur wenige Quadratmeter messende Splitterflächen mit wenigen Exemplare einer Art, deren Erhaltung aber mitunter von überregionaler Bedeutung ist. Als Beispiel mag hier das Breitblättrige Wollgras (Eriophorum latifolium) an einem weithin isolierten Wuchsort im Landkreis Nordhausen dienen oder der extrem seltene Pilz Zierlicher Braunsporstacheling (Sarcodon lepidus), der gar nur über wenige bekannte Wuchsorte weltweit verfügt. Natürlich geht es auch hier nicht ohne Wissen der Unteren Naturschutzbehörde.

500 dokumentierte Einzelmaßnahmen seit 2003
Der Erfolg der vielen Maßnahmen (insgesamt mehr als 500 dokumentierte Einzelmaßnahmen seit 2003) kann sich sehen lassen: Immerhin wurden auf den 33 gepflegten Flächen mindestens 105 Vorkommen gefährdeter oder geschützter Pflanzenarten nachgewiesen, die ohne diese Maßnahmen möglicherweise nicht mehr vorhanden wären. Wir erhalten damit die einige der letzten Refugien mancher Arten in den Hotspots 18 und 19 (19=Harz).

Unsere Maßnahmen werden auf die konkreten Ansprüche von Arten abgestimmt, und notwendigenfalls überarbeitet, wodurch eine optimale Wirksamkeit der Erhaltungsmaßnahmen im Hotspot 18 erreicht werden soll. Und: Wir wählen hinichtlich ihrer Biodiversität wertvollsten Flächen aus und streben auf ihnen Pflegemaßnahmen an.

Die Erfolgskontrolle vollzieht sich über ein entsprechendes, ebenfalls ehrenamtlich durchgeführtes Monitoringprogramm für insgesamt 40 ausgewählte Farn- und Blütenpflanzenarten und (eine) Pilzart(en). Die älteste (fast) lückenlose Beobachtungsreihe begann 1990 für das Breitblättrige Knabenkraut im heutigen Naturschutzgebiet Pfaffenköpfe, die älteste tatsächlich lückenlose begann 2003 (Helm-Knabenkraut im NSG Harzfelder Holz).

Bei der weit überwiegenden Zahl der untersuchten Arten können wir bisher eine positive Bestandsentwicklung feststellen, wobei die möglichen Auswirkungen des extremen Dürrejahres 2018 noch nicht komplett berücksichtigt sind. Mehrere Arten, um die wir uns bemühen, kommen ostdeutschlandweit nur oder fast ausschließlich im Landkreis vor (z.B. Schmalblättrige Miere, Alpen-Gänsekresse, Spätblühendes Brand-Knabenkraut, Feld-Enzian), oder gar weltweit nur hier vor (Gips-Fettkraut).

Auf einer Anzahl weiterer Flächen, den Einsatzgebieten des BUND-KV oft benachbart, werden lediglich Beobachtungen zur Wirksamkeit anderweitiger landschaftspflegerischer Maßnahmen angestellt. Bei negativen Entwicklungen werden Landschaftspflegeverband und Untere Naturschutzbehörde informiert und um mögliche Änderungen ersucht. Hinsichtlich der Kommunikation gerade zu diesen kritischen Themen besteht durchaus noch Luft nach oben.

Der Vorteil der vom BUND-Kreisverband organisierten und durchgeführten Pflegemaßnahmen liegt in einer weitgehenden Unabhängigkeit von größeren Mittelzuwendungen und der daraus ableitbaren, wahrscheinlicheren Kontinuität. Es geht ausschließlich um die Erhaltung der Arten und ihrer Wuchsorte, nicht aber um das leidige Problem von Personalkosten, der Suche nach Auftragnehmern bei höherdotierten Projekten, wie dem aktuellen 4-Millionen Projekt für den Hotspot 18, das jedoch als Entwicklungszünder auf dem Gebiet des aktiven, großflächigen Naturschutzes von entscheidender Bedeutung sein kann.

Der Einsatzwillen der freiwillig Aktiven, die sich an Wochenenden und in ihrer Freizeit für die Erhaltung der artenreichen Reste unserer Landschaft einsetzen, ist bei den BUND-Einsätzen das allein entscheidende. Ihnen sei an dieser Stelle noch einmal auf das Herzlichste gedankt. Die Erhaltung vieler Wuchsorte selten gewordener Pflanzenarten im Gebiet ist ihr Werk.

Gedankt sei aber auch, und das keinesfalls zuletzt, der Naturstiftung David, der wir einen Großteil der Technik zu verdanken haben, ohne die wir kaum etwas für den Artenschutz ausrichten könnten.

Aber: Wir können nicht wirklich etwas retten
Auch kein Millionenprojekt kann dies. Höchstens punktuell. - Denn die Ursachen für den ungebremsten Rückgang von Arten sind förmlich erdrückend: Sie heißen (s.o.) Nutzungsintensivierung (auch durch Grünlandumbruch), Nutzungsaufgabe, Gipsabbau, Ausdunkelung der Wälder, Emissionen von NOx, Dünger- und Herbizideintrag, Versiegelung, Aufhören kleinflächiger Bodenverwundungen, eine naturschutzfachlich manchmal fragwürdige, gelegentlich auch zerstörerische Landschaftspflege, Ausgraben von Orchideen, einseitig handelnde oder nicht handelnde Verwaltungen, zunehmend der Klimawandel, Isolation der Populationen und so weiter, und so weiter…

Mit ein paar Mäheinsätzen lassen sich solch gewaltige Gegenkräfte trotz aller Kontinuität und allen Einsatzwillens gewiss ebenso nicht ausschalten, wie mit Großprojekten, sondern allenfalls etwas und zeitlich begrenzt abmildern. Denn die genetische Verarmung vieler Populationen und damit ihr wahrscheinlicheres Verschwinden durch ihre Isolation von anderen Populationen ist, wenn überhaupt, wahrscheinlich nur bei sehr kluger Herangehensweise aufzuhalten. Möglicherweise müssen auch hier zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden. Besser aber wäre ein grundlegendes wirtschaftliches Umsteuern im Sinne einer allgemeinen Nachhaltigkeit.

In Zeiten des unsere Zivilisation bedrohenden Klimawandels und eines potenziell neuen atomaren Wettrüstens kann es eigentlich nur noch darum gehen, nach dem (nicht verbrieften) Luther-Spruch zu handeln: „Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, dann würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Danach handeln auch wir vom BUND-Kreisverband mit unseren Einsätzen.

Das notwendige politische und wirtschaftliche Umsteuern können wir nicht bewirken.
Bodo Schwarzberg
Autor: red

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