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Integration von Flüchtlingen im Südharz

"Ich hoffe, dass ich jetzt kein Nazi bin!"

Montag, 06. November 2017, 08:00 Uhr
Es war der 27. Oktober dieses Jahres. Nahezu inkognito hielt die CDU des Landkreises Nordhausen ihren Parteitag ab. Der war - so berichten es Teilnehmer - schon etwas ungewöhnlich...

Hartmut Sauermann (Foto: S. Witzel) Hartmut Sauermann (Foto: S. Witzel)
Nach der Wahlniederlage vom 24. September gab es auch an der CDU-Basis des Landkreises Nordhausen eine “muntere Diskussion”, die einigen Polit-Profis nicht zu behagen schien. Und als dann noch aus dem Präsidium heraus die bisherige Flüchtlingspolitik gutgeheißen und als Erfolg in die Geschichtsbücher dieses Landes eingetragen werden sollte, da stand ein Mann auf, der eine simple Frage stellte: “Wer von Ihnen hat in seinem privaten Umfeld, in seinem Zuhause Flüchtlinge aufgenommen?” Hartmut Sauermann bekam keine Antwort. Grund genug für die nnz, sich mit ihm zu unterhalten.

Dem Unternehmer und ehrenamtlichen Kommunalpolitiker aus Ilfeld reichte es. Er berichtete dem Parteitag von seinen Erlebnisse mit Flüchtlingen, schließlich hat er eine sechsköpfigen Familie aus Syrien und einer dreiköpfigen Familie aus Afghanistan aufgenommen. Zwei Jahre ist das jetzt her und zwei Jahre hat Sauermann diese Erfahrungen im persönlichen Zusammenleben sammeln können. Das Fazit, das der ehrenamtliche Ortsteilbürgermeister von Ilfeld zieht, ist ziemlich ernüchternd.

Die syrische Familie zählt zwei Erwachsene und vier Kinder. Der Familienvater “versucht sein Ding zu machen”, ist freundlich und hilfsbereit in der Nachbarschaft beschreibt es Sauermann. Er ist von Beruf Frisör, arbeitet aber nicht in seinem Beruf, die Kinder gehen in die Kita und in die Schule. Hartmut Sauermann ist seit diesen zwei Jahren aber nicht nur Vermieter, er fungiert defacto auch als “Integrationslotse”, hat die Familie bei Behördengängen unterstützt und ermutigt, vor allem die Eltern, im Erlernen der deutschen Sprache, mit teilweisem Erfolg. Und er will sie fitmachen für das Leben hier in Deutschland, denn “beide Familien wollen nicht mehr zurück in ihre Heimat”, ist er sich sicher. Dazu gehört einerseits das Heranführen an ehrenamtliche Arbeit wie die Mitwirkung bei Arbeitseinsätzen im Ahornpark oder eben beim “Einrichten des Lebens”. So zum Beispiel bei der Bewältigung ganz normaler Aufgaben, die mit der Führung eines Haushaltes in Deutschland verbunden sind. Er wollte zum Beispiel, dass das Jobcenter die Miete und vor allem die Nebenkosten für die Wohnung nicht an ihn, den Vermieter, sondern an die Mieter auszahlt. “Ich wollte, dass sie lernen mit Geld in Deutschland umzugehen.” Doch das Jobcenter lehnte ab und zahlt stattdessen alle anfallenden Nebenkosten, inklusive der Restzahlung nach der Jahresabrechnung. Da ist es egal, wie hoch die Nebenkosten ausfallen.

Noch ein Punkt, der ihm Sorge bereitet: Bei allen Integrationsbemühungen seitens des Familienvaters und der Kinder - die Frau bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Man sieht sie kaum. Für sie gibt es bislang keinerlei Teilhabe an dem, was der Gesetzgeber Integration nennt. Geschweige denn, an dem, was Gesellschaft im beschaulichen Ilfeld ausmacht.

