Über Horch und Guck in Nordhausen
Stasi hörte in operativen Betten ab
Sonnabend, 16. Dezember 2017, 16:23 Uhr
Die Stasi in Nordhausen unterhielt operative Betten im Hotel Handelshof, um westdeutsche Monteure und Touristen aus dem Ausland abzuhören. Der Leiter war 1977 als Inoffizieller Mitarbeiter angeworben worden. Seine Schlüsselposition ermöglichte es ihm, sowohl das Personal als auch die Gäste unter Kontrolle zu halten, heißt es in einer wissenschaftlichen Dokumentation über die Kreisdienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit im Grenzkreis Nordhausen, die jetzt veröffentlicht wurde...
Der IM im Handelshof habe mündlich wie auch schriftlich umfangreiche Berichte geliefert. Seine Zuträgerschaft wurde vom MfS geschätzt, da er nicht nur als zuverlässig galt, sondern auch sein konspiratives Verhalten hervorgehoben wurde. So erfuhr die Stasi von einer Lehrerin, die mit westdeutschen Besuchern verkehrte. Es wurde ein IM-Vorlauf angelegt, aber die Anwerbung abgebrochen, weil die Lehrerin von Vorgesetzten der Abteilung Volksbildung abgemahnt wurde, das Hotel zu meiden.
Unter IM Betten wurden im MfS umgangssprachlich attraktive, weibliche Informelle Mitarbeiter geführt, die meistens auf internationalen Messen und in großen Hotels auf männliche Besucher aus dem kapitalistischen Ausland angesetzt wurden. Der Autor hatte einem solchen Versuch bei einem Zwischenstopp im Weimarer Hotel Elephant zu widerstehen.
In Nordhausen wurde eine IM, die zufriedenstellend kooperiert hatte, dennoch wegen fragwürdigen Lebensstils von der Spionageabwehr ausgeschlossen.
Der Anspruch der ‚führenden Rolle der SED auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens’ war alles andere als eine rhetorische Formel, konstatiert Hanna Labrenz-Weiß in der Veröffentlichung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, ebenso wenig wie die ‚Sicherheitsorgane’, im Besonderen das MfS, ihre vermeintlich absolute Herrschaft mit der zum ‚Ordenstitel’ erhobenen Formel ‚Schild und Schwert
der Partei’ nur kaschieren wollten.
In den Anfangsjahren unterliefen der Stasi in Nordhausen häufig Fehler beim Aufbau ihres Spitzelnetzes. So musste eine Wäscherin wegen intellektueller Schwäche aussortiert werden, ein Zugrevisor, der abfällige Äußerungen der Reisenden aufschnappen und eingeschlepptes westliches Hetzmaterial aufdecken sollte, weil er sich mehrfach dekonspirierte. Nicht wenige hatten den Mut, eine MfS-Verpflichtung abzulehnen, wie ein Dreher, weil er darin ein Denunzieren sah.
Für eine Arbeit mit dem MfS nicht zu gebrauchen, war ein Schachtbauer im Kaliwerk Bleicherode, der erklärte: Eine Verpflichtung lehne ich ab; weiter kommt für mich nichts infrage. Ein Angestellter im Werksbüro bekannte: Ich kann keinen Menschen schlecht machen oder anschwärzen. Eine Krankenschwester im Knappschaftskrankenhaus Bleicherode lehnte eine Zusammenar-beit ab, weil es etwas Ungesetzliches sei. Ebenso verhielt sich eine Personal-Sachbearbeiterin der Zentralschule der Volkspolizei in Nordhausen.
Ständig mit Ausreden sei ein Werkmeister im Kalischacht Sollstedt einem Treffen mit seinem Führungsoffizier ausgewichen. Zu den indirekten Verweigerern gehörte auch ein Schweißer im Kaliwerk Bleicherode. Ein IFA-Mitarbeiter trug dazu bei, dass ein Arbeitskollege durch Erpressung als Geheimer Informator geworben wurde – unter Ausnutzung komprimittierenden Materials, wie sein Führungsoffizier preisgab. Ein Reichsbahn-Buchhalter kam aufs Abstellkreis, weil er nur eine Belastung für die operativen Mitarbeiter war.
Ein GI Schmidt, geboren auf Sumatra und Nachkomme eines Großgrundbesitzers, weicht uns immer wieder aus und tut alles, um nicht mit uns in Berührung zu kommen. Enttäuscht war die Stasi auch über einen Rangierleiter auf dem Bahnhof Ellrich, der noch unter allen Umständen zu einem brauchbaren GI erzogen werden müsse. Ein Traktorist in Kleinwenden versagte bei dem Auftrag, negative Elemente im Ort und die Herkunft von selbstgefertigten Flugblättern auszukundschaften.
