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Die Seelöcher

Düster und geheimnisvoll

Dienstag, 28. August 2018, 09:54 Uhr
Der Südharz ist eine Region besonders reich an Erdfällen und es vergeht wohl kaum ein Jahr, in dem sich nicht plötzlich die Erde auftut und alles verschlingt, was sich über ihr befindet. Oft entwickelten sich in den Erdfällen Seen oder Moore; das bekannteste dieser Gewässer im Südharz ist wohl das ‚Große Seeloch‘, um das sich viele Geschichten ranken...

Schon der Ellricher Pfarrer Gottlieb Christoph Schmaling (geb. 1729 in Kehmstedt; gest. 1800 in Ellrich) versucht in seiner kleinen Zeitung „Hohnsteinisches Magazin“ zu Ende des 18. Jahrhunderts diese endogene Morphodynamik zu erklären: „Es müssen sich in der Grafschaft viele unterirdische Höhlungen befinden, die das Wasser nach und nach ausgewaschen hat, daher kommt es, daß man darin häufige große und kleine Erdfälle und eingeschlossene Löcher auf den Aeckern sieht, obgleich sich in denselben nicht immer Wasser befindet. Sie haben die Gestalt eines Trichters und manche sind so tief als ein gewöhnlicher Kirchthurm. Inwendig sind sie mit Bäumen, Sträuchern und Kräutern angefüllt, welches von oben her roth, schwarz und grünlich scheint.“

Solche mit Wasser angefüllten Erdfälle finden wir z. B. mit dem „Grundlosen Loch“ am Kohnstein in unmittelbarer Nähe der Salzaquelle. Weitere Erdfallseen befinden sich östlich von Liebenrode: der Röstesee, der Mönchsee, der Opfersee, das Wiedertäuferloch und das Grubenloch. 

Die bemerkenswertesten Gewässer im Landkreis Nordhausen dürften jedoch die „Seelöcher“ sein, die durch ihre Lage, Gestalt und mancherlei Sagen eine gewisse Berühmtheit auch über die Kreisgrenzen hinaus erlangten. Zwischen Kleinwechsungen und Hochstedt auf dem Seeberg (250 m) finden sich diese zwei Erdfälle, ein größerer und ein kleinerer. Während das kleine Seeloch trocken und mit Sträuchern und Bäumen bewachsen daliegt, bietet das Große Seeloch (1,95 ha) den Anblick eines tatsächlichen Sees, dessen nördlichstes Ufer steil abfällt, während nach Süden hin der Wasserspiegel der Ebene fast gleichkommt. Bei blauem Himmel sieht das Große Seeloch aus der Luft aus wie ein Portal in eine andere Welt, in das man nur hineinzuspringen braucht.

Das große Seeloch von oben (Foto: Vincent Eisfeld) Das große Seeloch von oben (Foto: Vincent Eisfeld)

Am Boden bietet der See aber einen noch eigentümlicheren Anblick, wenn man auf der Höhe des Ufers stehend auf die Wasserfläche herabschaut; friedlich und still liegt der See vor einem, düster und schaurig erscheint die ganze Szenerie, besonders, wenn trübe Wolken am Himmel stehen, das tiefe Schweigen wird nur dann und wann einmal unterbrochen durch das Geschrei wilder Enten, welche sich im Schilfe, am Ufer des Sees, verbergen. Es beschleicht einem unwillkürlich ein unheimliches Gefühl und man kann sich wohl erklären, wie dieser Ort in der Volkssage eine hervorragende Stelle einnehmen konnte.

Das Große Seeloch hat ein Volumen von 175.000 m³ mit einer maximalen Tiefe von 17 m. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich in der Mitte des Sees eine Insel, welche aus einem Rasenstück bestand, das einmal das Wasser vor Ufer abgetrennt hatte. Auf dieser Insel, welche man durch Stricke an das Ufer ziehen konnte, standen Bäume und unter diesen pflegte sich im Sommer eine Musikkapelle aufzuspielen. Die Bewohner der Umgebung strömten zu diesem Fest herbei, einige sprangen ins Wasser und durchschwammen das Seeloch. Zum Abend wurde das Fest durch ein Feuerwerk zu Ende gebracht. Später zerfiel die Insel in Stücke, welche am Ufer wieder festwuchsen.

