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nnz-Interview mit Niels Neu

Damals war es nicht opportun, die Zahl zu nennen

Donnerstag, 12. Juli 2018, 09:00 Uhr
Der Nordthüringer Unternehmerverband hat fast 200 Mitglieder. Das ist schon ein Schwergewicht, auch in Richtung Politik. Wir haben uns mit NUV-Chef Niels Neu über Flüchtlinge, Statistiken, Investitionen und ein immer noch leeres Industriegebiet unterhalten...


nnz: Herr Neu, die von der nnz angefragten Daten zur Integration von Flüchtlingen in Mitgliedsunternehmen waren ziemlich ernüchternd. Waren Sie selbst überrascht?

Niels Neu: Nein, weil unser Verband und ich persönlich seit dem Jahr 2015 davon überzeugt waren, dass maximal zehn Prozent der Ankommenden in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden können. 

nnz: In den offiziellen politischen Verlautbarungen zum Beispiel klang das aber noch Anfang 2017 noch anders...

Niels Neu: Es war eben leider so, dass es erst seit einem Jahr opportun ist, über diese Fakten Klartext zu reden. Wir haben versucht, auf diese Problematik schon 2015 hinzuweisen. Leider wurden die vom NUV in Interviews genannten Zahlen damals oftmals nicht korrekt oder überhaupt nicht publiziert.

nnz: Was aber müssen Politik und Wirtschaft tun, damit diejenigen, die in unser Land kamen und vermutlich auch nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren werden, doch noch in Arbeit zu bringen?

Niels Neu: Unsere mittelständische Wirtschaft hat seit Anfang 2016 wirklich sehr viele, für die Unternehmen aufwändige Versuche zur Integration in den Arbeitsmarkt unternommen, doch leider scheiterten diese zum größten Teil, da es völlig unterschiedliche Vorstellungen zu Ausbildung und zur Arbeitswelt zwischen Deutschland und den Herkunftsländern der Flüchtlinge gab und gibt. Hier trafen und treffen zwei Welten aufeinander und ich persönlich vermisse immer noch die Anerkennung unseres Wertesystems durch viele der Flüchtlinge. Gerade unser demokratisches Wertesystem und unser Grundgesetz müssten ihnen neben der deutschen Sprache intensivst vermittelt werden, bevor sie in Kontakt mit der Wirtschaft kommen.

nnz: Warum gab und gibt es sehr viele, die eine begonnene Ausbildung abbrechen?

Niels Neu: Ich kann als Arbeitgeber aus eigenen Erfahrungen sprechen, dass man in den meisten Fällen ganz schnell Geld verdienen will und das System der deutschen Berufsausbildung, nach dem mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung wesentlich mehr Geld verdient wird als als Ungelernter, oft nicht bekannt ist.

nnz: Liegt es aber nicht auch am hohen Niveau unserer Sozialsysteme, dass sich Flüchtlinge nicht qualifizieren oder ausbilden lassen wollen? Sind die Hartz-IV-Leistungen vielleicht zu sozial?

Niels Neu: Das kann durchaus sein, dass der ganze Leistungskatalog, den Hartz-IV-Bezieher in Anspruch nehmen können, so verlockend ist, dass eine Integration in die Gesellschaft über Arbeit nur mühsam möglich ist. Das ist aber kein Phänomen, das wir als Unternehmer nur bei Flüchtlingen beobachten und feststellen, sondern auch bei Deutschen, die sich über Jahre hinweg in der Arbeitslosigkeit befinden. 

nnz: Beschlossen ist durch die Bundesregierung, jährlich bis zu 200.000 Flüchtlinge oder Asylbewerber ins Land zu lassen. Wie sehen Sie diesen Fakt?

Niels Neu: Wir müssen zum einen beachten, dass die Integrationsfähigkeit unseres Landes nicht überfordert wird und zum anderen, dass Integration kein Selbstläufer ist, wie zum Beispiel NO-go Areas in Berlin und anderen Großstädten zeigen. Integration kostet sehr viel Geld und ist zuallererst eine staatliche Aufgabe. Wir benötigen entsprechende Infrastruktur mit Wohnungen, Kitas oder Schulen. Auch werden angesichts des geringen Ausbildungsstandes der Flüchtlinge unsere Sozialsysteme weiter belastet werden. Ich glaube nicht, dass wir das dauerhaft stemmen können, auch nicht bei den derzeit sprudelnden Steuereinnahmen. Was wir in Deutschland brauchen, das ist ein Einwanderungsgesetz, das diejenigen, die arbeiten, sich integrieren und ein gutes Leben in Deutschland führen wollen, die Möglichkeiten dazu bietet. Die Einwanderung nur in die Sozialsysteme ist zu unterbinden, da sonst der Punkt des Kippens schneller erreicht sein wird, als wir uns das alle vorstellen können.

nnz: Seit einigen Monaten bemerkt man zum Beispiel beim Einkauf im Markt immer mehr Männer aus Nicht-EU-Staaten. Kann damit das Arbeitskräfteproblem gelöst werden?

Niels Neu: Für die Einwanderung von Arbeitskräften aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion machen wir uns als Verband schon lange stark und unterstützen Unternehmen bei der Suche nach Fachkräften. Beispielsweise hat die Neanderklinik in Ilfeld sehr gute Erfahrungen mit der Ausbildung von Pflegekräften aus der Ukraine machen können. Auch sind mir einige ausländische Unternehmer bekannt, die in Nordhausen in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft erfolgreich Fuß gefasst haben. In unserem Unternehmen, der TiRo Neu GmbH arbeitet seit mehreren Wochen ein Kollege aus Aserbaidschan als Schweißer, der sich sehr gut eingearbeitet hat. Wir werden ihn unterstützen, die notwendigen Zertifikate und Qualifikationen nachzuholen. Das würden wir aber auch mit deutschen Mitarbeitern so handhaben.