Kleinbürgerliche Abstammung disqualifizierte in der MfS-Sicht einen Gastwirt. Er war nicht davon zu überzeugen, dass es Personen gebe, die durch Intrigen.. . versuchen, Unruhe und Streitereien unter die Bevölkerung zu bringen. Deshalb sei es Aufgabe aller Menschen, uns zu helfen, um solche Elemente unschädlich zu machen. Ihm fehlte die letzte Konsequenz zur Aufdeckung der vermutlichen Feindtätigkeit in seiner Verwandtschaft. Bei der Anwerbung hatte es die Stasi besonders auf Leute mit Nazi-Vergangenheit abgesehen.
Einem Arbeiter der Betonwerke Heringen, der durch Trunkenheit und krumme Geschäfte aufgefallen war, wollte die Kreisdienststelle Nordhausen helfen, wenn er unsere Arbeit unterstützt, indem er uns Personen, die eine feindliche Einstellung bzw. eine feindliche Tätigkeit durchführen oder durchführen wollen, aufzeigt. Der Leiter der Personalabteilung im Kaliwerk Sollstedt berichtete 1957, dass binnen sechs Wochen neun Mitarbeiter republikflüchtig wurden. Ein GI bestand darauf, seinen Klarnamen unter die Berichte zu setzen.
Kontakte nach Westdeutschland waren ihm wichtiger als zum MfS, musste sich ein Geheimer Informator (ab 1968 Informeller Mitarbeiter) nachsagen lassen, der Angehörige in Bad Sachsa und Bad Lauterberg ausspionieren sollte. An Übersiedlern aus der Bundesrepublik, die zumeist ihren Schulden entflohen waren, hatte die Stasi wenig Freude. Trotz Ermahnungen ihres Führungsoffziers war eine Frau nicht bereit, Berichte zu schreiben. Sie versuchte dem MfS zu entwischen.
Allerdings boten auch viele Systemtreue dem MfS ihre Mitarbeit an. Vor allem nach dem Arbeiter-Aufstand vom 17. Juni 1953 meldeten sich Spitzel in spe. Der CDU-Stadtrat Franz-Willi Tesch habe den faschistischen Putsch aufs Schärfste verurteilt. In der BStU-Dokumentation heißt es: Seine Berichte belasteten viele Menschen und führten zu Ermittlungsverfahren. Im Auftrag der Stasi unternahm Tesch 1954 zwei Reisen nach Bonn und West-Berlin. Er sollte u.a. erkunden, ob eine neue Paketaktion durchgeführt wird und wer sie veranlasst.
Manfred Neuber
Autor: redDer IM im Handelshof habe mündlich wie auch schriftlich umfangreiche Berichte geliefert. Seine Zuträgerschaft wurde vom MfS geschätzt, da er nicht nur als zuverlässig galt, sondern auch sein konspiratives Verhalten hervorgehoben wurde. So erfuhr die Stasi von einer Lehrerin, die mit westdeutschen Besuchern verkehrte. Es wurde ein IM-Vorlauf angelegt, aber die Anwerbung abgebrochen, weil die Lehrerin von Vorgesetzten der Abteilung Volksbildung abgemahnt wurde, das Hotel zu meiden.
Unter IM Betten wurden im MfS umgangssprachlich attraktive, weibliche Informelle Mitarbeiter geführt, die meistens auf internationalen Messen und in großen Hotels auf männliche Besucher aus dem kapitalistischen Ausland angesetzt wurden. Der Autor hatte einem solchen Versuch bei einem Zwischenstopp im Weimarer Hotel Elephant zu widerstehen.
In Nordhausen wurde eine IM, die zufriedenstellend kooperiert hatte, dennoch wegen fragwürdigen Lebensstils von der Spionageabwehr ausgeschlossen.
Der Anspruch der ‚führenden Rolle der SED auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens’ war alles andere als eine rhetorische Formel, konstatiert Hanna Labrenz-Weiß in der Veröffentlichung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, ebenso wenig wie die ‚Sicherheitsorgane’, im Besonderen das MfS, ihre vermeintlich absolute Herrschaft mit der zum ‚Ordenstitel’ erhobenen Formel ‚Schild und Schwert
der Partei’ nur kaschieren wollten.
In den Anfangsjahren unterliefen der Stasi in Nordhausen häufig Fehler beim Aufbau ihres Spitzelnetzes. So musste eine Wäscherin wegen intellektueller Schwäche aussortiert werden, ein Zugrevisor, der abfällige Äußerungen der Reisenden aufschnappen und eingeschlepptes westliches Hetzmaterial aufdecken sollte, weil er sich mehrfach dekonspirierte. Nicht wenige hatten den Mut, eine MfS-Verpflichtung abzulehnen, wie ein Dreher, weil er darin ein Denunzieren sah.