Noch vernichtender fällt das Urteil bei der dreiköpfigen Familie aus Afghanistan aus. Ein Vater mit seinen beiden Söhnen wohnt bei den Sauermanns ebenfalls seit zwei Jahren. Der “Kleine” geht in die Kita, der “Große” in die Schule nach Ellrich. Mit ihm ist Sauermann die Strecke zur Schule abgefahren, hat die Busstrecke erläutert. Das alles scheint Früchte zu tragen, das Deutsch des Jungen ist schon sehr gut. Das des Vaters überhaupt nicht. Nach zwei Jahren hier in Deutschland sind noch nicht mal die einfachsten Worte geläufig. “Wochenlang habe ich Tag für Tag mit ihm geübt, ein Jahr lang. Ich sah überhaupt keinerlei Lernerfolg bei dem zirka 50jährigen. Nach einem Jahr habe ich aufgegeben. Die Familie will ohne Kompromisse ihre Lebensgewohnheiten aus Afghanistan beibehalten und diese hier in Deutschland weiter leben. Wo kein Wille ist, ist eben kein Weg”, konstatiert der ehrenamtliche Beigeordnete der Landgemeinde Harztor.

Dafür war der Wille des Afghanen, per WLAN an der Welt, aus der er flüchtete, weiterhin permanent teilzuhaben, enorm hoch. Anfangs gab ihm Sauermann das Passwort für das WLAN der Firma, dass dann jedoch bald in die Knie ging. Der Grund: Freunde und Bekannte kamen und loggten sich permanent ein. Als dann das Passwort geändert wurde, gab es hitzige Diskussion, die Hartmut Sauermann damit beendete, dass es in der Wohnung einen Telefonanschluss gebe und dass man dort einen Internetzugang anmelden könnte. “Ich fragte den Vater über den großen Jungen als Dolmetscher, warum er denn nicht - wenn er schon eine große Sehnsucht nach seiner Heimat habe - nicht wieder dorthin zurück ginge? Das käme nicht in Frage, er wolle hierbleiben.”

Einer der ständigen Gäste der afghanischen Familie war ein junger Mann aus UMA-Unterkunft in Rothesütte. Er verfügte über gute Deutschkenntnisse, gab an 18 Jahre jung zu sein (war vermutlich 23 oder 24) und interessierte sich für eine Ausbildung im Unternehmen von Sauermann, der sich um die Formalitäten für ein Langzeitpraktikum kümmerte, das nebenher intensiven Deutschunterricht in Sondershausen ermöglichte. Zwar war der Junge nach der dritten Praktikums-Woche schon am Rücken erkrankt, doch Hartmut Sauermann wollte ihn ermutigen, einen Lehrvertrag abzuschließen. Zwischen 500 und 600 Euro Ausbildungsvergütung werde gezahlt. Allerdings: diese Einnahmen werden mit den bereits gezahlten Sozialleistungen verrechnet, erklärte ihm Sauermann. Eine Stunde später war der Afghane von der Baustelle verschwunden und nie wieder gesehen.

Das ist die Praxis der Integration, die Hartmut Sauermann in den zurückliegenden Jahren erfahren durfte. An die politischen Theoretiker in Berlin appelliert er, nicht über Prozesse zu sprechen, von denen sie meilenweit selbst entfernt sind. “Nehmt diese Menschen bei Euch auf, erlebt mit ihnen den Alltag und verschanzt Euch nicht in Euren abgesicherten Häusern. Dann seid ihr mal endlich drin in der alltäglichen Realität.” Er, der 63 jährige aus Ilfeld, der immer noch Verantwortung für seine sieben Mitarbeiter hat, macht sich um die Zukunft seiner vier Kinder und mittlerweile sechs Enkelkinder Gedanken. Er hofft, dass diese Gedanken nicht von Sorgen abgelöst werden.

Und er gibt am Ende unseres Gespräches eine Hoffnung mit: “Ich hoffe, dass ich nun nicht als Rechter oder Nazi abgestempelt werde!”
Peter-Stefan Greiner
Autor: red

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