Die Entstehung aller Erdfälle in unserer Heimat hat sich das Volk in Sagen erklärt. Bekannt ist etwa der Tanzteich in Niedersachswerfen, welcher ein Wirtshaus verschlungen haben soll, in welchem man bei einem schweren Gewitter tanzte. Oder das Grundlose Loch an der Salzaquelle, auf welchem früher eine Mühle stand, deren Besitzer einem armen Bettler mit Kot bestrichenes Brot zur Speisung reichte und dafür mit dem Untergang seines Hauses bestraft wurde.

Am großen Seeloch (Foto: Vincent Eisfeld) Am großen Seeloch (Foto: Vincent Eisfeld)

Überall herrschte aber der Glaube vor, dass durch Blitz und Donner Freveltaten der Menschen von Gott bestraft werden, dass ihre Wohnungen von der Erde verschlungen und dann das Wasser den Ort des Frevels nach stattgefundener Sühne wieder friedlich bedecken würde.

Ähnliches erzählt die Sage von der Entstehung der Seelöcher. Zwei Knechte weideten die Pferde ihres Herrn und hatten sich auf dem Rasen niedergelassen, um ihr Frühstück zu verzehren. Dabei stellte sich heraus, dass der Dienstherr dem einen Knechte schönes Weißbrot zum Mahle gegeben hatte, während das Brot des anderen hart und schwarz war. Voll Ärger darüber band dieser das schwarze Brot an einen Baum und bearbeitete es mit seinem Stock. Plötzlich wurde der Himmel finster, voll Schrecken entfloh der eine Knecht, während der andere nicht davon abließ, in dem Brot weiter zu stochern. Ein schweres Gewitter zog herauf, ein Blitz traf den Frevler und der Erdboden sank tiefer und wurde mit Wasser bedeckt. An der Stelle, wohin der Sturm den Hut des Knechtes geführt hatte, entstand ebenfalls ein Erdfall, das kleine Seeloch.

Gottlieb Christoph Schmaling erklärte diese Sage damit, „dieß soll soviel sagen, daß diese Seen bey einen starken Gewitter und einer Art der Erdbeben entstanden.“ Eine andere Sage, welche ein Nordhäuser Magister, Namens Ehrhardt, einst in einem in Nordhäuser Mundart geschriebenen Gedichte verarbeitete, erzählt, daß ein Junker Jost von Hochstedt dort seine ihm untreue Gattin, welche ihm auf der Höhe des Seeberges entgegenkam, verflucht habe, so daß sie der Erdboden verschlang. Diese Sage ist offenbar zurechtgemacht, denn sie findet sich im Bewußtsein des Volkes nirgends wieder. An die eigentliche Seelochsage knüpft sich auch die andere Sage an, daß am Rande des Sees eine Blume wächst, deren Blätter einem Pferdefuße gleichen, an strickförmigen Stielen hängen und gelbe Blumen in Tulpengestalt tragen.

Doch auch in beinah jüngerer Vergangenheit bot das Seeloch Gelegenheit für Erzählungen. Am 8. Juni 1877 wusch der Schäfer Keil aus Haferungen mit Gehilfen seine Tiere am Rande des Seelochs. Glücklich über die getane Arbeit, packte Keil im Scherz seinen Gehilfen Danneberg um ihn ebenfalls wie die Schafe zu waschen. Dabei glitten ihre Füße aus und sie verschwanden beide in der unheimlichen Tiefe des Wassers. Ihre Leichen traten nie wieder zum Vorschein auch ein später eigens bestellter Taucher fand nichts. Zwei Jahre später soll der Arm des Schafmeisters, welchen man am Ärmel erkannte, am Rande des Seeloches gefunden worden sein.

„Düster und geheimnisvoll liegt das Seeloch vor uns…“, so zum Ende der Erzählung von Pastor Reichhardt aus Haferungen im Jahr 1893, „und unser Gemüth wird noch ernster gestimmt werden, wenn wir daran denken, wie oftmals schon das Seeloch das freiwillige Grab lebensmüder Menschen geworden ist. Rings um das Seeloch herum finden wir die Grabstätten derer, denen des Lebens Weh und Sorgen so schwer auf der Seele lasteten, daß sie meinten, im feuchten Schoße des unheimlichen Sees die beste und letzte Ruhe zu finden.“
Vincent Eisfeld

Quellen:
Sagenbuch des Preußischen Staats, Band 1. Glogau 1868, Flemming.

Josef Tauchmann: Die beiden Seelöcher und das Moosloch - Interessante Erdfälle zwischen Kleinwechsungen und Hochstedt (https://www.karstwanderweg.de/publika/mey_mus/15/54-67/index.htm)

Pastor Reichhardt, Haferungen: Die Seelöcher, 1893.
Autor: red

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