Für eine Arbeit mit dem MfS nicht zu gebrauchen, war ein Schachtbauer im Kaliwerk Bleicherode, der erklärte: Eine Verpflichtung lehne ich ab; weiter kommt für mich nichts infrage. Ein Angestellter im Werksbüro bekannte: Ich kann keinen Menschen schlecht machen oder anschwärzen. Eine Krankenschwester im Knappschaftskrankenhaus Bleicherode lehnte eine Zusammenar-beit ab, weil es etwas Ungesetzliches sei. Ebenso verhielt sich eine Personal-Sachbearbeiterin der Zentralschule der Volkspolizei in Nordhausen.
Ständig mit Ausreden sei ein Werkmeister im Kalischacht Sollstedt einem Treffen mit seinem Führungsoffizier ausgewichen. Zu den indirekten Verweigerern gehörte auch ein Schweißer im Kaliwerk Bleicherode. Ein IFA-Mitarbeiter trug dazu bei, dass ein Arbeitskollege durch Erpressung als Geheimer Informator geworben wurde – unter Ausnutzung komprimittierenden Materials, wie sein Führungsoffizier preisgab. Ein Reichsbahn-Buchhalter kam aufs Abstellkreis, weil er nur eine Belastung für die operativen Mitarbeiter war.
Ein GI Schmidt, geboren auf Sumatra und Nachkomme eines Großgrundbesitzers, weicht uns immer wieder aus und tut alles, um nicht mit uns in Berührung zu kommen. Enttäuscht war die Stasi auch über einen Rangierleiter auf dem Bahnhof Ellrich, der noch unter allen Umständen zu einem brauchbaren GI erzogen werden müsse. Ein Traktorist in Kleinwenden versagte bei dem Auftrag, negative Elemente im Ort und die Herkunft von selbstgefertigten Flugblättern auszukundschaften.
Kleinbürgerliche Abstammung disqualifizierte in der MfS-Sicht einen Gastwirt. Er war nicht davon zu überzeugen, dass es Personen gebe, die durch Intrigen.. . versuchen, Unruhe und Streitereien unter die Bevölkerung zu bringen. Deshalb sei es Aufgabe aller Menschen, uns zu helfen, um solche Elemente unschädlich zu machen. Ihm fehlte die letzte Konsequenz zur Aufdeckung der vermutlichen Feindtätigkeit in seiner Verwandtschaft. Bei der Anwerbung hatte es die Stasi besonders auf Leute mit Nazi-Vergangenheit abgesehen.
Einem Arbeiter der Betonwerke Heringen, der durch Trunkenheit und krumme Geschäfte aufgefallen war, wollte die Kreisdienststelle Nordhausen helfen, wenn er unsere Arbeit unterstützt, indem er uns Personen, die eine feindliche Einstellung bzw. eine feindliche Tätigkeit durchführen oder durchführen wollen, aufzeigt. Der Leiter der Personalabteilung im Kaliwerk Sollstedt berichtete 1957, dass binnen sechs Wochen neun Mitarbeiter republikflüchtig wurden. Ein GI bestand darauf, seinen Klarnamen unter die Berichte zu setzen.
Kontakte nach Westdeutschland waren ihm wichtiger als zum MfS, musste sich ein Geheimer Informator (ab 1968 Informeller Mitarbeiter) nachsagen lassen, der Angehörige in Bad Sachsa und Bad Lauterberg ausspionieren sollte. An Übersiedlern aus der Bundesrepublik, die zumeist ihren Schulden entflohen waren, hatte die Stasi wenig Freude. Trotz Ermahnungen ihres Führungsoffziers war eine Frau nicht bereit, Berichte zu schreiben. Sie versuchte dem MfS zu entwischen.
Allerdings boten auch viele Systemtreue dem MfS ihre Mitarbeit an. Vor allem nach dem Arbeiter-Aufstand vom 17. Juni 1953 meldeten sich Spitzel in spe. Der CDU-Stadtrat Franz-Willi Tesch habe den faschistischen Putsch aufs Schärfste verurteilt. In der BStU-Dokumentation heißt es: Seine Berichte belasteten viele Menschen und führten zu Ermittlungsverfahren. Im Auftrag der Stasi unternahm Tesch 1954 zwei Reisen nach Bonn und West-Berlin. Er sollte u.a. erkunden, ob eine neue Paketaktion durchgeführt wird und wer sie veranlasst.
Manfred Neuber
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