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Öffentlichkeitstag des Suchthilfe

Crystal ist angekommen in der Stadt

Donnerstag, 19. April 2018, 11:30 Uhr
Suchthilfe und Polizei arbeiten an zwei Enden desselben Problems. Wie sich Drogenkonsum- und Drogenkriminalität im Landkreis entwickelt haben wurde gestern zum Öffentlichkeitstag der Suchthilfe dargelegt. Dabei sollte es auch um eine mögliche Liberalisierung der Drogenpolitik gehen...

Illegale Hanfplantage im Landkreis Nordhausen (Foto: Landespolizeiinspektion Nordhausen) Illegale Hanfplantage im Landkreis Nordhausen (Foto: Landespolizeiinspektion Nordhausen)

Das Hellfeld

3.434 Gespräche hat man im Suchthilfezentrum der Diakonie im Schackenhof im vergangenen Jahr geführt, 110 Präventions-Veranstaltungen organisiert, 61 Menschen in eine Entwöhnung vermittelt, 146 Gruppenstunden durchgeführt und 38 Personen dazu gebracht, an einer Entgiftung teilzunehmen. Über 540 Klienten betreute die Suchthilfe dabei. Folgt man den Zahlen, dann ist und bleibt die Hauptproblematik der meisten die Alkoholabhängigkeit (249 Fälle), gefolgt von Stimulantien (127 Fälle) und Cannabis (46 Fälle).

Doch so einfach ist die Abgrenzung nicht mehr, sagt Dirk Rzepus, Leiter der Nordhäuser Suchthilfe. "Es hat sich alles vermischt. Eine Hauptdiagnose zu treffen ist schwierig geworden". Alkohol- und Drogenabhängigkeit gehen Hand in Hand, die vom Gesetzgeber verlangte Statistik kann das Problem des Mischkonsums nur noch schwer darstellen.

So haben harte Drogen wie Crystal Meth in der Arbeit des Zentrums im vergangenen Jahr keine so große Rolle gespielt wie man erwartet hatte, erklärte Rzepus, fast man den Blick aber weiter, wird ein massives Problem deutlich. Im Jahr 2008 zählte man gerade einmal 34 Fälle, die mit einer Amphetamin/Methamphetamin Problematik in den Schackenhof kamen. 2017 waren es 257 Fälle.

Über ein Drittel derer, die den Weg zur Suchthilfe finden, leben von Arbeitslosengeld II, insgesamt aber steigen die Fallzahlen in allen Einkommensschichten. Aber es gibt auch gute Nachrichten: wer es schafft die Zeit in der Suchthilfe regulär zu beenden, der habe gute Chancen nicht rückfällig zu werden, sagte Rzepus, 207 Personen gelang das im vergangenen Jahr. Bei vorzeitigen Abbrüchen (121 Personen) sei eine erfolgreiche Entwöhnungn zwar schwieriger aber nicht unmöglich.

Dirk Rzepus: es hat sich alles vermischt (Foto: Angelo Glashagel) Dirk Rzepus: es hat sich alles vermischt (Foto: Angelo Glashagel)

Das Dunkelfeld

Das ist die eine Seite der Medaille. Die Seite, die man sehen kann. In der Suchthilfe kommt nur der an, der bereit ist Hilfe zu suchen oder durch die Behörden dazu gezwungen wird. In diesem sogenannten "Hellfeld" arbeite auch die Polizei, erklärte Detlef Grabs von der Nordhäuser Polizei. "Wir schöpfen mit kleinen Kellen aus derselben Suppe", sagte der Kriminaloberrat, wie es im "Dunkelfeld" tatsächlich aussieht sei schwer zu sagen. Grabs und seine Kollegen gehen aber von einer "massiven Entwicklung" aus. Obwohl die Polizei über die vergangenen Jahre mit immer weniger Personal auszukommen hatte, stiegen die Fallzahlen in Sachen Drogenkriminalität an.

Bestätigung fand Grabs in der Arbeit einer studentischen Forschungsgruppe der Hochschule Nordhausen. Die hatte an sieben Schulen im Landkreis und der Hochschule selbst insgesamt 1211 anonymisierte Datensätze zusammengetragen. Die Befragten waren zwischen 12 und 35 Jahren alt, wobei sich der Großteil im jüngeren Altersegment bewegte. Der Konsum von Alkohol und Zigaretten waren nicht Bestandteil der Befragung.