Wenn ich das noch anfügen darf: Ich persönlich und auch die Mehrheit der Unternehmen im NUV halten das Embargo gegen Russland für völlig falsch. Es tut nicht nur der deutschen Wirtschaft im Allgemeinen, sondern auch vielen Firmen in der Region richtig weh.

nnz: Am Erfurter Kreuz wird eine chinesische Firma mehrere hundert Millionen Euro investieren und 600 Arbeitsplätze mindestens schaffen. In der Goldenen Aue hingegen müssen wir gähnende Leere konstatieren...

Niels Neu: Erst einmal freue ich mich für die Erfurter Region und die Unternehmen, die von dieser Ansiedlung profitieren werden.

Voller Erwartung im leeren Revier. Der NUV-Vorstand im Industriegebiet Goldene Aue (Foto: NUV) Voller Erwartung im leeren Revier. Der NUV-Vorstand im Industriegebiet Goldene Aue (Foto: NUV)
nnz: Mit dem Blick auf die Goldene Aue dürfte es mit dieser Freude vorbei sein...

Niels Neu: Da haben Sie völlig Recht. Hier ist die LEG in der Pflicht, zumal das Industriegebiet seit zwei Jahren vermarktungsreif ist. Aus den Gesprächen mit der Führungsetage der LEG wissen wir aber, dass auch in Richtung Nordhausen viel gelaufen ist...

nnz: ... aber bislang ohne Erfolg?

Niels Neu: Die Aussagen der LEG stimmen mich optimistisch, dass es innerhalb von einem halben Jahr zu einer ersten Ansiedlung im Industriegebiet kommen wird. Hierüber wird Andreas Krey, der Geschäftsführer der LEG, beim demnächst stattfindenden Sommerfest des NUV berichten.

nnz: Und welche Branche wird das sein?

Niels Neu: Auf jeden Fall keine Photovoltaikanlage und auch kein Schlachthof.

nnz: Wenn es schon aus der Wirtschaft heraus mit größeren Investitionen schwer wird, dann ist da immer noch die öffentliche Hand. Nordhausen als Kommune der Vorreiter mit gleich drei Großprojekten...

Niels Neu: Zuerst einmal finde ich es gut, dass unser OB auch mal pragmatische Wege geht, richtig ist auch aus meiner Sicht, dass er die Finanzen zur Chefsache gemacht hat, damit sich Haushaltsdesaster nicht wiederholen. Es darf nicht passieren, dass die Stadt Nordhausen über Monate keinen genehmigten Haushalt hat und somit wichtige Investitionen für die Stadt nicht ausgelöst werden können. Ich finde, es sollten alle politischen Akteure zusammen daran arbeiten, dass alle drei möglichen Großprojekte für die Region realisiert werden können. Allerdings sollte bei der Förderquoten-Euphorie auch an die finanziellen Auswirkungen einer langfristigen Betreibung von AKS, Feuerwache und Theater gedacht werden. 

nnz: Sie sprachen die drei Vorhaben an. Müssen denn tatsächlich alle drei durchgezogen werden?

Niels Neu: Die Zeit - ein Jahr vor Kommunal- und Landtagswahlen - ist so günstig wie sie wohl kaum wieder sein wird. Die Feuerwache ist das unstrittigste Vorhaben. Hier finde ich es vom OB gut, dass er Kompromisse eingegangen ist und erhoffe mir von der in Aussicht gestellten Kleinen Anfrage des Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Dirk Adams im Thüringer Landtag endlich Bewegung im Landesverwaltungsamt. 

Der Albert-Kuntz-Sportpark bedarf einer Modernisierung und eines Umbaus. Nicht nur wegen der ersten Männermannschaft von Wacker, sondern auch wegen der vielen Nachwuchsmannschaften aus der Region, die hier eine Trainingsstätte gefunden haben. Den Vorschlag von Landrat Jendricke finde ich zielführend und bin mir sicher, dass wir zur Umsetzung die unternehmerischen Kompetenzen unter den Mitgliedern des NUV selbst haben.

Zum Theater. Es ist zweifelsohne ein wichtiger weicher Standortfaktor für die gesamte Region. Doch eine Summe, die jetzt intern im Rathaus schon mit fast 30 Millionen Euro gehandelt wird, macht mir Sorge, weil auf die lange Dauer der Arbeiten diese Summe vermutlich bis auf 40 Millionen Euro hochschießen kann. Für ein Drittel des Umbaus des Theaters hat sich die Stadt das komplett neue Bürgerhaus hinstellen lassen. Nicht berücksichtigt sind dabei die jährlichen Folgekosten des Betriebes. Diese müssen auch bei der Sanierung des Theaters bedacht werden.

Ich erwarte deshalb, dass auch unter Berücksichtigung der zu erwartenden Preis- und Tarifsteigerungen der kommenden Jahre ein schlüssiges Konzept vorgelegt wird, dass die Finanzierung dieser Kosten sicherstellt, ohne dass die Stadt ihre finanzielle Handlungsfähigkeit verliert, denn die Möglichkeiten des Sponsorings seitens der Unternehmen sind ebenso ausgereizt wie die Höhe der Gewerbesteuersätze.

nnz: Vielen Dank für das Interview.
Das Gespräch führte Peter-Stefan Greiner
Autor: red

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