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Die Stasi kannte keine Skrupel

Aktionen unter der Gürtellinie

Sonnabend, 28. April 2018, 12:43 Uhr
Unrühmliche Spezialität der Stasi war die „Zersetzung“. Bis heute sind Opfer der perfiden Repression nicht entschädigt worden. Auch wenn 2019 der zweite Solidarpakt ausläuft und die deutsche Einheit als vollendet gilt, kann kein Schlussstrich unter diesem finsteren Kapitel gezogen werden...


„Gelehrt“ wurden Methoden zur „Zersetzung“ an der MfS-Hochschule Potsdam. Ein Nordhäuser, Stasi-Major Karl-Otto Scharbert, hatte dort die Abteilung „Operative Psychologie“ aufgebaut. Sie unterstand direkt Erich Mielke, dem Minister für Staatssicherheit. Scharbert kam 1987 unter mysteriösen Umständen ums Leben.

Mit „Zersetzung“ gemeint waren inszenierte Schicksalsschläge oder Unfälle, üble Nachrede und kleine Gemeinheiten im Alltag, an denen die Opfer verzweifeln sollten. Ein Experte zählt auf: Der gestohlene Kinderwagen, der aufgeschlitzte Fahrradschlauch, die plötzliche Kündigung, das kompromittierende Foto, die zerstörte Liebe, das entfremdete Kind.

Die Opfer ahnten meistens gar nicht, was ihnen angetan wurde und von wem. Sie gaben sich die Schuld und begannen an sich zu zweifeln. Nachweisen lässt es sich nur schwerlich, wenn nichts über einen „operativen Vorgang“ in den Akten steht und wenn es keine Zeugen gibt. Wer unter „Zersetzung“ litt, hat keinen automatischen Anspruch auf Wiedergutmachung.

So müssen Opfer perfider Stasi-Methoden erleben, wie hohe Funktionäre des SED-Regimes heute satte Renten einstreichen, während sie leer ausgehen. Wer in Haft saß oder im Jugendwerkhof eingesperrt war, erhält eine bescheidene Entschädigung. Nicht so die Opfer von „Zersetzung“. Die in den Rehabilitationsgesetzen vorgesehenen Fristen sollen nun verlängert werden.

Darauf zielt eine Initiative des Bundesrates ab, und diese Absicht ist auch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung festgelegt. Denn es mel-den sich noch immer Opfer bei den Landesbeauftragten für die Unterlagen der Stasi.

„Zersetzung“ bedeutete im Sprachgebrauch des Ministeriums für Staatssicherheit verdeckte Aktionen gegen Andersdenkende und kritische Gruppen unter Verzicht auf Beweise wie Schriftstücke, Abhörprotokolle etc. Dazu gehörten Gerüchte und Intrigen, die oft unter die Gürtellinie der „Zielobjekte“ gingen.

Die Skrupellosigkeit und die vom MfS verwendeten „Mittel und Methoden“ überstiegen den Erfahrungshorizont der DDR-Bürger, wie nach der Wende 1989 publik wurde.
Manfred Neuber
Autor: red

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