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Die Stasi in Nordhausen

Dichtes Spitzelnetz für ausländische Monteure

Mittwoch, 13. Dezember 2017, 12:28 Uhr
Die IFA Motorenwerke in Nordhausen stellten für die Stasi ein schwieriges Operationsfeld dar. Denn in den Jahren 1984 bis 1988 waren dort Monteure französischer Kfz-Partner in großer Zahl beschäftigt...

Das IFA-Areal im Modell (Foto: IFA-Museum Nordhausen) Das IFA-Areal im Modell (Foto: IFA-Museum Nordhausen)
Renault hatte 142 Mitarbeiter entsandt, Citroen weitere 92. Hinzu kamen 32 Monteure einer japanischen Firma und von anderen westlichen Partnern. Offen gelegt sind diese Angaben in einer Dokumentation des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Stasi in der ehemaligen DDR, die jetzt veröffentlicht wurde.

Die IFA-Reisestelle führte eine Akte über die Personalien, zum Beruf und zur Tätigkeit, zur Heimatanschrift und der vorgesehenen Aufenthaltsdauer, versehen mit Passbild. Diese Unterlagen wurden der Stasi-Kreisdienststelle zur Kontrolle übergeben. Bei der Bespitzelung half der IMS (Informelle Mitarbeiter für Sicherheit) „Torsten“, der wichtige Verbindungen im Westen herstellte.

Durch die IMS „Ines“ gewann das MfS Informationen über „negative weibliche Personen“, die Kontakte zur den Monteuren unterhielten. Die 1985 angeworbene „Ines“ wurde offensichtlich auch eingesetzt, um über
„sexuelle Kontakte“ Informationen abzuschöpfen. „Als weiblicher IM mit häufig wechselnden Männer-Bekanntschaften besteht die Einsatzrichtung in der
Absicherung der NSW-Monteure (aus nichtsozialistischem Wirtschaftsgebiet) im Freizeitbereich“, protokollierte die Stasi.

Demnach „betreute“ sie ausländische Fachleute während deren Freizeit in Gaststätten. Neben den IM waren auch 25 „Betreuer“ der Monteure im Einsatz. Eine hervorragende Rolle spielten die IMS „Klaus Schmidt“, Leiter der Arbeiter-Wohnunterkunft, „Sabine“, Restaurant-Leiterin im Hotel Handelshof, und „Nadja“, stellvertretende Bar-Leiterin in der HO-Absteige. Die Autorin Hanna Labrenz-Weiß vermerkt: „Alle drei waren bis zum Schluss aktiv.“ Die Bezirksverwaltung Erfurt hatte verwundert festgestellt, dass die Kontrolle von Hochtechnologie-Mitarbeitern erst im Jahresplan 1988 der Kreisdienststelle Nordhausen vorkam.

Davon betroffen waren 90 Wirtschaftskader in zehn Betrieben, nämlich Geheimnisträger, Leitungspersonal und Reisekader. Vornehmlich handelte es sich um Investment-Verantwortliche für wichtige Vorhaben, Personen in Schlüsselpositionen des Organisations- und Rechenzentrums, Geheimnisträger im VEB Hydrogeologie und Schachtbau Nordhausen sowie Gruppenleiter des Staatsplans für Forschung und Entwicklung sowie Bereichstechnologien. Das zuständige Referat konnte jedoch laut BStU-Studie „keine Erfolge“ verzeichnen.

Absoluten Vorrang hatte für den Leiter der MfS-Kreisdienststelle Nordhausen die Sicherung der Produktion des 6 VD-Motors in der IFA. „Einerseits ging es um die Realisierung eines Politbüro-Beschlusses, andererseits war das Vorhaben mit seinem komplexen Charakter, der Vielzahl beteiligter Betriebe und Einrichtungen der DDR so westlicher Firmen, die damit verbundene kommerzielle Ein- und Ausreisetätigkeit mit längerfristigem Aufenthalt von ausländischem Montagepersonal eine enorme Herausforderung“, hebt die Studie hervor.

