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Zirkus im Nationalsozialismus

Circus. Freiheit. Gleichschaltung.

Montag, 02. April 2018, 09:00 Uhr
Zieht der Mantel der Geschichte vorüber, müsse man ihn ergreifen, heißt es. Dabei ist es schon schwer in einem hektischen Alltag voller Aufgaben und Sorgen den Wind historischer Entwicklungen überhaupt zu spüren. Ein neues Projekt des Zirkus Zappelini will da Abhilfe schaffen und sich gleichzeitig mit der Geschichte der eigenen Profession auseinandersetzen...

Ausstellung im Zirkuszelt geplant (Foto: Angelo Glashagel) Ausstellung im Zirkuszelt geplant (Foto: Angelo Glashagel)

"Wer die Enge seiner Heimat ermessen will, der reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, der studiere Geschichte" - Kurt Tucholsky.

Wer es schafft sich selber historisch zu verorten, ein Verständnis für die Begrenzungen der eigenen Zeit zu entwickeln, kann auch Vergangenheit und Zukunft anders betrachten. Aus diesem Gedankengang heraus rief ein Künstlerkollektiv 2011 ein Projekt ins Leben, das es Menschen ermöglichen sollte sich ihrer historischen Situation bewusst zu werden und zugleich die Geschichte des eigenen Berufsstandes kritisch in den Blick zu nehmen.

Im Fokus der Ausstellung "Zirkus im Nationalsozialismus", die der Zirkus Zappelini im Juni nach Nordhausen holen will, steht die bis dato kaum betrachtete Geschichte des deutschen Zirkus im Dritten Reich. Den Manegen kam im frühen 20. Jahrhundert noch eine andere gesellschaftliche Bedeutung zu als heute. "Der Circus war ein Fenster zu einer fernen, weiten Welt die man so sonst nicht zu sehen bekam", erläutert Alexander Jäger, und damit ließ sich gutes Geld verdienen, Institutionen wie die Zirkusse Busch, Krone oder Hagenbeck waren Großunternehmungen mit Kapital im zweistelligen Millionenbereich.

Die Publikumsmagneten gerieten schnell ins Visier der Nationalsozialisten und wurden im Sinne ihrer Ideologie gleichgeschaltet. Rund 30 Millionen Besucher zählten 20 deutsche Circusse etwa im Jahr 1941. Die "ruhige und zuversichtliche Stimmung der Volksgenossen" sollte erhalten werden, das war "die große Vaterländische Aufgabe der Artistik". Die Spielstätten der Clowns, Dompteure und Artisten waren zu diesem Zeitpunkt bereits weitestgehend arisiert. Die politische und Kulturelle "Reinigung" hätte den schon damals international geprägte Circuslandschaft "im Kern getroffen", sagt Steffi Böttcher vom Zirkus Zappelini, "in totalitären Systemen gibt es keine Bereiche die sich dem entziehen können, vom Bäcker bis zum Künstler, alle werden beeinflusst. Wegzusehen und zu hoffen das einen selbst nicht trifft, das funktioniert nicht."

Geschichte einmal anders erleben - neben der Ausstellung wird es auch Workshops und Bühnenprogramm geben (Foto: Studio 44 e.V.) Geschichte einmal anders erleben - neben der Ausstellung wird es auch Workshops und Bühnenprogramm geben (Foto: Studio 44 e.V.)

Von der "Einheit der Vielfalt", welche die Circuswelt bis dato ausgemacht hatte, blieb nicht viel übrig. Auftreten durfte nur wer der Reichskulturkammer angehörte, als "politisch zuverlässig" galt und arischer Abstammung war. Die Teilnahme von "Juden, Negern oder Negermischlingen an Darbietungen deutscher Kultur" war untersagt, ferner auch die Verwendung "artfremder" Kostüme oder Musik, die von Juden oder Negern stammte oder diese nachahmte.

Berufsverbote waren auch in den Circussen des Landes nur der Anfang, ganze Artistenfamilien fanden den Tod im Konzentrationslager. Andere überlebten durch Glück und die Hilfe ihrer Kollegen. Eine dieser Geschichten, das Leben der Irene Bento, die sich im Zirkus Althoff vor den Augen der Gestapo verbergen konnte, wird von den Ausstellungsmachern aufgegriffen und in einer szenischen Lesung mit musikalischer Untermalung dargestellt.

Grundlage dafür bildet die Biographie "Der Clown und die Zirkusreiterin". In der Aufführung zeige man viel aus Irenes Alltag, erzählt Artistin Roxana Küwen, die das Projekt 2011 mit aus der Taufe hob. Etwa wenn sich Irene aus dem Zirkus schleicht um mit dem Freund eine Zigarre rauchen zu können. Eine Kleinigkeit in einem Leben das von der Angst vor der Entdeckung bestimmt ist. Ein Detail, welches damals, im Lichte der bitteren Realität, unwichtig und banal erschienen sein mag, heute aber helfe die Zeit und ihre Umstände besser zu verstehen, sagt Küwen.

Ausstellung im Zirkuszelt geplant (Foto: Studio 44 e.V.) Ausstellung im Zirkuszelt geplant (Foto: Studio 44 e.V.)

Ein weiteres Kernstück der Aktion ist denn auch ein Workshop der sich mit eben solchen Momenten, mit einer historischen Dimenstion des Alltags, auseinandersetzt. "Im Grunde stellen wir die Leute vor die Frage was sie in ihrem Alltag als Erinnerungswürdig betrachten. Was sind die Details, die ihnen heute wichtig erscheinen? Und was glauben sie, wird man in 30 Jahren als wichtig erachten?" Wie wird die Geschichte einmal über die eigene Zeit, vielleicht sogar über das eigene Handeln urteilen? "Vergangenheit wird im heute geschaffen", meint Steffi Böttcher, wer das erkenne dem Falle es auch leichter Geschichte zu verstehen.

Ab dem 15.6. wird die vom Bundesprogramm "Demokratie Leben" geförderte Ausstellung "Zirkus im Nationalsozialismus" in Nordhausen zu sehen sein, zunächst im blauen Zelt der Zappelinis, danach in der Stadtbibliothek. Zur Eröffnung sind zwei Vorstellungen geplant, eine für Schulklassen mit anschließendem Workshop, eine zweite für das weitere Publikum am Spätnachmittag. Danach zieht die Ausstellung für vier Wochen in die Stadtbibliothek.
Angelo Glashagel
Autor: red

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