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Bayern-Thüringen: Einige Gedanken zur Bayernwahl

Erosion des Gewohnten

Montag, 15. Oktober 2018, 07:47 Uhr
Für die Grünen ist es ein Armutszeugnis: Bald 20 Prozent der Wählerstimmen haben sie in Bayern bekommen. Das sieht nach Wahlsieg aus. Aber der Wähler honoriert vielmehr ihre zunehmende Farblosigkeit und Beliebigkeit aus purem Machtkalkül, was auch in Thüringen zu beobachten ist. Nur dass sie in unserem Freistaat noch kaum über sechs Prozent hinauskommen...


Denkwürdig ist, dass die erste, eigentlich von allen Parteien vehement ausgeschlossene Neuverritzung in der Gipskarstlandschaft seit der Wende nicht unter dem so genannten Umweltminister der CDU, Reinholz, passiert, sondern unter Frau Siegesmund von den Grünen und dass mehrere vorgesehene Naturschutzgebiete im Landkreis Nordhausen, noch immer nicht ausgewiesen sind. Nicht einmal das konnte diese Partei in der rotrotgrünen Erfurter Koalition bisher erreichen. -

Bayern und Thüringen sind also, inhaltlich betrachtet, trotz unterschiedlicher Sonntagsfrageergebnisse, was die Entwicklung dieser Partei betrifft, möglicherweise gar nicht so weit voneinander entfernt?

Das kann auch über die Landesgrenzen der beiden Freistaaten hinaus gefragt werden: Dass der Hambacher Forst vor der Abholzung stand und (nicht zu vergessen) weiterhin steht, ist dem Wohlwollen der NRW-Grünen für den Braunkohlengiganten schlechthin, RWE, vor einiger Zeit mit zu verdanken. Die neue Partei der Mitte wird für viele immer wählbarer, weil die alte Mitte versagt, unentschlossen, krisengeschüttelt oder sonst wie handlungsgestört ist. Vielleicht, dass soll ja gar nicht in Abrede gestellt werden, ist auch der Dürresommer als Anzeichen eines Fukushima in Zeitlupe namens Klimawandel mit von der Partie, wenn die Grünen so stark zulegen. Die Frage ist nur, ob die Grünen tatsächlich auch heute noch in der Lage sind, als Partei eines neuen so genannten Establishments die Ursachen der Weltmiseren überhaupt zu erkennen und dann auch noch an den Wurzeln anzupacken wagen.

CSU und erst recht die SPD erhielten in Bayern vom Wähler Quittungen a) für ihre Unfähigkeit, Probleme zu erkennen, die der Bevölkerung unter den Nägeln brennen und b) für die angesichts dessen egoistischen Kleinkriege inmitten der Berliner Politik.

Vielleicht aber vermischt sich auch ein wenig ostdeutscher Frust mit den Wünschen bayerischer Wahlbürger. Denn auch dort wird man mitbekommen haben, wie blindlinks Berliner Verantwortliche über unzufriedene Demonstranten in Chemnitz hergezogen sind.

Kaum jemand östlich der Elbe kann zum Beispiel verstehen, warum sich die alten Volksparteien so wenig um die Sorgen der Leute im Osten scheren, die nicht per se Nazis sondern einfach nur enttäuschte Bürger sind: über den Tisch gezogen von der Treuhand und ihren Wegbereitern im Einigungsvertrag, denen wir hier auch die zu erwartenden neuen Gipssteinbrüche im Landkreis mit zu verdanken haben: Den Konzernen im Westen wurde damals der Weg bereitet für die Ausbeutung der Filetstücke, die die DDR mit in die Einheit brachte, der Rest wurde ohne Rücksicht auf Verluste, insbesondere persönlicher Identitäten, Biografien und Existenzen entsorgt. Kapitalmanier eben.

Wahrscheinlich dachte man in den Partei- und in den mit ihnen dank Lobbyisten oft gut befreundeten Konzernzentralen, die D-Mark im Portemonnaie und die Bananen endlich in jedem Schaufenster, würden schon ausreichen, um den materiell ausgehungerten Ossi in Demut verharren zu lassen. –

Leider waren viele mit marktwirtschaftlichem Gebaren unerfahrenen DDR natürlich tatsächlich trunken von der neu gewonnen Freiheit und den ungewohnt schweren Groschen und haben nicht protestiert. Das hatten sie ja auch erst mehrheitlich 1989 gelernt.

Was aber hat das mit der Bayernwahl zu tun? Was gestern in Bayern passiert ist, ist ein Ergebnis der Selbstzufriedenheit von CDU/CSU und SPD, die sich zuletzt darin äußerte, dass Realpolitik in Berlin wegen zahlloser Kinderzimmerquerelen nicht mehr möglich war. Wie schon geschrieben.

Mit der Migration vieler ausländischer Menschen hat das Wahlergebnis in Bayern Umfragen entsprechend durch den aggressiven rhetorischen Umschwung bei einigen CSU-Spitzenpolitikern zu tun: Doch die Wahl gegen die bisherige CSU-Übermacht hat einmal mehr gezeigt: Deutsche sind keine Ausländerfeinde. Sie wollen aber sicher leben und nur gut integrierte Migranten um sich haben, die den enormen Arbeitskräftemangel zum Wohle für uns alle wenigstens dämpfen können.

Der Einzug der AfD in das bayerische Parlament und das gute Ergebnis der Freien Wähler ist auch Ausdruck des Versagens der anderen Parteien bezüglich der Ängste und Erfahrungen mancher Bevölkerungsteile.

Wenn sich die Politik aber schwer tut, für die Bevölkerung spürbar, z.B. kriminelle Migranten schnellstmöglich abzuschieben, dann schlägt sich das eben an der Wahlurne nieder.

Integration ist wichtig und ein enormer Wirtschafts- und Zukunftsfaktor. Aber die deutsche Bevölkerung muss auch das Gefühl bekommen, dass die Integration gelingt. Hier gibt es Nachholbedarf, der in Abschiebung krimineller Ausländer ebenso besteht, wie in der Publikation eines tatsächlich vorhandenen eines gelungenen Miteinanders, ob in regionalen Fußballvereinen (auch bei uns in Nordhausen), im Kollegenkreis einer Firma, in der Hausgemeinschaft und anderswo. Bezogen auf beide genannten Punkte haben die Medien eine sehr wichtige Funktion, wenn die Politiker nicht tätig werden, die sie noch nicht völlig ausgeschöpft haben.

Auf jeden Fall sollte die Wahl im Freistaat Bayern allen Parteien Denkaufgaben stellen, wie wir in Deutschland mit Problemen umgehen, und wie sie vielleicht einen oder besser zwei Schritte hin zu den Bürgern wagen, hinab von den Parlamenten in die Abgründe der Städte und Dörfer, eben zur eigentlich notwendigen Realpolitik.
Bodo Schwarzberg
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Autor: red

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