Unfreiwillig komisch bei einem der Unterdrückung der Bevölkerung dienenden Geheimdienst klang die Abkürzung KuSch für die Abteilung Kader und Schulung bei der Qualifizierung von IM „mit Feindberührung“. Ein solcher Ingenieur bei der Nobas berichtete über die Stimmung der Belegschaft. Bei einer Spendenaktion für Polen nach Ausrufung des Kriegsrechtes habe es abfällige Kommentare gegeben, weil man „die Faulenzer in Polen“ nicht unterstützen wolle.

Die in den neuen Bundesländern verbreitete Fremdenfeindlichkeit hat also weit zurückreichende Wurzeln. Ein Schwerpunkt der MfS-Aufgaben in den achtziger Jahren war die Überwachung des Reiseverkehrs nach Westdeutschland. Die meisten Reiseanträge wurden zu privaten Verwandtenbesuchen gestellt. Seit 1982 saß ein Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit in der Abteilung Pass- und Meldewesen im Kreisamt der Volkspolizei. Ein Hallenkranfahrer des VEB Apparatebau Nordhausen sei „fast zusammengebrochen“, als ihm 1984 die Reise zur Beerdigung seines Vaters verweigert wurde. „Ist doch klar, was kann man von Euch Schweinen schon verlangen“, empörte sich der Werktätige, wie wörtlich aufgezeichnet wurde. „Sie können mich ruhig einsperren, das tut nicht so weh wie die Ablehnung... ist viel viel schwerer.“

Auf die Aufforderung, seine Aussagen zu wiederholen, entgegnete er: „Einmal reicht’s – Sie können alles hier behalten, mich auch. Aber das Leben nehme ich mir nicht.“ Zu Breschnjews Beerdigung seien sogar „seine ärgsten Feinde“ gekommen. „Ich wollte nur von meinem Vater Abschied nehmen.“

„Ich möchte jetzt wissen, was ich verbrochen habe“, forderte er. „Voriges Jahr wollte ich zum Geburtstag, dann war er schwer krank. Jetzt ist es zum dritten Mal, dass ich abgelehnt wurde. Jetzt will ich wissen warum.“ Die Autorin des Berichtes über die MfS-Kreisstelle Nordhausen resümiert, dieses Protokoll zeige eindrucksvoll, wie enttäuscht und verzweifelt die Menschen waren und welche Macht die Organe der DDR hatten, „ihre Bürger zu bestrafen, zu brechen bzw. zu belohnen“.

Denunziert von einem GMS wurde eine Mitarbeiterin, die den ersten Kontakt zu den Antragstellern hatte. Bei der Vorbereitung des Antrages war sie immer allein in ihrem Arbeitszimmer mit den Antragstellern und klärte diese über ihre Rechte auf. So wussten die Antragsteller nicht, dass sie das Recht hatten, noch bis zu drei Monate nach einem Todesfall zu reisen, wenn nicht zur Beerdigung, dann zum Besuch des Grabes. Der Informant betrieb ihre Versetzung – in einem Racheakt, weil sie seine Liebesaffäre im Amt aufgedeckt hatte.

Die Stasi sammelte nicht nur Informationen über Reisen von DDR-Bürgern in Westdeutschland und über Besucher aus der Bundesrepublik, vor allem aus den Kirchengemeinden, sondern auch über ausländische Arbeitskräfte. In den achtziger Jahren herrschte Personalmangel, speziell in großen Industriebetrieben.

Von 1988 an sollten etwa 40 Mosambikaner und hundert Polen bei der IFA und eine große Anzahl von Vietnamesen im Hochbau Nordhausen eingesetzt werden. Derzeit werden billige Arbeitssklaven aus Nordkorea bei Stadionbauten für die Fußball-WM in Russland herangezogen.
Manfred Neuber
Autor: red

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