Das Ergebnis: jeder zweite Befragte hat schon einmal Drogen konsumiert, jeder sechste ist dabei geblieben. In Rund 50% der Fälle ist Cannabis die Droge der Wahl, als Gründe für den Konsum wurden zumeist "Spaß und Entspannung" angegeben, gefolgt von Leistungsdruck. Rund zehn Prozent der Befragten gaben an, nicht mehr von alleine aufhören zu können. Sowohl der Einstig als auch die Hochphase des Konsums liegt im Alter zwischen 13 und 16 Jahren, mit zunehmenden Alter sinken die Zahlen wieder. Das bedeute auch, das man mit der Prävention nicht erst in Klasse 9 anfangen könne, rieten die Studenten. Denn Aufklärung haben die Befraften in der Regel erfahren, entweder in der Schule oder über Eltern und Freunde.

Interessant auch: die meisten bleiben bei der Droge ihrer Wahl. Lediglich 15% der Befragten wechselten etwa von Cannabis zu anderen Drogen.

Eine Liberalisierung gibt es schon

Angesichts der Zahlen ließe sich eine ernsthafte Debatte über das Für und Wider einer liberaleren Drogenpolitik führen, etwa zur Legalisierung von Cannabis. In der Konsumstatistik liegt das grüne Kraut ganz weit oben, in der Statistik der Suchthilfe hingegen rangiert das Problem hinter Alkohol und harten Drogen.

Öffentlichkeitstag der Diakonie Suchthilfe im Pflegeheim St. Jacob (Foto: Angelo Glashagel) Öffentlichkeitstag der Diakonie Suchthilfe im Pflegeheim St. Jacob (Foto: Angelo Glashagel)

Tatsächlich gebe es schon ein gewisse Liberalisierung, sagte Grabs, "konsumnahe Delikte" müssten von Gesetzes wegen zwar immer noch von der Polizei verfolgt werden, würden häufig aber keine signifikanten Strafen mehr nach sich ziehen. Anders ausgedrückt: der Alt-68er der seit Jahrzehnten ein paar Pflanzen zum Eigengebrauch auf dem Balkon zieht wird zwar von der Polizei vor die Justiz gebracht so er denn erwischt wird, aber er muss nicht unbedingt mit empfindlichen Strafen rechnen.

Anders sieht es aus, wenn es um den gewerblichen Handel mit Drogen geht. Hier sehen die Behörden sehr genau hin. Kriminalität dürfe sich nicht lohnen, sagt Grabs, gewerbsmäßige Strukturen würden konsequent ausgemerzt und es drohten empfindliche Freiheitsstrafen. Was Kriminelle freilich nicht vom Handel abhält. Dafür lassen sich mit Cannabis, Koks, Heroin und vor allem Meth zu große Gewinnspannen erzielen. Während die bei Marihuana mit Produktionskosten von 5 Euro und einem Straßenwert von rund 7,50 Euro pro Gramm noch vergleichsweise klein ist, kann das Gramm Crystal, das in der Herstellung zwischen 15 und 30 Euro kostet, für 80 bis 100 Euro pro Gramm auf der Straße verkauft werden. "Crystal ist angekommen in der Stadt", sagt Grabs. In Nordhausen werden die meisten Drogendelikte festgestellt, was aber nicht heißt das Drogen nicht auch auf dem flachen Land verfügbar wären. Es sei "alles da", sagte Grabs.

Kriminaloberrat Detlef Grabs (Foto: Angelo Glashagel) Kriminaloberrat Detlef Grabs (Foto: Angelo Glashagel)

Problematisch auch: die steigende Zahl der Drogenfahrten. Während die Zahl der Fahrten unter Alkohol rückläufig sei, treffe man immer häufiger vor allem junge Fahrer unter dem Einfluss diverser Drogen an. Grabs vermutet hinter den Zahlen auch einen gesellschaftlichen Trend. Wenn schon Kindern vermittelt würde, das eine Pille wie Retalin, ein Amphetamin das bei Aufmerksamkeitsdefizitstörung verschrieben wird, helfen könne, dann sei das ein "schleichender Einstieg". Eine Legalisierungsdebatte steht der Beamte denn auch skeptisch gegenüber, allein die Diskussion könnte Hemmschwellen senken, befürchtet Grabs, es brauche einen ganzheitliche Ansatz Doch das sei eine politische, keine polizeiliche Debatte.
Angelo Glashagel
Autor: red

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